Gottesdienstliches Leben während der Pandemie

Zwischen Gehversuchen im Digitalen und Rückbesinnung aufs Traditionelle
Gottesdienst
Foto: epd
Online-Konfirmationsgottesdienst mit Pastor Sebastian Fitzke am 23.04.2020 in der evangelisch-lutherischen Christuskirche in Braunschweig.

Eine interessante Untersuchung ist erschienen: Die evangelische Arbeitsstelle MIDI befragte Gemeinden im März 2020 und ein Jahr später zu ihrer Gottesdienstpraxis. Der Leiter der Studie, Daniel Hörsch, stellt auf zeitzeichen.net die zentralen Ergebnisse vor.

Viele Gemeinden wurden Mitte März 2020 ebenso vom Pandemie-bedingten Lockdown überrascht, wie die Bevölkerung insgesamt. Kaum jemand kann sich daran zurück erinnern, dass evangelische Gottesdienste als Gemeindeversammlung im Kirchenraum und das kirchliche Leben, was sich vielfach in Gruppen und Kreisen abspielt, in der jüngeren Geschichte von Amts wegen untersagt wurden bzw. die evangelischen Kirchen darauf verzichtet hätten. Die Kirchen waren Mitte März 2020 damit konfrontiert, ad-hoc ihre Verkündigungsformate und das kirchliche Leben, so gut es unter den gegebenen Bedingungen möglich war, digital anzubieten. Das physical distancing ließ eine andere Form im Frühjahr 2020 zunächst nicht zu.

Wie hat sich das gottesdienstliche Leben nach dem ersten Lockdown unter den strengen Hygiene- und Abstandsregelungen entwickelt? Wurden mehrheitlich wieder analoge Gottesdienste angeboten? Was wurde aus dem Wunsch von Dreiviertel der Gemeinden, digitale Verkündigungsformate auch über den Lockdown hinaus anzubieten? Kurzum: wie nachhaltig oder aber agil waren die Gemeinden mit Blick auf das gottesdienstliche Leben seither unterwegs? Diese Fragen hat die Evangelische Arbeitsstelle midi (Berlin) zum Anlass genommen, mit einer Vergleichsstudie dieselben Gemeinden im Frühsommer 2021 erneut zu befragen, die bereits 2020 im Frühjahr befragt worden waren, ob und wie sie digitale Verkündigungsformate angeboten haben. Die Ergebnisse wurden vor wenigen Tagen veröffentlicht.

Nachholeffekte in Sachen Digitalisierung

Die evangelische Kirche hat während der Pandemie einen enormen Nachholeffekt mit Blick auf die Digitalisierung erlebt. Nicht nur dass zwei Drittel der Gemeinden erst durch die Pandemie begonnen hatten, Verkündigung auch digital anzubieten. Das digitale Angebot an Verkündigungsformaten blieb auch konstant hoch zwischen Frühsommer 2020 (71,2%) und Frühjahr 2021 (83,3%). Digitale Angebote verstetigen sich offenbar als gleichwertige Angebote neben dem Analogen. Die kürzeren digitalen Verkündigungsformate werden von stabil rund 40 Prozent der Gemeinden regelmäßig seit dem Frühsommer 2020 angeboten. Darüber hinaus hat sich während der Pandemie gezeigt, dass auch die Gremienarbeit digitaler geworden zu sein scheint. Immerhin wünschen sich mehr als ein Drittel der Befragten eine digitale Gremienarbeit auch in Post-Corona-Zeiten.

Das „new Normal“ des Gottesdienstes

Der analoge Gottesdienst wurde in nahezu allen Gemeinden wieder angeboten (96.4%), was auch als Ausdruck der Sehnsucht nach realer, analoger Begegnung und Gemeinschaft zu verstehen ist. Dort, wo digitale Gottesdienste angeboten wurden, hat die Mehrheit der Gemeinden diesen analog gefeiert und digital-asynchron, also aufgezeichnet und zeitversetzt, zur Verfügung gestellt, überwiegend über You-Tube. Der analoge Gottesdienst hat offenbar durch die Pandemie eine neue Wertschätzung erfahren. Das unterstreichen auch die Befunde zum Transfer guter Erfahrungen aus dem Digitalen ins Analoge. Was Liturgie, Länge des Gottesdienstes und den Predigtstil betrifft, hat die evangelische Kirche während der Pandemie nachweislich eine Lernkurve für den analogen Gottesdienst durchlebt. Hinsichtlich der Partizipationsmöglichkeiten werden noch die größten Potentiale gesehen. Der digitale Raum bietet hier die Möglichkeit, aus einer klassischen One-to-Many-Kommunikation auszubrechen.

Der Trend zum analog und digital-asynchronen Format rückt die Frage in den Fokus, inwieweit die Mehrheit der digitalen Formate nicht einfach eine Verlängerung des Analogen in den digitalen Raum darstellen, ohne allerdings tatsächlich den Logiken des Digitalen zu folgen, außer dass die digitale Infrastruktur genutzt wird. Hier scheint es notwendig zu sein, künftig begrifflich präziser zu fassen, was ein digitales Format zu einem digitalen Format macht und dadurch abgrenzbar ist von einem Format, das lediglich digitalisiert wird.

„Not macht erfinderisch“

Rund ein Fünftel der Gemeinden können als „Pioniere“ einer digitalen Kirche betrachtet werden. Sie feiern überwiegend rein digital Gottesdienst und darüber hinaus auch digital Abendmahl. Dies korreliert mit einer weiteren Ausdifferenzierung der Plattformen und Medien, über die digitale Verkündigungsformate angeboten werden. Ebenfalls rund ein Fünftel der Gemeinden nutzen Zoom resp. Teams, Messenger-Dienste oder aber etwa jede siebte Gemeinde einen Podcast. Hier wird sichtbar, was im Digitalen alles möglich ist, wenn man in den Logiken des Digitalen agiert. Nicht verwunderlich, dass 84% der Befragten den Wunsch äußerten, dass die Kreativität und Innovationsfreude in den Gemeinden auch im Post-Pandemischen erhalten bleibt.

Ermüdung und Ernüchterung

Bemerkenswert beim Abendmahl ist, dass nach dem ersten Lockdown 2020 knapp die Hälfte der Gemeinden angaben, kein Abendmahl angeboten zu haben. Es scheint also, dass es nicht wenige Gemeinden gibt, in denen seit Beginn der Pandemie aufs Abendmahl verzichtet wurde. Schon in der ersten Ad-hoc-Studie von Midi 2020 hatten ein Fünftel der Befragten angegeben, keine digitalen Gottesdienste während des Lockdowns, als analoges gottesdienstliches Leben nicht möglich war, angeboten zu haben. 13 Prozent der Gemeinden gehen in der aktuellen midi-Vergleichsstudie nicht davon aus, dass pandemiebedingte Innovationen und Kreativität nach der Pandemie erhalten bleiben.

Vor dem Hintergrund der Rückbesinnung aufs gewohnte, analoge gottesdienstliche Leben bei der Mehrheit der Gemeinden, lassen sich hier Ermüdungserscheinungen und Ernüchterungstendenzen ausmachen. Viel war nach dem ersten Lockdown 2020 von einer hybriden Kirche oder gar einer digitalen Kirche die Rede. Manches muss sicher im Lichte der Momentaufnahmen im Spätsommer 2021 milder und nüchterner formuliert werden.

Die digitalen Gehversuche der evangelischen Kirche eröffnen zweifelsohne neue Freiräume. Digitale Verkündigungsformate sind heute einer potenziell größeren Zielgruppe und niederschwelliger für jeden zugänglich. Zu welcher Zeit, an welchem Ort auch immer nutz- und abrufbar – „Gottesdienst to go“ oder „by the way“. Zur Vielfalt des gottesdienstlichen Lebens gehören neben den vielfältigen Angeboten im Analogen zwischenzeitlich auch die digitalen und hybriden Formate. Kirche bedient auf diese plurale Weise zwei Zugänge zu einer Wirklichkeit.

Es wird in den kommenden Monaten spannend sein, zu beobachten, an welchen kirchliches Leben virtuell organisiert wird, wo analog kreativ neu belebt bzw. traditionell fortbestehend oder aber hybrid diskriminierungsfreie Zugänge geschaffen werden.

Daniel Hörsch: Gottesdienstliches Leben während der Pandemie. Verkündigungsformate und ausgewählte Handlungsfelder kirchlicher Praxis. Ergebnisse einer midi-Vergleichsstudie. Berlin 2021.

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Foto: privat

Daniel Hörsch

Daniel Hörsch, Sozialwissenschaftlicher Referent Ev. Arbeitsstelle midi (Berlin), Schwerpunktthemen: Kirche in der Pandemie, Wandel der Zugehörigkeiten und Sozialgestalt von Kirche, Kirchenmitgliedschaft, Lebenswelt- und sozialräumliche kirchliche Praxis.


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