„With a little help from my friends“

Alles Liebe. Über „Fratelli tutti“, die neue Enzyklika von Papst Franziskus
Illustration Papst Franziskus und neue Enzyklika
Foto: Philipp Gessler

In seinem dritten Lehrschreiben, der Sozialenzyklika „Fratelli tutti“, entfaltet Papst Franziskus einen „neuen Traum der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft“ in aller Welt. Es ist ein bemerkenswerter Text voller Toleranz, Offenheit, gar Selbstkritik der katholischen Kirche – und eine Einladung zum Dialog. Nur das Frauenthema missglückt mal wieder.

Wenn man es in der Pop-Sprache ausdrücken wollte, hat Papst Franziskus mit seiner neuen Enzyklika „Fratelli tutti“ so etwas wie ein Best-of-Album vorgelegt: Alle Themen, die ihm seit seinem Amtsantritt vor siebeneinhalb Jahren auf der Seele liegen, kommen darin vor, ja an viele Stellen zitiert er sich selbst: Er ist für eine Kirche der Armen, gegen Ausbeutung, gegen einen brutalen weltweiten Kapitalismus, für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, für die Entrechteten und Hungernden im Süden der Welt, für internationale Zusammenarbeit, für die Umwelt beziehungsweise Mutter Erde, für Flüchtlinge, gegen Nationalismus und so weiter – man kennt den Franziskus-Sound. Diese Enzyklika ist wahrscheinlich der persönlichste Lehrtext des Argentiniers auf dem Papstthron, vielleicht ist er sogar als sein Vermächtnis zu verstehen, wenn das nicht eine leicht makabre Note hätte.„Fratelli tutti“ ist Franziskus‘ dritte Enzyklika, die letzte ist nun schon fünf Jahre alt. Das war „Laudato si“, ein starker Text über die Umweltzerstörung, von dem manche sagen, er habe den Kampf gegen den Klimawandel vorangebracht, ein sehr politisches Schreiben. Diesen Titel hatte sich Franziskus von dem die Schöpfung feiernden „Sonnengesang“ des Heiligen Franz von Assisi (etwa 1182 – 1126) ausgeliehen, der ihn auch zu seinem Papstnamen inspiriert hatte.  „Fratelli tutti“ nimmt ebenfalls ein Wort des Franz von Assisi auf, was einigermaßen clever ist. So entsteht ein thematischer Bogen, den Franziskus spannen will. Denn es geht um die Notwendigkeit einer weltweiten „Geschwisterlichkeit“, wie es im deutschen Untertitel der Enzyklika heißt. Und dass in dem Fall „Schwestern“ (nicht nur „Fratelli“, also Brüder) mit gemeint sind, darf man trotz vorher gehender Kritik an dem Titel annehmen - ebenso wie man in der neuen Einheitsübersetzung der Bibel bei den Anredeformeln der Paulus-Briefe die mit gemeinten „Schwestern“ in den ersten christlichen Gemeinden einfach ergänzt hat.

Die „Geschwisterlichkeit“, die Franziskus in dem Text als Grundprinzip der Weltgemeinschaft einfordert, hat er auch formal in dem Text elegant eingeflochten – denn er bezieht sich ausdrücklich immer wieder auf Menschen, die ihn gedanklich weitergebracht hätten. Häufig zitiert er Texte von Bischofskonferenzen aus der ganzen Welt von Australien über Südamerika bis Kroatien und Südkorea. Originell und bedeutungsvoll ist, dass er an mehreren Stellen den Großimam Ahmad Al-Tayyeb von der Al-Azhar-Universität in Kairo zitiert, mit dem sich Franziskus im vergangenen Jahr in Abu Dhabi getroffen hatte.

Friedensmission des Bettelmönchs

Es war ein ziemlich spektakuläres interreligiöses Treffen, das mit einer gemeinsamen Erklärung zur Toleranz endete, die aber leider medial nicht die Resonanz erhielt, die der Text verdient hätte. Dass ein Papst einen der führenden Gelehrten der islamischen Welt, der zudem eine gewisse Lehrautorität für rund 1,2 Milliarden Muslime hat, so oft in einer Enzyklika zitiert, ist durchaus bemerkenswert. Franziskus erinnert an die Abu-Dhabi-Erklärung: „Dort haben wir daran erinnert, dass Gott ‚alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen und sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander zusammenzuleben.‘“ 

Franziskus nimmt bei dieser Gelegenheit auch Bezug auf die mehr als außergewöhnliche und lebensgefährliche Reise von Franz von Assisi zu Sultan Malik-al-Kamil in Ägypten Anfang des 13. Jahrhunderts. Es war eine Friedensmission des Bettelmönchs auf ganz eigene Rechnung mitten in der Zeit der Kreuzzüge. Daraus entwickelte Franz von Assisi die bemerkenswerte Aufforderung an seine Mitbrüder, dass keiner seine Identität verleugne, der „unter die Sarazenen und andere Ungläubige gehen will, […] und dass sie weder zanken noch streiten, sondern um Gottes Willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind“, wie Franziskus seinen Namenspatron aus Assisi zitiert. Papst Franziskus hat die Enzyklika am Wochenende am Grab des Heiligen in Umbrien unterschrieben, das passt.

Die Form der Enzyklika korrespondiert also mit seinem Inhalt. Franziskus gibt sich als Lernender aus, der auf die Weisheit anderer hört, eben seiner Geschwister im Geiste, auch aus anderen Religionen und Konfessionen – ausdrücklich genannt werden unter anderem Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Desmond Tutu. Papst Franziskus lobt den Reichtum anderer Religionen, ja sieht seine eigene Kirche aufgefordert, die Wahrheit in den anderen Glaubensgemeinschaften zu suchen und anzuerkennen, wie es schon das Zweite Vatikanum Anfang der Sechziger Jahre verlangt hat. Um es auch hier in der Pop-Sprache zu sagen - „with a little help from my friends“.

Moralische Autorität

Die Sozialenzyklika will, auch angesichts erster Lehren aus der immer noch grassierenden Corona-Epidemie, einen „neuen Traum der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft“ entfalten. Fast poetisch schreibt der Papst: „Träumen wir von einer einzigen Menschheit, wie Weggefährten vom gleichen menschlichen Fleisch, wie Kinder der gleichen Erde, die uns alle beherbergt, jedem mit dem Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jedem mit seiner eigenen Stimme, allen Geschwistern.“

Franziskus verurteilt Intoleranzen und Verbohrtheiten, ja Hass in den Religionen, selbst katholische Medien werden in dieser Hinsicht, jedoch ohne Namensnennung, kritisiert. Die Hetze im Netz bekommt ihr Fett weg, ebenso Nationalismus und Populismus. Nach einer Weile der Lektüre der Enzyklika wirkt es etwas seltsam, ja komisch, wie Franziskus so ungefähr alle Weltprobleme von der Ausbeutung über die Umweltzerstörung bis zum Konsumismus benennt – aber, bei Licht betrachtet: Ist das nicht auch seine Aufgabe? Welche andere Persönlichkeit hätte in dieser Hinsicht global ein annähernd gleiches Gewicht, zumal seine Stimme schon eine gewisse Neutralität und moralische Autorität beanspruchen kann.

So wäre denn alles gut an dieser Enzyklika – aber hier muss dann doch eine der wenigen Stellen in der rund 150-seitigen Enzyklika benannt werden, die missglückt ist, aus eigener Schuld wohlgemerkt. So heißt es im Abschnitt 23: „Entsprechend sind die Gesellschaften auf der ganzen Erde noch lange nicht so organisiert, dass sie klar widerspiegeln, dass die Frauen genau die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben wie die Männer. Mit Worten behauptet man bestimmte Dinge, aber die Entscheidungen und die Wirklichkeit schreien eine andere Botschaft heraus.“ Solche Sätze klingen hohl in einer Weltkirche, in der Frauen eben nicht die gleichen Rechte haben wie Männer, eben vor allem nicht das Recht, als Priesterinnen geweiht zu werden. Die fehlende Frauenordination fällt der katholischen Kirche zumindest im Norden der Welt immer mehr auf die Füße. Dieses immense Manko, dieses schreiende Unrecht verdunkelt die vielen richtigen Dinge, die die katholische Kirche zu sagen hat. „Fratelli tutti“ ist dafür erneut ein Beispiel.

Anregender Appell

Wobei zu bemerken ist: Die neue Enzyklika ist eben nur selten nach innen, also in den Binnenraum der Kirche, gerichtet, auch wenn Franziskus nicht an Selbstkritik über das Versagen der Kirche vor allem in der Vergangenheit spart. Aber wer klare Aussagen zu den gegenwärtigen Streitfragen in der katholischen Weltkirche erwartet, wird enttäuscht. Der Blick des Pontifex Maximus geht nach außen, hinaus in die Welt. Insofern wäre es auch ein wenig ungerecht, die neue Enzyklika nur an der skandalösen Inkonsequenz in der Frauenfrage zu beurteilen. Papst Franziskus interessiert sich in seinem Pontifikat vor allem für die Armen und den Süden der Welt, das wird in diesem Lehrschreiben mal wieder sehr deutlich. Das mag man bemängeln, aber es ist so.

So hat diese Enzyklika Grenzen. Dennoch ist sie stark, denn alles in allem ist das Schreiben von Papst Franziskus ein durchaus anregender Appell, der – würde er denn befolgt – die Welt zu einem besseren Ort machen würde. Die Enzyklika endet mit einem „Ökumenischen Gebet“, das den Geist der Toleranz und des Dialogs gut zusammenfasst, der in dem Text atmet: „Herr, unser Gott, dreifaltige Liebe, / lass aus der Kraft deiner innergöttlichen Gemeinschaft / die geschwisterliche Liebe in uns hineinströmen. / Schenke uns die Liebe, die in den Taten Jesu, / in der Familie von Nazareth und in der Gemeinschaft der ersten Christen aufscheint. / Gib, dass wir Christen das Evangelium leben / und in jedem Menschen Christus sehen können, / dass wir ihn in der Angst der Verlassenen und Vergessenen dieser Welt / als den Gekreuzigten erkennen / und in jedem Bruder, der sich wieder erhebt, als den Auferstanden. / Komm, Heiliger Geist, zeige uns deine Schönheit, / die in allen Völkern der Erde aufscheint, / damit wir entdecken, dass sie alle wichtig sind, / dass alle notwendig sind, dass sie verschiedene Gesichter / der einen Menschheit sind, die du liebst. Amen.“ Oder, um es ein wenig nüchterner in der Sprache des Pop zusammen zu fassen: „All you need is love, love – love is all you need.“

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