Lernende Lehrer

Sonntagspredigt
Foto: Privat

Die Gedanken zu den Sonntagspredigten für die nächsten Wochen stammen von Jürgen Wandel. Er ist Mitarbeiter von zeitzeichen.

Kleine Brötchen

 6. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juli

Gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. (Matthäus 28,19–20)

In dem schwäbisch-alemannischen Mischdialekt, den ich spreche, wird nicht zwischen „lehren“ und „lernen“ unterschieden. Und das ist auch in manchen Gegenden der Schweiz der Fall. Beide Wörter sind nicht nur etymologisch miteinander verwandt. Lehren und lernen sind Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen und die Beteiligten anregen und weiterbringen. Eine gute Lehrkraft zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Berufung und Mission hat. Eine Lehrerin muss von ihrem Beruf überzeugt sein und ihren Klassen mit Leidenschaft Wissen und Werte vermitteln. Und der Lehrer muss genauso bereit und offen sein, selber ein Leben lang zu lernen, nicht nur in Fortbildungsseminaren, sondern auch von denen, die er (be-)lehrt. In diesem Sinne sollte jeder Christ eine gute Lehrkraft sein. Er muss darlegen können, was den Glauben an Gott auszeichnet und warum ihn dieser gestärkt und verändert hat. Und Christen müssen zuhören und bereit sein, sich auf die Erfahrungen und Argumente Andersdenkender und Andersgläubiger einzulassen. Es ist ein Irrtum, dass Lehre nur den Kopf anspricht. Eine gute Lehrperson kann Schülerinnen und Schüler begeistern und mitreißen. Sie lehrt nicht nur durch Worte, sondern auch durch ihr Verhalten. Wenn in der Kirche über Mission gesprochen wird, werden oft große Strategien entworfen. Wie wäre es, zuerst einmal kleine Brötchen zu backen? Und zwar beharrlich! Ich denke an die älteren Damen in englischen Kirchen, die nach dem Gottesdienst auf mich zukamen, zum Kirchenkaffee einluden und sich erkundigten, woher ich käme und ob ich zum ersten Mal im Land wäre. Da blitzte kurz auf, dass Christen nicht nur zu denen (gast-)freundlich sind, die sie kennen, sondern auch zu Wildfremden. Und vielleicht fragt der eine oder andere Nichtchrist nach einer solchen Erfahrung, warum das so ist.

 

Großer Durst

7. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juli

So spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. (1. Könige 17,14)

Die ersten 16 Verse aus dem 17. Kapitel des alttestamentlichen Königsbuches erzählen von einer Dürre. Und ihr Ende ist nicht abzusehen. Erst am Ende des 18. Kapitels ist es so weit: „Es kam ein großer Regen“ (Vers 45). Ausbleibender Regen war und ist im Nahen Osten besonders bedrohlich. Denn dort gibt es bekanntlich wenig Wasser. Aber seit einigen Jahren häufen sich auch bei uns regenarme Zeiten, bedrohen die Wälder und machen den Bauern zu schaffen. Trotzdem belasten uns Zeiten der Dürre vor allem im übertragenen Sinn: Menschen machen – in unterschiedlicher Weise – die Erfahrung, dass Seele und Geist austrocknen. Sie haben keine Ideen und Visionen (mehr), wie sie ihr Leben gestalten und die Gesellschaft verändern und verbessern können. Und mitunter droht auch der Glaube zu verdorren. Besonders dann rufen wir mit dem Verfasser des 42. Psalms: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ Hinter uns liegt eine besondere Dürreperiode: Über ein Jahr lang mussten wir wegen Corona auf viele Kontakte mit Menschen verzichten, die uns nahestehen. Und den Wenigen, die wir sehen konnten, reichten wir wegen der Ansteckungsgefahr nicht mehr die Hand, von Umarmungen und Küssen ganz zu schweigen. Und untersagt war der Gemeindegesang, der Menschen im Gottesdienst erbaut, verbindet und über sich hinauswachsen lässt. Der heutige Predigtabschnitt erzählt, dass Gott die Menschen auch in Zeiten der Dürre mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Wir durften erleben, dass Forscherinnen und Forscher in kurzer Zeit Impfstoffe gegen Corona entwickelten. Bei der Kinderlähmung hatte es noch rund zehn Jahre gedauert, bis ein wirkungsvoller Impfstoff zur Verfügung stand. Ende gut, alles gut? Für manche kam die Impfung gegen Corona zu spät. Die einen starben an der Seuche. Andere überlebten eine Infektion, aber leiden bis heute noch an ihren Folgen. Und manche sind zwar nicht körperlich erkrankt, aber seelisch. Nur das Vertrauen und die Hoffnung darauf, dass Gott uns wieder „zum frischen Wasser“ führt (Psalm 23,2), lässt Zeiten der Dürre aushalten

 

Ratlose Hörer

8. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juli

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. (1. Korinther 6,12)

 Diese Aussage leuchtet auf Anhieb ein. Denn Christen, ja alle Menschen müssen immer wieder prüfen, ob es „dem Guten“ dient, was sie als Eltern, Wahlberechtigte, Politikerinnen, Vermieter und Manager tun. Sie müssen dabei darauf achten, was über sie Macht hat. Das kann Gier sein, die sich schlimmstenfalls in einer Sucht äußert. Und auch sexuelles Verlangen kann einen Menschen so sehr beherrschen, dass er Mitmenschen nur noch als Mittel zum Zweck der Luststeigerung benutzt und ausnutzt. So allgemein, so gut. Aber Paulus wird konkret(er). Er schreibt an die Christen in Korinth, dass weder „Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Habgierige noch Trunkenbolde … das Reich Gottes ererben“ werden (1. Korinther 6,9–10). Und wie gehen landeskirchliche Predigerinnen und Prediger mit diesen Aussagen um? Hier lohnt ein Blick auf Predigten, die im Internet veröffentlicht sind: Für den inzwischen pensionierten Bischof einer konservativen Region in Deutschland war die Sache klar: Mit „Lustknaben“ und „Knabenschänder“ meint Paulus alle Homosexuellen. Denn diese pflegen „verbotene sexuelle Beziehungen“. Für die Pfarrerin einer großstädtischen Hauptkirche geht es dem Apostel dagegen um sexuellen „Missbrauch“. Und andere Predigerinnen und Prediger umgehen Paulus’ „Lasterkatalog“. Aber damit ist nichts gewonnen. Ratlos bleiben dann diejenigen Gottesdienstbesucher zurück, die bei der Verlesung des Predigttextes 1. Korinther 6,9–14 gut zugehört haben. Dabei können sie von den Predigenden, die an einer Universität Theologie studiert haben, zu Recht eine sachkundige Auslegung erwarten.

 

Geschärfter Blick

9. Sonntag nach Trinitatis, 1. August

Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. (Matthäus 7,24)

Freunde und Bekannte habe ich einmal gefragt, wie sie die dritte Bitte des Vaterunsers, „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“ (Matthäus 6,10), verstehen. Für die meisten drückt sie eine passive Haltung aus, nämlich im Vertrauen auf Gott das hinzunehmen, was uns widerfährt. Meine Umfrage war natürlich nicht repräsentativ. Aber ich vermute, dass viele Kirchgänger ähnlich denken. Und das ist ja auch nicht falsch. Schließlich endet die Erzählung vom Gebetskampf Jesu in Gethsemane mit den Worten: „Nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ Aber die dritte Bitte des Vaterunsers hat noch einen anderen, wichtigen Aspekt, der oft übersehen wird. Er wird in der englischen Übersetzung deutlich: Thy will be done on earth as it is in heaven (Dein Wille möge auf Erden verwirklicht werden wie im Himmel). Die dritte Bitte des Vaterunsers findet sich nur in der Fassung des Matthäusevangeliums. Und in ihm spielt das Tun des Willen Gottes eine zentrale Rolle. Aber wie erkennen wir ihn? „Krieg soll nach Gottes Willens nicht sein“, erklärte der Weltkirchenrat, als er 1948 in Amsterdam gegründet wurde. Ein wichtiger Impuls ging dabei von Jesu Bergpredigt aus, zu der auch der heutige Predigttext und das Vaterunser gehören. Die Bergpredigt stand zwar auch vierzig Jahre vorher in der Bibel, als die meisten Kirchenleute noch ihre Nation und Streitkräfte vergötzten. Aber viele Delegierte, die in Amsterdam zusammenkamen, hatten zwei Weltkriege erlebt. Diese Erfahrung und das Nachdenken darüber hatten die Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt wachsen lassen und den Blick auf Jesus geschärft. Jede Generation von Christen muss im Gebet und in der Diskussion mit anderen herausfinden, was Gott von ihr will. Und sie wird dabei bedenken und übernehmen oder verwerfen, was die Altvorderen geglaubt, gedacht, gesagt und getan haben.

 

Gegen Unrecht

10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag), 8. August

Werdet Ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, sollt Ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. (2. Mose 19,5–6)

Das Christentum hat durch griechische Philosophie und römisches Rechtsdenken wichtige Impulse erhalten. Und im Laufe der Zeit wurde es noch durch andere Kulturen beeinflusst und bereichert. Doch seine Wurzel ist der Bund, den Gott mit einem kleinen Volk im Nahen Osten geschlossen hat. Und durch Jesus Christus haben Christen daran Anteil: Auch sie sind „ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk“ (1. Petrus 2,9). Aber das reichte Christen nicht. Dass Juden „vor allen Völkern“ Gottes „Eigentum“ sind, weckte Missgunst und Neid, beflügelte den Antijudaismus der Kirchen und steht letztlich auch hinter dem Judenhass von Nichtchristen. Dabei bedeutet Erwählung keine Privilegierung. Der liberale jüdische Theologe Leo Baeck schrieb 1905 in seinem Werk Das Wesen des Judentums: „Israel ist von Gott dazu bestimmt, daß es das Rechte tue, und nur wenn es das Rechte übt, kann und darf es, als das auserwählte Volk, bestehen; durch die Sünden wird es von Gott getrennt und geht es seines Wertes verlustig.“ Seit einigen Jahren ist der Begriff „Gutmensch“ zu einem Schimpfwort geworden. Natürlich gibt es die Versuchung, die eigene Überzeugung und Lebenspraxis moralisch zu überhöhen. Aber – mit dem Glauben an den Gott Israels, den Jesus Vater nennt, verträgt sich auch „keine moralische Neutralität und keine moralische Bequemlichkeit, keine Gleichgültigkeit und keine Trägkeit gegenüber irgend einem Unrecht auf Erden“ (Baeck). Religion ist mehr als Ethik, aber auch nicht weniger! Das können Christen im Dialog mit ihren jüdischen Schwestern und Brüdern lernen.

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