Zum Gehen geboren

Gespräch mit dem Olympiasieger im Gehen 1972, Peter Frenkel, über seinen Weg zur Goldmedaille, und warum alle Menschen mehr gehen sollten
Im Ziel bei den Olympischen Spielen in München 1972.
Foto: privat
Peter Frenkel wurden 1939 in Eckartsberga in Thüringen geboren. Nach dem Abitur an der Kinder- und Jugendsportschule in Nordhausen/Harz hat er 18 Jahre lang Leistungssport beim Armeesportklub Vorwärts Potsdam (ASK) absolviert. Er nahm an drei Olympischen Spielen teil und gewann 1972 die Goldmedaille im 20-Kilometer-Gehen in München (Foto) und Bronze 1976 in Montreal. Während seiner Laufbahn stellte Frenkel sieben Weltrekorde auf. Frenkel stellte zudem vielfache Weltrekorde auf. In dieser Zeit machte er eine Ausbildung als Maler und Fotograf. Und er studierte von 1963 bis 1968 an der Fachschule für Angewandte Kunst Potsdam, von 1972 bis 1978 folgte ein Fotografik-Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Er hat an zahlreichen Fotoausstellungen im In- und Ausland teilgenommen.

zeitzeichen: Wie kommt man als Kind zum Gehen? Kinder wollen in der RegelFußballer werden. Das war sicherlich auch in der DDR so, oder?

PETER FRENKEL: Ich bin in Eckartsberga groß geworden, einer Kleinstadt zwischen Naumburg und Weimar, damals Thüringen, heute Sachsen-Anhalt. Da habe ich zunächst wirklich Fußball gespielt und mich in vielen anderen Sportarten versucht. Zum Sport bin ich in der sechsten Klasse durch einen Neulehrer gekommen, der uns sofort für sich eingenommen hat, weil er sechs Meter weit springen konnte, mit uns Rad fuhr und die Riesenwelle am Reck konnte. Er war mein erstes Vorbild.

Und warum fiel die Wahl auf das Gehen?

PETER FRENKEL: Da spielte der Zufall eine Rolle. In unserer Nachbarschaft wohnte der Bäcker Puschendorf. Der Bäckerssohn trainierte im nahegelegenen Naumburg eine Sportgruppe, unter ihnen Dieter Lindner. Lindner, der in diesem Jahr Anfang Juni gestorben ist, war der erste erfolgreiche deutsche Geher: 1964 Olympiazweiter in Tokio, noch in einer gesamtdeutschen Mannschaft aus BRD und DDR, Europameister zwei Jahre später. Er war mein zweites Vorbild. Lindner kam öfter zum Training nach Eckartsberga, da bin ich mitgerannt und mitgegangen. Eigentlich wollte ich Läufer werden. Oder Radsportler.

Das heißt, der Ausdauersport hatte es Ihnen angetan?

PETER FRENKEL: Genau. Das Gehen fand ich interessant, aber vom Bewegungsablauf war es sehr schwierig. Zu den Langstrecken fühlte ich mich hingezogen. Radfahren, Skilanglaufen haben mich fasziniert. Auch durch Vorbilder.

Welche Vorbilder hatten Sie neben Dieter Lindner?

PETER FRENKEL: Den Radsportler Täve Schur. Bei der Radfernfahrt Leipzig – Erfurt fuhr er durch Eckartsberga. Wir Kinder standen am Straßenrand. Er war später neun Mal Sportler des Jahres in der DDR. Ein prägendes Geh-Erlebnis hatte ich in meiner Kindheit. Kurz vor Ende des Krieges sind vom frühen Morgen bis zum späten Abend die Insassen des Konzentrationslagers Buchenwald durch unseren Ort getrieben worden. Ganz erbärmliche Gestalten, völlig abgemagert, wir Kinder haben das mit großen Augen mit angesehen und waren verstört. Ich bin nach Hause gelaufen und habe einen Krug Wasser geholt.

Was hat Sie letztendlich zum Leistungssport bewogen?

PETER FRENKEL: Mitte der 1950er-Jahre wurden in der DDR die Kinder- und Jugendsportschulen gegründet, so dass ich nach der zehnten Klasse nach Nordhausen in das Sportinternat wechseln konnte. Da wollte ich unbedingt hin. Ich war bis dahin Kreismeister im Tischtennis, im Skilanglauf und im Fußball. Aber in Nordhausen war ich einer unter vielen. Ein Mitläufer. Bis mir mein Mentor Karl Reinhard sagte: Junge, wenn Du im Sport etwas erreichen willst, musst Du es richtig machen oder lass es sein. Dieser Satz wurde der Lebenssatz für meine spätere sportliche Karriere.

Unter welchen Bedingungen konnten Sie Leistungssport in der DDR ausüben?

PETER FRENKEL: Wer in der DDR studieren wollte, musste sich für drei Jahre zur Armee verpflichten. Ich hatte das Glück, dass ich mit meinem Freund Peter Herfeld in den Potsdamer Armeesportklub Vorwärts (ASK) aufgenommen wurde und meine Armeezeit dort absolvieren konnte. Wir haben eine Grundausbildung hinter uns gebracht, uns sonst aber ausschließlich dem Sport gewidmet. Mein späterer Trainer Achim Pathus und Gerhard Adolph, der in der DDR als Fernsehmoderator für Kindersport mit der Sendung „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ bekannt wurde, waren beide Geher im Potsdamer Armeesportklub. Pathus war sieben Mal DDR-Meister. Die beiden haben mich zum Gehen animiert, und es hat bei mir eingeschlagen wie ein Blitz. Den Bewegungsablauf hatte ich sofort drin, ein technischer Ablauf, der stereotyp fließen muss. Der Erfolg stellte sich schließlich ein, weil mein Talent erkennbar war und ich auch begriff, dass Trainingsfleiß unbedingt dazu gehört. Einige Jahre später flog ich zu meinen ersten Olympischen Spielen nach Mexiko. Das ist so leicht gesagt, aber dahinter stecken hunderte, tausende von Trainingskilometern im Gehen und auch begleitendem Training wie Laufen, Krafttraining, Gymnastik und Schwimmen.

Im Munzigerarchiv von 1973 werden Sie mit dem Satz zitiert: „Die Bahn ist mir viel lieber. Den Idealvorstellungen vom sauberen Gehen kann man auf der Bahn am nächsten kommen.“ Was ist sauberes Gehen?

PETER FRENKEL: Sauberes Gehen bedeutet, dass man einen guten technischen Bewegungsablauf hat. Ständiger Bodenkontakt ist dafür das Kriterium. Das unterscheidet das Gehen vom Laufen. Beim Laufen hat man eine Flugphase. Und diesen ständigen Kontakt kann ein Kampfrichter auf der Bahn am besten beurteilen. Ich habe mich um einen ästhetisch einwandfreien Bewegungsablauf bemüht.

Viele Betrachter von Gehwettbewerben finden diese Fortbewegungsart komisch.

PETER FRENKEL: Es gibt Geher, die diesen Bewegungsablauf nicht beherrschen, was unfreiwillig komisch aussieht. Aber im Grunde genommen ist das Gehen jedem Menschen immanent. Jeder, der im Kindesalter seine ersten Schritte macht, der geht. Damit wir schneller werden, müssen wir Hüfte und Arme einsetzen. Bei diesem biomechanischen Bewegungsablauf gibt es Unterschiede. Es gibt Geher, die sind klein von Wuchs und haben eine enorme Trittfrequenz. Und es gibt größere Geher, die mit ihrem längeren Schritt ein anderes Bild erzeugen. Aber man setzt das immer in Tempo um. Wir sind zum Beispiel tausend Meter in vier Minuten gegangen. Wer diese Distanz je gelaufen ist, der weiß um das Tempo.

Sie haben parallel dazu in den 1960er-Jahren an der Fachschule für Angewandte Kunst Potsdam studiert, ein Diplom erworben und 1976 ein Fotografikstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig abgeschlossen. Wie konnten Sie das schaffen?

PETER FRENKEL: Der Leistungssport in der DDR wurde staatlich gefördert, in meinem Falle im Potsdamer Armeesportklub Vorwärts, für Angehörige der Polizei im Sportclub Dynamo, aber auch durch private Sportclubs, die in der Regel durch große Kombinate finanziert wurden. Solche Sportclubs gab es in jedem Bezirk. Jeder, der wollte, konnte sich neben dem leistungssportlichen Training weiterbilden. Mein Interesse für die Kunst wurde schon in der Schule gefördert, und meine Vorgesetzten und mein Trainer haben mir Möglichkeiten eingeräumt, Sport und Studium zu koordinieren.

Wie kam es zum Traum von Olympia?

PETER FRENKEL: Den Traum von Olympia hatte ich schon in der Schule. Verschwommen. Ich habe zum Beispiel in der zehnten Klasse Statistiken über Leichtathletik von annähernd hundert Ländern geführt. Damals gab es kein Fernsehen, keine ausländischen Zeitungen. Ich habe mir das alles mit Radio und mit geschriebenen Briefen erarbeitet. Nach dem Leistungssport habe ich mich in der Deutschen Olympischen Gesellschaft engagiert und war Vizepräsident der Gemeinschaft deutscher Olympiateilnehmer, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Anfang der 1960er-Jahre gab es in der DDR eine große Anzahl von Gehern. Der Kampf um die Plätze in der Nationalmannschaft war enorm. Aber ich habe es geschafft, in die Gruppe zu kommen, die sich auf die Olympischen Spiele in Tokio 1964 vorbereitete. Damals fanden noch Ausscheidungen zwischen Ost und West statt, denn es gab nur eine gemeinsame Olympiamannschaft. Die Ausscheidung für uns Geher war im Berliner Olympiastadion. Zu den Olympischen Spielen nach Mexiko fuhr ich schon als einer der Medaillenkandidaten, erreichte aber nur Platz zehn in der 20-Kilometer-Distanz. Da habe ich mir geschworen, es vier Jahre später zu machen. Das waren ganz intensive Jahre, und mein Trainer, Achim Pathus, hat sogar promoviert über das Gehen – an der Universität in Potsdam.

Wie haben Sie sich gesteigert, um in Medaillenform zu kommen?

PETER FRENKEL: Wir haben in einer Unterdruckkammer in Königsbrück bei Dresden trainiert. Da, wo sonst Piloten ausgebildet wurden, sind wir auf einem Laufband Kilometer um Kilometer gegangen. Bis zur Perfektion. Wenn man in großer Höhe trainiert, vermehrt sich die Anzahl der roten Blutkörperchen, die wichtig für die Sauerstoffaufnahme sind. Wenn man mit dieser erhöhten Anzahl von roten Blutkörperchen ins Flachland kommt, hat man ein erhöhtes Leistungsvermögen. Leistungssteigerung gab es auch durch das Erlernen von autogenem Training. Dadurch war ich in der Lage, die Trainingsbelastungen sehr schnell abzubauen und meine Hände und Füße zu steuern, mich also direkt auf das Gehen und den Wettkampf zu konzentrieren. Ich fühlte mich immer dann am besten, wenn ich die Gewissheit besaß, meinem Körper Leistungen im oberen Grenzbereich abverlangt zu haben. Zum Beispiel mit einem 25 Kilogramm schweren Autoreifen. Den schleppt ich viele Trainingseinheiten an die zehn Kilometer hinter mir her. Ein besseres Kraftausdauervermögen gibt es auch heute noch nicht.

Wenn Sie über Stunden gehen, in immer demselben Bewegungsablauf, was passiert da in Ihnen, mit Ihren Gedanken, Ihrem Körper?

PETER FRENKEL: Da passiert eine Menge und ist immer von der jeweiligen körperlichen Verfassung abhängig. In der Regel laufen verschiedene Prozesse stereotyp ab, zum Beispiel locker bleiben trotz einer physisch hohen Belastung oder sich nicht übernehmen, an die folgenden Trainingstage denken, die ja immer ein Trainingsprozess sind. Ab und zu schleichen sich auch vom Sport abweichende Gedanken ein. Die Erfolge und die lange Karriere als Leistungssportler wären ohne den Rückhalt der Familie nicht möglich gewesen.

Wie lebendig sind Ihnen noch die Olympischen Spiele in München in Erinnerung?

PETER FRENKEL: Ich habe konsequenterweise auf eine vorzeitige Reise nach München verzichtet, bin am Abend vor dem Wettkampf in Berlin Friedrichstraße in den Zug gestiegen, habe Bahnbeamten meinen Pass gegeben und konnte durchschlafen. Als am nächsten Tag nachmittags der Startschuss fiel, war ich bestens vorbereitet und fühlte mich ganz ruhig. Im Wettkampf verlief alles so, wie ich mir das Hunderte Male vorgestellt hatte. Bei 17/18 Kilometern waren wir nur noch drei Athleten, die für die Medaillenvergabe infrage kamen. Mein Freund und langjähriger Rivale Hans Reimann aus der eigenen Mannschaft und der Favorit Golubnitschi aus der Sowjetunion. Bis dahin ist mir natürlich oft im Feld der Geher heiß und kalt geworden. Wenn zum Beispiel einer vorpreschte. Kurz vor dem Ziel war ich davor, die Segel zu streichen. Das Wasser stand mir bis oben hin, ich hätte fast gebrochen. Da half mir das autogene Training. Sinnbildlich gesprochen sagte es mir, es tut sehr weh, wenn Du schnell gehst, und es tut sehr weh, wenn Du langsamer gehst. Mit einem Mal hatte ich fünf, zehn, zwanzig, dreißig Meter Vorsprung und bin dann durch ein Spalier von Menschen vor dem Stadion richtig entfesselt losmarschiert, das verleiht einem Flügel, wenn man eine solche Entscheidung herbeiführen kann. Als ich unten die Laufbahn sah, dachte ich, das wird dein größter Tag, und so ist es gekommen. Die tausenden Gehkilometer hatten sich gelohnt.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Geherwettbewerbe auf Straße und Bahn nahezu vollständig vom Rest der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften getrennt. Das Interesse bei Medien und Zuschauern ist gesunken. Wie nehmen Sie das wahr?

PETER FRENKEL: Bei den Olympischen Spielen hat das Gehen eine große Rolle gespielt, in der breiten Öffentlichkeit ist es nicht so populär wie Stabhochsprung oder Sprint. In vielen anderen Ländern ist das ganz anders. Doch diese Ausdauerdisziplin macht auch Eindruck in der Bevölkerung, vor allem dann, wenn die Menschen hören, wie viele Kilometer wir Geher dafür schrubben müssen, um zu solch einem Erfolg zu kommen. Ich habe sieben Weltrekorde zwischen 1970 und 1976 aufgestellt. Zweimal über 20 000 Meter. Weltrekorde werden nur auf der Bahn anerkannt, weil das exakt immer die gleiche Abmessung ist. Auch über zwei Stunden und 30 000 Meter sowie über 10 000 Meter habe ich Weltrekorde erzielt, die heute längst weiter verbessert worden sind.

Die Technik des Gehens ist heute in der Regel 230 in den internationalen Wettkampfregeln dargelegt: „Wettkampfmäßiges Gehen ist eine Abfolge von Schritten, die so gesetzt werden, dass der Geher dabei Kontakt mit dem Boden hat und ein mit menschlichem Auge sichtbarer Kontaktverlust nicht vorkommt. Das ausschreitende Bein muss von dem Moment des Aufsetzens auf den Boden bis zur senkrechten Stellung gestreckt, das heißt am Knie nicht gebeugt sein. Das ist die Schwierigkeit des Bewegungsablaufes.“ Wie sehen Sie die Schwierigkeit dieses Bewegungsablaufes?

PETER FRENKEL: Es gibt heutzutage viele Geher, die diese Streckung nicht mehr durchführen. Viele praktizieren ein verkapptes Laufen, das heißt, sie drücken das Knie nicht durch. Diese Wettkampfregel werden sie neu fassen müssen, denn der technische Bewegungsablauf ist begrenzt. Das Tempo, das man erzielen kann, stößt im Unterschied zum Laufen an Grenzen.

Wie ging es in Ihrer sportlichen Entwicklung nach dem Gold in München weiter?

PETER FRENKEL: Ich habe nach diesem großen Erfolg noch vier schöne Jahre erlebt, die meine schönsten überhaupt waren. In der Vorbereitung der Olympischen Spiele in Montreal war ich 1976 noch einmal in so guter Form, dass ich davon geträumt habe, meinen Olympiasieg zu wiederholen. Doch die mexikanischen Athleten, die ja ständig in großer Höhe leben, fegten uns schon zuvor bei Auftritten in Europa vom Platz. Sie hatten wochenlang in Zelten geschlafen und in 4 000 Metern Höhe trainiert, so dass sie uns in jeder Hinsicht überlegen waren.
Bei der Erwärmung in Montreal ist mir Hören und Sehen vergangen. Ich habe aber alle meine Erfahrungen in die Waagschale werfen können und den olympischen Wettkampf maßgeblich mitbestimmt. Am Ende der langen Auseinandersetzung bekam mein Teamkollege Hans Reimann noch mal die zweite Luft und zog an mir vorbei. Für mich hat es noch für die Bronzemedaille gereicht, doch ich war innerlich sehr zufrieden. Nur mein Trainer war enttäuscht, der hat mir erst gar nicht gratuliert. Das hat mich sehr belastet. Und später hat er sich entschuldigt. Ich bin Bestzeit dort gegangen. Das war für mich der Abschied vom Gehen als Wettkampfsport.

Wenn Sie zurückschauen, wie hat Sie das Gehen im Laufe der Jahre verändert?

PETER FRENKEL: Ich bin zweimal um die Erde marschiert. Das ist eine enorme Kilometerzahl, die nicht spurlos am Körper vorbeigeht. Wenn mich nachts Träume überfallen, blase ich noch immer die Wangen auf, der Atem geht stoßweise, das Herz hämmert bis unter die Kopfhaut, die Brust wird eng. Schinderei im Unterbewusstsein. Leben heißt kämpfen, auch um den Preis so mancher Schramme. Mit meinen 82 Jahren kann ich noch gut durch die Gegend marschieren. Ich bin viel in der Natur unterwegs, auch als Fotograf, aber in einem langsameren Tempo.

Wie schaut der Profigeher, der sein Leben lang auf Tempo zu gehen gewohnt war, auf die vielen Spaziergänger?

PETER FRENKEL: Mit Achtung. Jeder, der sich bewegt, tut etwas für seine Gesundheit. Bewegung ist das A und O des Lebens. Wir sind nicht zum Sitzen geboren, sondern zum Gehen. Seit zwanzig Jahren versuche ich, in einer Sportgruppe älteren Menschen diese Haltung beizubringen. Natürlich Bewegung in einer anderen Form, als ich das als Geher gewohnt war. Eine viel größere Rolle spielt dabei auch die Gemeinschaft.

Kennen Sie überhaupt diese besondere Qualität des Gehens fernab des Sportes? In der man keine Funktion erfüllen muss, sich keine Zeit setzt?

PETER FRENKEL: Es ist doch etwas Großartiges, sich heute in der Landschaft zu bewegen und zu gehen. Man bekommt den Kopf frei, kann sich mit Dingen beschäftigen, die gut für die Seele und für das Allgemeinbefinden sind. Eigentlich gibt es nur einen Gegner von all dem, das ist der innere Schweinehund.

Und wie kann man den überwinden?

PETER FRENKEL: Indem man sich bewusst werden muss, dass Bewegung so lebensnotwendig ist wie das Zähneputzen und das Essen. Man muss es in den täglichen Kreislauf integrieren und als selbstverständlich ansehen. In Potsdam empfinde ich das als ein großes Privileg. Wir haben so eine wunderbare Kulturlandschaft, dass es Riesenspaß macht, bei Wind und Wetter, im Frühling, Herbst, Sommer und Winter draußen zu sein. Für mich als Fotografen sowieso, weil ich ein sehender Mensch bin. Wenn ich das gehend absolviere, schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe.

Das Gehen soll das Denken beflügeln. Jedenfalls ist der prominenteste Wortführer wahrscheinlich Rousseau, der sagte, „im Gange liegt etwas, das meine Gedanken weckt und belebt. Verharre ich auf der Stelle, so bin ich fast nicht imstande zu denken. Mein Körper muss in Bewegung sein, damit mein Geist in ihn hineintritt“. Wie sehen Sie das?

PETER FRENKEL: Nicht viel anders, ich würde es mit einem chinesischen Sprichwort beantworten: „Es sind nicht unsere Füße, die uns bewegen, es ist unser DENKEN.“

 

Das Gespräch führte Kathrin Jütte am 10. Juni in Potsdam.
 

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Peter Frenkel

Peter Frenkel ist Maler und Fotograf. Er war 18 Jahre lang Leistungssportler und nahm an drei Olympischen Spielen teil. 1972 gewann er die Goldmedaille im 20-Kilometer-Gehen in München und Bronze 1976 in Montreal. 

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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