Fatales „Wir-gegen-die“-Denken

Eine Replik auf Johann Hinrich Claussens Artikel „Religion von neurechts“ in zz 3/2021
Benjamin Hasselhorn
Foto: dpa/Jörg Carstensen

Der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen schrieb in einem Beitrag in der Märzausgabe der zeitzeichen, der  Würzburger Historiker und Theologe Benjamin Hasselhorn gehöre als „Schüler und Weggefährte“ des Historikers Karlheinz Weißmann zu den „Neuen Rechten“. Hasselhorn weist dies zurück.

Den Anschuldigungen, die Johann Hinrich Claussen in der Märzausgabe der zeitzeichen gegen mich erhoben hat, widerspreche ich entschieden.

Im Januar 2020 habe ich auf Einladung der CDU-Fraktion im Kulturausschuss des Bundestages als historischer Sachverständiger in der Frage der Hohenzollernentschädigung ausgesagt. Zu meinem Erstaunen erschien anschließend in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel eines Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung über mich. Erstaunt war ich, weil es in dem Artikel nicht etwa um meine inhaltlichen Positionen ging, sondern mir wurde im Stile einer Verschwörungstheorie und mit Hilfe von Kontaktschuld-Argumenten eine Nähe zur „Neuen Rechten“ unterstellt. Noch erstaunlicher aber ist, dass ein evangelischer Theologe mit dem Amt des EKD-Kulturbeauftragten wie Claussen sich diese falsche Unterstellung offensichtlich ungeprüft zu eigen macht. Claussen, der bereits öffentlich mit mir über Kirchenpolitik diskutiert hat, könnte es eigentlich besser wissen. Einiges in seinem Text bedarf aus meiner Sicht der Klarstellung:

Grenzen verwischt

Auch bei mir ist die Sorge groß, dass aufgrund des Erstarkens von Populismus und der verschärften gesellschaftspolitischen Polarisierung in Deutschland wie in anderen Ländern der „westlichen“ Welt Radikale wieder politisch Fuß fassen könnten. Gerade diejenigen, die verständlicherweise eine klare Abgrenzung Konservativer vom Rechtsradikalismus fordern, sollten es aber vermeiden, konservative Personen und Positionen als „neurechts“ zu verunglimpfen. Denn so verwischen sie ihrerseits die Grenzen. Leider ist genau dieses Vorgehen in öffentlichen Auseinandersetzungen von gefährlicher Verführungskraft: Man muss sich mit den Argumenten eines anderen nicht mehr auseinandersetzen, wenn es gelingt, ihn als „rechts“ zu denunzieren, und hat das Gefühl, die Auseinandersetzung gewonnen zu haben. Doch das Gefühl täuscht: In Wirklichkeit hat gar keine Auseinandersetzung stattgefunden, sondern die gemeinsame Suche nach der Wahrheit wurde durch ein reines Machtspiel ersetzt – und das auch noch mit gutem Gewissen, weil man sich sowieso schon im Besitz der Wahrheit glaubt.

Claussen behauptet, ich sei „Schüler“ und „Weggefährte“ Karlheinz Weißmanns. Damit legt er mir die politischen Positionen eines Lehrers zu Last, der mich vor 17 Jahren in der Schule unterrichtet hat. Nur um keinen Zweifel über diesen absurden Vorwurf zuzulassen: Meine politischen Positionen haben nichts mit dem zu tun, was Claussen insinuiert. Sie sind geprägt durch den klassischen Liberalismus, wobei ich auch von konservativen Autoren wie Edmund Burke oder Roger Scruton viel gelernt habe. Ich habe diese Positionen in kritischer Auseinandersetzung mit den Ideen liberaler, sozialdemokratischer, konservativer und natürlich auch linker und rechter Autoren entwickelt, und selbstverständlich ändere ich meine Auffassungen, wenn neue Informationen und plausible Argumente dafür sprechen. Ausgrenzung von konservativen Positionen aus dem öffentlichen Diskurs, davon bin ich überzeugt, ist erstens antipluralistisch und antidemokratisch und zweitens kontraproduktiv für das Funktionieren freier Gesellschaften. Ich bin der liberalen und pluralen Verfasstheit unserer „westlichen“ Welt verpflichtet und stelle mich gegen jeden Versuch, sie aus einer „neurechten“, einer „identitären“ oder einer „völkischen“ Perspektive zu untergraben. Dasselbe gilt auch für alle anderen Versuche, die demokratische und freiheitliche Ordnung zu zerstören. Ihre Verteidigung gehört zu den wichtigsten politischen Aufgaben der Gegenwart. Diese Aufgabe ist aber nur zu bewältigen, wenn die Grundregeln einer fairen und sachbezogenen Auseinandersetzung eingehalten werden und keiner „Wir-gegen-die“-Mentalität das Wort geredet wird.

Tendenz zur Politisierung

Claussen behauptet, ich hätte „eine scharf entwertende Kritik des demokratischen Protestantismus veröffentlicht“. Ich lade jeden ein, meine kirchenpolitischen und theologischen Publikationen – übrigens auch in zeitzeichen – selbst zu lesen und sich zu vergewissern, dass Claussens Behauptung nicht zutrifft. Claussen bezieht sich mit seiner Invektive vor allem auf mein in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienenes Buch Das Ende des Luthertums?. Ich erörtere darin, warum ich gerne evangelischer Christ bin, was evangelisch sein für mich bedeutet und was an der aktuellen Situation in Theologie und Kirche kritikwürdig ist. Im Wesentlichen sind das drei Dinge: eine Tendenz zur Politisierung von Glaubensfragen; eine Tendenz, die frohe, aber auch ernste Botschaft des Evangeliums auf banale Botschaften zu reduzieren; und eine Tendenz, sich in eine lebensfremde theologische Sprache zu flüchten und damit an den existentiellen Fragen von heute vorbeizureden. Das soll „entwertend“ sein? Das soll sich gegen die Demokratie richten?

Zwei Sätze aus Das Ende des Luthertums?, die sich gegen die Politisierung von Glaubensfragen richten, wurden in einem Positionspapier eines AfD-Verbandes ungefragt zitiert, weshalb Claussen mich einen „wichtigen Stichwortgeber“ der AfD nennt. Das ist so absurd wie infam. Niemand kann kontrollieren, von wem er zitiert wird. Jeder, der mein Buch gelesen hat, weiß, dass ich die Politisierung von Glaubensfragen grundsätzlich kritisiere, ganz egal, ob das von links oder von rechts geschieht. Kritisiert wurde die Politisierung von Glaubensfragen übrigens lange vor mir, unter anderem von Wolfgang Schäuble und Volker Beck. Einer jüngst durchgeführten repräsentativen Umfrage zufolge teilen 48 Prozent der Deutschen diese Kritik. Sind das für Claussen auch alles Stichwortgeber der AfD?

Nach dem Erscheinen der AfD-Kirchenbroschüre hat Claussen laut Deutschlandfunk gesagt, er fände es schade, „wenn Kritik an der Evangelischen Kirche in Deutschland künftig verhaltener ausfallen würde – aus Angst, in die AfD-Ecke gestellt zu werden.“ Gilt das nur für seine Kirchenkritik, nicht aber für die Kritik derjenigen, die er für „Feinde“ hält?

Ich schreibe „Feinde“, weil Claussen 2017 in einem Beitrag für diese Zeitschrift für einen neuen politischen und theologischen Begriff von „Feindschaft“ plädiert hat. Über den „Feind“ schreibt er: „Er darf keinen noch so kleinen Anteil an der Macht erhalten, sein Sieg ist unter allen Umständen zu verhindern, Kompromisse sind mit ihm nicht erlaubt. Es darf kein Appeasement geben. Man darf nicht vor dem Feind zurückweichen. Man muss ihm widerstehen.“ Wie der Widerstand konkret aussehen soll, schreibt Claussen auch: Er fordert eine „Mischung aus Diplomatie und Gegengewalt“.

Diese Feindestheologie bewirkt nichts Gutes. Sie verstärkt das fatale „Wir-gegen-die“-Denken, das unsere Gesellschaft spaltet. Und sie bringt Claussen dazu, die Ebene einer sachlichen Diskussion zu verlassen und stattdessen mit Unterstellungen, Kontaktschuldkonstruktionen und persönlichen Diffamierungen zu arbeiten. Solchen Methoden Raum zu geben, erweist unserer demokratischen Streitkultur keinen guten Dienst. 

Den Artikel von Johann Hinrich Claussen, auf den sich der Autor bezieht, lesen Sie hier: zeitzeichen.net/node/8850

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Foto: Markus Pletz

Benjamin Hasselhorn

Benjamin Hasselhorn ist evangelischer Theologe und Historiker. Von 2014 bis 2019 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und war Kurator der Nationalen Sonderausstellung 2017 "Luther! 95 Schätze - 95 Menschen" in Wiitenberg. Seit April 2019 ist er Akademischer Rat a. Z. am Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg.


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