Thanks for the dance

Mit Leonard Cohen hinübertanzen
Foto: Privat

Thanks for the dance lautet der Titel eines der letzten Lieder, die Leonard Cohen, bereits sichtbar vom Krebs gezeichnet, im Sprechgesang vorgetragen hat. Er, der enge Beziehungen zum Buddhismus unterhielt, ohne jemals sein Judentum aufzugeben, der auch dem Christentum in freundlicher Nähe verbunden war, änigmatische Höhen und drogenharte Abstürze durchlebte, der sich in vielen Frauen verkroch, wählt diesen Schlussakkord, der mir als ehemaligem Vinyljunkie bereits beim ersten Hören in die Beine gefahren ist, erdenschwer und himmelleicht. Ein anarchisches Bündnis von Leid und Glück, das vorwiegend heiter stimmt. Ungeheuchelt wird die Qualität der Weltbeziehung als wehmütiger Tanz, als rhythmisches Sprechgebet vorgetragen, das in seinen Gestaltverläufen im herrlich vitalen Antrieb von Enge und Weite immer wieder an Höhe gewinnt und Freude empfinden lässt. Musik habe ich immer als Stimmungsgenerator oder Stimmungsverdichterin eingesetzt. Cohen war bei mir stets eine Spezialität für melancholische Augenblicke, Randy Newman, Neil Young oder Bruce Springsteen bedienten andere Stimmungslagen. Tanz also.

Seit vielen Jahren schlage ich mich, für einen liberalen Aufklärungstheologen vielleicht eher ungewöhnlich, mit einem nicht eben kleinen Problem herum: Die tradierten Bildprogramme der Paradiesvorstellungen haben merklich an Attraktivität verloren: Der Augenschmaus beim Blick auf das strahlende Antlitz Gottes? Oder: Ewiges Leben als Feierbiest? Friedlich chillen im Hortus conclusus? Juchzend eintauchen in ein liebendes Kraftfeld? Oder doch vielleicht der Tanz als Ausdruck von spielerischer Kreativität und Lebendigkeit, mit dem nach Sprüche 8,31 alles anfing?

Und dann das: Die neue Normalität der Pandemie codiert schleichend die Bildprogramme um. Eine junge Frau, die vor der Kamera im ZDF schamfrei bekennt, sie könne ohne zu feiern, drei Mal pro Woche, bitteschön, nicht leben; einem Mann, eher aus meiner Alltagskohorte, fehlen die großen Familienfeiern an runden Geburtstagen, Geburtstage könne man nicht vertagen; eine Frau, im besten Sinne alterslos, vermisst die prächtigen Gottesdienstfeiern, das fröhliche Fest Erntedank habe sie dieses Jahr eher nach unten gezogen.

In den Zeiten der Pandemie können wir uns nicht so belohnen, wie wir es in der alten Normalität vermochten. Und dieser Verlust ist auch leiblich spürbar. Damit gewinnt hinterrücks die Bildwelt paradiesischer Freuden erneut an Anziehungskraft. Wir wissen jetzt mit neuer Sicherheit um die Qualität von Feiern für das Leben. Sibylle Lewitscharoff ist ganz entschieden: „Was ich erwarte? Beseligende Freude, Weisheit, ein wenig unterfüttert mit homerischem Gelächter, sprachliche Ausdrucksformen, schwer zu unterscheiden von einer Musik, die auf Wellen tanzt, Klanggebilde von höchster Präzision, in denen immer neue Formen der Erkenntnis aufscheinen, welche helfen, die verschwiegenen Rätsel der Unermesslichkeit des Alls und damit Gottes Wirkwerk in seiner Komplexität zu begreifen. Was je gelebt hat, ist darin enthalten und entfaltet sich wieder zu neuer Blüte in einer in Schönheit dargereichten und aufgehobenen Seinszuversicht.“ Homerisches Gelächter? Gerne! Eine kleine Portion niederländische Albernheit, bitte. Die ist mir lebenswichtig. Und den melancholischen Ton Cohens. Thanks for the dance.

Leseempfehlungen: Uwe Birnstein hat soeben die verwickelte Karriere Cohens und den religiösen Gehalt vieler Lieder, der oft nicht Eingang ins Gedächtnis gefunden hat und jetzt erst durch dieses Buch schamvoll entdeckt wird, nachgezeichnet: ‚Hallelujah‘, Leonard Cohen! Wie Leonard Cohen Gott lobte, Jesus suchte und unsere Herzen berührt, München / Zürich / Wien 2020. Sibylle Lewitscharoff, Heiko Michael Hartmann: Warten auf. Gericht und Erlösung. Poetischer Streit im Jenseits, Freiburg, Basel, Wien 2020, 176. Über Lewitscharoffs Gerichtsvorstellung müsste freilich mit ihr wacker streiten.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Privat

Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"