Gottes Mitbewohner

Klartext
Foto: privat

Die Gedanken für die Sonntagspredigten der nächsten Wochen stammen von Katharina Wiefel-Jenner. Sie ist Pfarrerin in Berlin.

Offene Tür

19. Sonntag nach Trinitatis, 18. Oktober

Legt von euch ab den alten Menschen (...). Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit  und Heiligkeit. (Epheser 4,22–24)

Wir wissen, wer wir sind, und wissen, was es bedeutet, zu Gott zu gehören. Er und wir sind füreinander keine Fremden. Wir sind keine zufälligen Gäste Gottes, sondern gehören zu ihm und können in seinem Haus wohnen. Wir sind dazu berufen, Gottes Beispiel zu folgen, denn wir sind Mitbürger der Heiligen und Gottes Mitbewohner. Die Tür zu Gottes Haus steht offen, und wir können einziehen. Und dann wird es so sein: Wir folgen Gottes Beispiel. Das zeigen wir denen, die mit uns zu Gott gehören und denen, die uns fremd sind.

Weil wir zu Gott gehören und seinem Beispiel folgen, sagen wir die Wahrheit und lügen nicht. Wir gewähren dem Hass keinen Zutritt zu unserem Herzen. Wir erwerben unseren Besitz ehrlich und teilen ihn. In unseren Gedanken und Reden hat Bosheit keine Handbreit Platz.

Weil wir zu Gott gehören und uns an Gott ein Beispiel nehmen, werden wir klar und wahr sprechen. Und Verschwörungserzählungen, die uns gefangen nehmen wollen, setzen wir den Reichtum unseres Glaubens entgegen. Wir treten mit dem Blick der Liebe aus dem Haus und begrüßen auch die freundlich, mit denen wir es schwer haben. Wir vergeben, selbst wenn wir eine Entschuldigung erwarten könnten. Wir versöhnen uns, bevor der Tag zu Ende geht. Ja, so werden wir leben und uns dabei auf unser Wohnrecht in Gottes Haus verlassen. Wir werden uns einfach auf Gott berufen, auf die Worte Jesu und auf die Prinzipien der Apostel. Wenn wir bei Gott einziehen, werden wir neu leben. Neue Menschen werden wir sein. Daran gibt es keinen Zweifel. Denn Gott wird uns erneuern. Übrigens: Die Tür zu Gottes Haus steht schon seit ewigen Zeiten offen. Wir sind getauft und längst bei Gott eingezogen. Nichts hindert uns also an einem neuen Leben.

Heilsame Regeln

20. Sonntag nach Trinitatis

Jesus sprach zu den Pharisäern: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. (Markus 2,23–28)

Jesus hat nicht gesagt, dass ihm das Gesetz Gottes egal ist – auch wenn sich manche seiner Jünger so verhalten. Aber Jesus hat seinen Jüngern nicht zu verstehen gegeben, dass sie tun und lassen dürfen, wozu sie die Lust haben.

Jesus hat keinen Freibrief ausgestellt, obwohl ihm die Pharisäer das unterstellen und obwohl seine Jünger am Feldrand Ähren abrupfen. Jesus hat den Seinen nie erlaubt, das Gesetz zu missachten und die Regeln der Gemeinschaft zu ignorieren. So gäbe es auch keinen Grund, sich mit Jesus zu streiten. Es sei denn, man sucht Streit.

So sieht sich Jesus am Rande des Feldes gezwungen, seine Freunde gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie würden einfach das tun, was sie wollten. Und Jesus rechtfertigt sie auf überraschende Weise. Denn er spricht nicht vom Gesetz und dem, was die Jünger getan haben. Er spricht vielmehr von David und dessen souveränen Umgang mit dem Gesetz.

So wie Jesus argumentiert, gibt es keinen anderen logischen Schluss als den, dass Jesus auf einer Stufe mit David steht. Er hat die gleiche Vollmacht wie David und ist der erwartete Messias, durch den das Leben wieder zu seinem Recht kommt und Friede auf Erden wohnen wird. Jesus geht aus einem einzigen Grund souverän mit den Regeln um wie David: Der Hunger soll aufhören und Frieden soll werden.

Wer mit Jesus streitet, muss also zur Kenntnis nehmen, dass dieser das Gesetz Gottes nicht außer Kraft setzt, denn es bleibt gültig zum Schutz von Frieden und Barmherzigkeit. Die Jünger müssen außerdem zur Kenntnis nehmen, dass für alle, die zu Jesus gehören, dessen Haltung zu den Regeln verbindlich ist. Denn Gottes Gesetz schützt Frieden und Gerechtigkeit. Dafür hatte Gott Israel das Gesetz schließlich gegeben.

Diejenigen, die die Welt in ihrem Unfrieden belassen wollen, freuen sich am Streit um Gesetz und Regeln. Sie hoffen darauf, dass der Blick auf den Sinn der Regeln Gottes und auf Jesus verloren geht und sie davon profitieren. Aber die Jünger, die beim Gesetz bleiben, stellen sich dem Frieden, dem Leben und der Barmherzigkeit zur Verfügung.

Auf der Straße

Reformationstag, 31. Oktober

Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel. (Matthäus 10,32–33)

Am Reformationstag feiern wir, dass sich der Glaube an Jesus Christus wieder neu bemerkbar gemacht hat. Wir feiern, dass unsere Mütter und Väter das Geheimnis des Glaubens nicht für sich behielten und auf den Straßen vom Glauben an Jesus Christus sangen. Wir feiern, dass es ihnen sogar egal war, dafür ins Gefängnis zu kommen.

Wir feiern, dass sich der Glaube an Jesus Christus niemals einsperren lässt. Ja, der Glaube ist kein Geheimnis, das sich verbergen lässt, auch wenn Gott für viele unserer Nachbarn geheimnisvoll ist. Es gibt keinen Grund, sich mit dem Glauben an Jesus Christus zu verstecken. Er gehört vielmehr auf die Straßen und Plätze – selbst wenn nur wenige Menschen vom Glauben etwas wissen wollen.

Wir feiern heute auch, dass der Glaube im Lauf der Geschichte nichts von seiner Kraft verliert. Wir feiern, auch wenn wir unsere Lieder wegen Corona nur leise singen oder gar nur summen können. Wir feiern, obwohl wir unsere Hände desinfizieren müssen. Wir feiern und sehnen uns danach, auch reine Herzen zu haben. Wir feiern, denn unser Glaube ist relevant. Er stört sich nicht an Masken und Abstand. Er berührt die Herzen und respektiert das Abstandsgebot trotzdem.

Wir feiern, obwohl wir Umarmungen vermissen und selbst Freunde nicht berühren dürfen. Christus fragt nur danach, ob wir das Geheimnis des Glaubens verkünden und seine Auferstehung preisen. Ihn stört nicht, dass wir das mit Masken vor dem Mund und desinfizierten Händen tun. Entscheidend ist vielmehr, dass wir das große Geheimnis des Glaubens verkünden – bis er kommt in Herrlichkeit.

Offene Fragen

21. Sonntag nach Trinitatis, 1. November

Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn …Und ihr werdet mich   anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr. (Jeremia 29,7.12–14a)

Nein, Jeremia, die Israeliten konnten im babylonischen Exil nicht in Frieden leben und gleichzeitig am Eigenen festhalten. Und das hatte schon in Ägypten nicht funktioniert. Da hatte Josef das Wohlergehen des Pharaos im Sinn. Er besiegte den Hunger, den Ägyptern ging es gut, aber am Ende wurden die Kinder Israels versklavt.

Auch Jeremia verschafft Israel nur einen kurzen Moment der Ruhe, wenn es den Frieden für die sucht, die ihm eigentlich nicht wohlgesonnen sind. O Jeremia! Die Geschichte hat dir zwar recht gegeben, aber nur so weit wie bei Josef. Der Frieden blieb für eine Weile und kam bei der nächstbesten Gelegenheit zu Fall.

Was sollen wir denn heute noch mit deinem Rat anfangen, Jeremia? Willst du, dass wir uns umsehen und schauen, wer in unserer Nachbarschaft lebt und wessen Wohl wir im Auge haben sollen? Willst du, dass wir aus Treue zum Glauben auch denen, die uns nicht wohlwollen, Frieden wünschen? Würde uns das helfen? Können so die Wunden der Vergangenheit heilen? Ist das dein Weg, den Hass in unserer Nachbarschaft zu überwinden? Hilft das gegen die Spaltung und unerbittliche Feindschaft?

Öffnet dein Rat die Ohren und Herzen für Gott, und gibt es dann den Frieden, der ewig währt? Meintest du das für Israel? Und auch für uns? Eine andere Erklärung wäre sinnlos!

Licht im Dunkeln

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, 8. November

So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein … angetan mit dem Panzer des  Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. (1.Thessalonicher 5,6.8)

Die Tage sind kurz. Am Morgen verlassen wir das Haus in der Dunkelheit und kehren am Abend in der Dunkelheit zurück. Dunkelheit bedrückt uns, aber wir sehen trotzdem Licht. Wir sind Kinder des Lichts, lassen uns von der Dunkelheit nicht niederdrücken, von der Verzweiflung nicht überwältigen. Weil wir Kinder des Lichts sind, halten wir dem Dunkel stand. Dieses hat viele Namen: Trauer, Pandemie und Ratlosigkeit, Angst, Schmerzen und Atemnot. Es trägt den Namen von Mächtigen, Lügnern und Gewalttätern. Aber wir sind die Kinder des Lichts. Und dieses hat nur einen einzigen Namen: Jesus Christus. Für die Skeptiker klingt dieser Name nach Ohnmacht, für die Lügner belanglos und für die Wichtigtuer als Nichts. Und so feiern sie ihre Siege, berauschen sich an ihrer Gewalt und beleidigen die Schwachen.

Aber mit Macht greift das Dunkel nach den Trauernden, Ohnmächtigen und Übersehenen. Wir sind Kinder des Lichts. Denn Jesus Christus erhellt unsere Nacht. Und so kümmern wir uns um die Verirrten. Und die, die nicht mehr atmen können. Es ist mühsam, und trotzdem halten wir in der Pandemie aus. Es kostet Kraft angesichts dessen, was Lügner und Wichtigtuer behaupten, nicht zu verzweifeln. Aber wer soll denn etwas tun, wenn nicht wir?

Wir sind die Kinder des Lichts und bleiben wach, wenn es dunkel ist und die Finsternis weiter um sich greift. Wir wissen, dass in der Mitte der Nacht der neue Tag mit Jesus Christus beginnt. Dazu sind wir berufen. Dafür braucht uns Christus. Wir verbreiten mit unserem Glauben Hoffnung, verwandeln mit unserer Liebe die Welt, und unsere Sehnsucht öffnet den Himmel.

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