Hecken und Zäune

Der Name ist egal, weil’s kickt

It’s a party. Großes Abendmahl, wie das bei Lukas heißt. Die Etablierten wollen nicht, haben Vorwände oder Besseres zu tun. Der Gastgeber schickt auf Straßen, Gassen, aufs Land, an Hecken und Zäune, zu sonst Übersehenen. Das Haus wird voll, das Fest groß, ein Event, wie man so sagt, und nachzulesen im 14. Kapitel. Nicht, dass die im Gleichnis enthaltenen Abschätzigkeiten auf die mal als reines Drum&Bass-Duo gegründete Band Krälfe sozial oder sonstwie zuträfe, aber im herrschenden Betrieb stehen sie doch am Rand: Cläre Caspar (Drums, Gesang) und Ralf Küster (Gitarre, Bass) machen Noiserock und propagieren ihn, wofür sie sogar eigens eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gründeten: Let There Be Noiserock, GbR Berlin.

Ironie, die wir mögen wie ihre Musik: leidenschaftlich, druckvoll, tanzbar, aber auch mit lyrischen Saitenparts. Die Erstbegegnung mit ihrem Album Gravity Sucks erfolgt unerwartet auf der Veranda des einstigen Instituts für Funktechnik Kolberg, an einem Sommerabend im ansonsten gerade stillen Brandenburg, mit Profianlage und bestechendem Sound. Eine Wucht, die Freunden zu Hause aus ersten Assoziationsschleifen so umrissen wird: Siouxsie Sioux wegen Intensität und Dringlichkeit des Gesangs, doch ohne Goth-Anteile, und Sonic Youth wegen der Gitarrenarbeit. Es sägt und schrebbelt faszinierend. Dazu treibende Drums, fuzzige Basslines, präzise Verzerrung. Als Vergleiche bietet das Label noch X-Ray-Spex-Sängerin Poly Styrene und Kate Pierson von den B-52’s an sowie Wipers oder Hüsker Dü. Annäherungen, die was haben und erahnen helfen, doch von Epigonenhaftem oder Nostalgie ist bei Krälfe trotz der beschworenen großen Tradition von Velvet Underground über Jesus Lizzard bis Shellac keine Spur. Eine frische Party, die sich lohnt, so man die Einladung hat. Die ist nun ausgesprochen!

Zehn Tracks insgesamt, dargeboten auf begeisternd gestaltetem, limitiertem Doppel-Vinyl oder digital. Auf das ins­trumentale Intro folgen neun Songs, deren Themen teils mit gehörig Popappeal („Intelligent Pop“ müsste es wohl heißen) den obwaltenden Alltag aus Beziehungsgeklirre, Digital-Paranoia, Smartphone-Overkill und Klima-Apokalypse packen. Aufgenommen analog, gemischt und geschichtet sehr gelungen digital. So erklären sich Chöre (immer Cläre!) und komplexe, punktgenaue Strukturen. Wucht ist Stilprinzip – „konfrontal instrumental, von der Band als Minimal-Noise-Rock bezeichnet“, zitiert das Label eine wohl Krälfe-eigene Beschreibung. Gravity Sucks schielt nicht auf Trends oder potentiell Virales, hat kein Kalkül, sondern etwas Ohren wie Geist freispülendes Rohes, fein produziert, mit glaubhaftem Wumms. Am Rande aufgelesen, absolut nötig. Über den Namen darf man spekulieren: Krähe und Elfe, Krach und Hilfe? Cläre und Ralf im Buchstabenmixer? Egal, es kickt.

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