Zeichen der Zeit

Punktum
Foto: Rolf Zöllner

Er hat Karriere gemacht: der Doppelpunkt. Früher hätte ich wahrscheinlich zwischen „gemacht“ und „der“ einen Gedankenstrich gemacht oder gar nur ein ordinäres Komma. Aber damit würde ich mich als ziemlich traditioneller Sprachnutzer outen. Und wer will das schon sein, in diesen Zeiten, in denen sich gesellschaftlicher und persönlicher Fortschritt am Sprachgebrauch zeigt. Boomer bin ich ja schon, da muss ich doch nicht auch noch so reden und schreiben. Denn dass der Sprachgebrauch steter Änderung unterliegt, ist für die eifrig Bearbeitenden von Manuskripten, wie es Medienschaffende nun einmal sind, nichts Neues. So ist mir schon seit einigen Jahren aufgefallen, dass zum Beispiel der Gebrauch des Doppelpunkts zunimmt, und zwar auch an Stellen, an denen früher andere Zeichen gesetzt wurden.
Was bedeutet es, wenn immer öfter statt eines kleinen Kommas, das es grammatikalisch auch tun würde, oder eines Gedankenstrichs nicht nur ein Punkt, sondern gleich ein Doppelpunkt gemacht wird? Die Antwort könnte in der Frühgeschichte des Kolons liegen, der ja schon ab dem 4. Jahrhundert vor Christus genutzt wird. Er mag nämlich die Bühne. In dramatischen Texten, vor allem Komödien, und in den platonischen Dialogen grenzte der Doppelpunkt die einzelnen Sprecher voneinander ab. Wenn der Gedankenstrich nun immer öfter zum Doppelpunkt wird, könnte man das als Reflex auf unsere veränderte Debattenkultur sehen. Wo früher schreibend und lesend der Wörterstrom unterbrochen wurde, um nachzudenken, kündigt der Doppelpunkt nun mit der ihm eigenen Eitelkeit Dramatisches an: Mein Auftritt, Herr Kollege! Meine Bühne! Mein Statement! Doch nicht nur als Verweis auf den Presenter-Modus surft der Doppelpunkt auf der Zeitgeistwelle. Er macht auch als Genderwerkzeug Karriere und dem jungen Sternchen seinen Platz streitig. Graphisch sprengt er weniger das Schriftbild, soll aber das Gleiche aussagen: Mann, Frau und alle anderen Geschlechter sind mitgemeint. Und tatsächlich hilft der Doppelpunkt ganz uneitel der Software, die etwa Blinden Texte vorliest. Sie weiß nämlich nicht, was sie mit einem Sternchen im Text anfangen soll, macht aber bei einem Doppelpunkt automatisch eine kleine Pause. Das war ein Grund, warum zum Beispiel die Hansestadt Lübeck Ende 2019 den Gender-Doppelpunkt für die interne und externe Kommunikation der Stadtverwaltung einführte. Bei so einem Multitalent haben es Komma und Gedankenstrich schwer und müssen sich wohl oder übel ins Halbdunkel der Sprachbühne zurückziehen, wo auch schon das Semikolon auf seine rar gewordenen Auftritte wartet. Aber halt: Wäre das eindeutig uneindeutige Strichkomma nicht eigentlich das passende Symbol für das sprachliche Miteinander in versöhnter geschlechtlicher Verschiedenheit? Darüber sollte man vielleicht mal – nachdenken. 
 

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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