Höhere Mächte

Seltsames Streicheln von Mogwai

Den Witz daran muss man in diesen Dystopie-geneigten Zeiten suchen und auf einem Mogwai-Album erst recht, ist die Band aus Glasgow doch eher für Ernst als für Humor bekannt. Doch beide sind auf ihrem zehnten Studioalbum As The Love Continues zu finden, das mit einem gesprochenen Satz (zugleich Titel des ersten Stücks) so beginnt: To the bin my friend, tonight – we vacate the earth. Übersetzt: Ab in den Bunker, heute Nacht räumen wir die Erde. Wobei bin, der Kasten, in solchem SciFi-Zusammenhang wohl auch auf Noahs Arche anspielt. Jedenfalls wird ein düsteres Szenario angetippt. Die Musik jedoch schreitet ohne Irrtiation unerschrocken, vielfarbig und konzentriert aus, wie wir das von diesen Hardcore-Ambientlern kennen: sachter Beginn, die tief ausgeloteten repetitiven Muster, Steigerung und Rücknahme, Präzision, Liebe zum Sounddetail, auf der Bühne unbewegte Mienen – und, ist man erst drin, seltsames Streicheln: Mogwai schaffen Klanggebäude, die man nicht mehr verlassen mag.

So, wie sie 1997 ihr Debut Young Team programmatisch zu knackendem Instrumente-Einstöpseln eröffneten: Bigger than words and wider than pictures – if the stars had a sound, it would sound like this. Ansonsten sind Worte verfremdet, Klangmaterial. Die Kenntlichkeit steckt, für Postrock typisch, in der Musik. As The Love Continues hat mit der Ballade Ritchie Sacramento trotzdem einen, huch, veritablen, wave-getauften Stadionknaller mit packenden Lyrics: Disappear inside/All gone, all gone/It took a while just to think/Of home, of home. Gewidmet ist der Song den befreundeten Musikern, die sie über die Jahre verloren haben. So schmeichelnd der Gesang aber auch ist, der Titel beruht auf einem Hörmissverständnis (von Ryuichi Sakamoto), der Text auf einer Anekdote zu dem tragischen Silver Jews-Musiker David Berman.

Doch sie erinnern bloß, sie dramatisieren nicht. Auch das ist typisch: Mogwai haben Stil. Unmittelbar drauf folgt denn auch das so opulente wie filigrane, dabei recht harte Drive The Nail – als setzten sie heute mit ihrem Ansatz eine White Album-Session fort. Faszinierend, wie aus leichtem Picking und Orgelklang eine wohnliche Trutzburg entsteht. Aus Konfrontationen, aus entwickelten, ausagierten Gegensätzen speist sich die Magie. Dasselbe Händchen für Abfolge prägt die gesamte Platte, die in der Tat ein Album ist. Elf Stücke, gut sechzig Minuten, danach gleich auf die Repeat-Taste: Dynamik der Tracks wie des Albums bedingen sich und bilden sich im Hörerlebnis unmittelbar ab. Taking drugs to make music to take drugs to, haben das Spacemen 3 genannt. Mogwai setzen da indes ganz auf die Musik. Die Spanne reicht von fröhlich leichtem Ambient und atmosphärischer Expedition bis zum harten Elektro-Grunge von Ceiling Granny. Eine perfekte Arbeit, deren Mühe nie spürbar wird – dafür aber der Titel, der sich im Hören erfüllt: As The Love Continues.

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