Eigenständig

Der Außenseiter Schenkel

Endlich erscheint eine angemessene und umfassende Würdigung von Gotthilf Schenkel (1889 – 1960), dem profilierten Gemeindepfarrer, eigenständigen Theologen, kämpferischen „Religiösen Sozialisten“ und späteren Kultusminister. Trotz vielfacher örtlicher Erinnerungen und Gedenkfeiern wie etwa in Esslingen und Zuffenhausen bleibt Schenkel bislang vergessen und war bei den Nationalsozialisten verschmäht – wegen seiner eindeutigen politischen Position, die er auch nach seiner durch die Kirchleitung verordneten Versetzung nach Unterdeufstetten beibehielt.

Ob die Schmähungen von damals und das Vergessen von heute zusammenhängen? Jedenfalls ist es das außergewöhnliche Verdienst des Kirchenhistorikers Jörg Thierfelder, des Publizisten Hans Norbert Janowski und des Gemeindepfarrers Günter Wagner, diesem „Freigeist“ und „Außenseiter“ zu gebührender Anerkennung in Kirche, Gesellschaft und Theologie zu verhelfen. Dieser Band nun schlägt eine wissenschaftlich ausgewiesene Brücke zwischen dem sowohl von den „Deutschen Christen“ als auch von der Bekennenden Kirche gemiedenen Theologen hin zum Politiker und Seelsorger.

Schenkel, beeinflusst durch Theodor Hearing, Otto und Hermann Umfrid, Erich Schairer, Christoph Friedrich Blumhardt, Mahatma Gandhi und Albert Schweitzer, positioniert sich früh gegen den „Hitlersturm“, gewinnt einen selbstständigen theologischen Ansatz („Jesus hat nicht den Glauben gelehrt, sondern die gute Tat“ ), der ihn als liberalen Theologen auch bei den Freunden der BK verdächtig macht. Die politische Laufbahn von Schenkel brach Mitte der 1950er-Jahre nicht nur wegen einer neuen Koalition, sondern auch wegen eines kulturpolitischen Streits ab. Alle diese Stationen zeichnen die Autoren des Buches kundig und fundiert nach. Dass dabei auch Schenkels Engagement als Freimaurer zu Wort kommt, ist selbstverständlich – neben der historischen Würdigung der Religiösen Sozialisten, die in Württemberg in den 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre eine große Rolle spielten: Namen wie Paul Weitbrecht, Eberhard Lempp, Ernst Bizer und Julius Brückner sind dabei zu nennen. „Brücke zu den Arbeitermassen, Aufbau einer lebensnahen Volkskirche, Verständnis für die Arbeiterschaft und Überwindung des Klassenkampfes …“ waren nach Schenkel deren Ziele.

Für die württembergische Kirchengeschichte und für die aktuellen kirchlichen und politischen Herausforderungen ist diese Biografie nicht nur lesenswert, sondern notwendig und äußerst hilfreich, weil Schenkels Eigenständigkeit manche theologischen und spirituellen Grenzen von heute aufbrechen könnte. Den Autoren gebührt für ihre Arbeit Anerkennung und großer Dank.

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