Hoffnung

Neues Moltmann-Brevier

Zum 95. Geburtstag des bedeutenden Theologen hat der Gütersloher Verlag ein Meditationsbuch herausgebracht. Es bietet – nach dem Vorbild der Breviere und Stundenbücher – Texte zum täglichen Gebrauch. Der Moltmann-Schüler und Schriftsteller Reiner Strunk hat diese Texte aus Jürgen Moltmanns Werken gesammelt und daraus im Rhythmus der 52 Wochen des Jahres eine Anleitung zur Lektüre und kurzen Konzentration auf die Lebensfragen einer und eines jeden gemacht.

„Wir müssen wieder lernen, Ja oder Nein zu sagen“ – heißt es am Donnerstag der 15. Woche (ohne Kalendarium). „Ein Streit kann mehr Wahrheit enthalten als ein toleranter Dialog. Wir brauchen eine theologische Streitkultur mit Entschlossenheit und Respekt. Warum? Um der Wahrheit Gottes willen!“ Also besser Streit im gegenseitigen Respekt als der gleichgültige Pluralismus der Lebensstile und Religionen. In diesen Meditationstexten wird keine müde Friedfertigkeit sanktioniert, sondern, wie es an anderer Stelle heißt, für eine „versöhnte Verschiedenheit, die ausgehaltene und produktiv gestaltete Differenz“ plädiert.

Es geht in diesen kurzen Textpassagen um die großen Fragen von Liebe und Tod, den Kampf um die Zeit als mechanische und als Lebenszeit, um den gebrochenen Bund mit der Natur; es geht um das befreiende Spiel, um Leib und Seele, den Himmel und die Freiheit. Besonders gewichtig zumeist die Texte zum Sonntag – der Rhythmus des Jahres und des christlichen Festkalenders färbt die Themenauswahl eher als Begleitmusik ein.

Überhaupt die Farben – die Morgenröte als Metapher der Hoffnung flutet gleichsam das Denken des Glaubens: „Das Christentum ist ganz und gar und nicht nur im Anhang Eschatologie, ist Hoffnung, Aussicht und Ausrichtung nach vorne, darum auch Aufbruch und Wandlung der Gegenwart. Das Eschatologische ist nicht etwas am Christentum, sondern es ist schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens, der Ton, auf den in ihm alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte eines erwarteten neuen Tages, in die hier alles getaucht ist … Eschatologie ist das Leiden und die Leidenschaft, die am Messias entstehen.“

Es ist schön und theologisch bemerkenswert, dass die Morgenröte der auf die Zukunft und ein Ende ausgerichteten Bewegung des Lebens nicht in ein Abseits von Erde und Welt zielt, sondern in Moltmanns Sicht der Erde treu bleibt: „Wir werden nicht von dieser Erde erlöst, so dass wir sie aufgeben könnten. Wir werden mit ihr erlöst. Wir werden nicht vom Leib erlöst, sondern mit ihm ewig lebendig gemacht. Darum richtet sich die ursprüngliche Hoffnung der Christen nicht auf das Jenseits im Himmel, sondern auf die Ankunft Gottes und seines Reiches auf dieser Erde ... Wir bleiben der Erde treu, denn auf dieser Erde stand das Kreuz Christi. Seine Auferstehung ‚von den Toten‘ ist auch eine Auferstehung mit den Toten und mit dieser blutgetränkten Erde.“

Jürgen Moltmanns Sprache ist, auch in seinen wissenschaftlich-theologischen Werken, eine interpretierende, begrifflich genaue Glaubensgedanken beschreibende und oftmals eben auch eine literarisch gestaltete Sprache; sie ist daher auch in einem meditativen Text umstandslos zitierbar und verständlich.

Es ist dem Herausgeber Reiner Strunk gelungen, Textpassagen zu versammeln, die ohne Streben nach dogmatischer Geschlossenheit den Weg und die Konturen eines Denkens aus dem Glauben erschließen. Die Quellen sind jeweils angegeben, so dass es möglich ist, die Gedanken in dem Zusammenhang zu studieren, dem sie entnommen sind.

Wer sich auf dieses Brevier als Anleitung zur Meditation einlässt, kann die Erfahrung machen, dass hier ein Wegweiser zum Weggefährten wird, der sich nicht geistlich belehrend aufdrängt, sondern die Phantasie der Leserinnen und Leser belebt und zum selbstständigen Denken und Leben aufmuntert. Dieser befreiende Gestus ist die besondere Stärke dieses Buches und macht es zu einem täglichen Elixier.

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