Wundertüte

Eine Mixtur vom Feinsten

In seinen besten Zeiten, als der große Henri Nannen noch lebte und die Auflage noch nicht zum Sinkflug angesetzt hatte, wurde die Zeitschrift Stern „Wundertüte“ genannt. Warum? Weil alles so großartig, pompös, schön anzuschauen und zu lesen war – Magazin at it’s best eben. Die neue CD des Athesinus Consorts Berlin könnte in dieser Tradition als eine klingende Wundertüte bezeichnet werden. In den wenigen Zeilen, die hier zur Verfügung stehen, werden wir die Fülle und die Rätsel der CD mit dem Titel 432 (der vom tieferen Stimmton 432 Hertz herrührt, der verwendet wird) zwar nicht entschlüsseln können, aber auf jeden Fall gilt es festzuhalten: Die Scheibe ist schön und selten, ein Unikat eben – in jeder Beziehung.

Spiritus rector Klaus Martin Bresgott hat für diese variationsreiche Eineinviertelstunde viele Verse geschmiedet und mit ihnen sehr unterschiedliche Musik vermählt. Das berühmte Air aus Bachs Orchestersuite BWV 1068 („Spür der Liebe Mut, sie ist dein Gut“) zum Beispiel und – eigentlich nur angetäuscht – das nicht minder berühmte C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Clavier, an das ein lebenslustiger Refrain nach Operetten-Motiven angefügt ist („Komm, lass uns schaukeln, wir fliegen/verlassen den festen Grund,/berühren den Himmel, das Leben/begegnet uns reich und bunt“) nebst drei wilden Textkaskaden im Deutschrap-Style, und das Ganze heißt dann „Einladung“.

Ja, ja, alles so reich und bunt hier! Und hören Sie doch mal rein in das „Fischlein-Magnificat“: eine bekannte Magnificatkomposition des englischen Barockheroen Henry Purcell, verknüpft mit der freudvollen Entdeckung einer Schwangerschaft – dazwischen komponiert und gesprochen vom … Liedermacher Gerhard Schöne. Glauben Sie nicht? Ist aber wahr. 432-wahr ist auch, dass Starschauspieler Ulrich Noethen Verse aus dem Epheserbrief (4,17–32), von Bresgott frei und anregend übertragen, über einem Orgelteppich rezitiert. Man ist ja schließlich evangelisch – völlig selbstverständlich und durchaus spirituell eigensinnig, aber so soll’s wohl sein.

So, der gedruckten, klangfreien Worte sind genug gemacht. Wer diese tönende Wundertüte entdecken will, muss sie hören. Vielleicht klingt manchen manches kitschig. Aber das macht gar nichts, denn es wäre Edelkitsch vom Feinsten. Vom Feinsten, auf höchstem technischen und klanglichen Niveau, musizieren auch alle Ausführenden. Nicht zu vergessen die Gäste, die das Ganze gehörig mitveredeln: neben Noethen der Saxophonist Uwe Steinmetz und die beiden so unterschiedlichen wie berückenden Gesangssolistinnen Rebecca „Rivka“ Rothstein und Pascal von Wroblewsky – alles in allem bunt, lebendig, glaubensvoll. Na dann, Amen.

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