Hol’ Dir die fröhlichen Blumen

Huizings Floraleben - Teil 2
Foto: Privat

Eine kleine Offenbarung gegen 14.47 Uhr (MEZ). An einem unbedeutenden und verhuschten Dienstag. Mitten in Würzburg auf dem beinahe leeren Marktplatz. Plötzlich und unerwartet. Mein Körper reagierte als erster. Ein minimales Stolpern. Dann funkten die Synapsen: Prilblumen! Die fröhlichen Prilblumen. Und in einer linken Gehirnkammer wurde der Werbeslogan wiederentdeckt, eingängig komponiert vom damals bereits bekannten Klaus Doldinger: Hol’ Dir die fröhlichen Blumen, hol’ Dir das fröhliche Pril. Die Prilblume hatte ihren Weg zurückgefunden auf ein Sommerkleid, jene aus drei Lagen ganz regelmäßig um einen Kreis angeordneten stilisierten Blütenblätter in grellen, sprich: fröhlichen Farben. Das Kleid entfernte sich in ein Café. Und ich war zurück in den frühen Siebzigern. Genauer: 1972.

In den resonanzarmen Küchen jener Jahre regierte damals Übersichtlichkeit. Hilfreiche Gadgets zogen erst langsam in Küchen oder Kochnischen ein. Nahrungsmittelergänzungen waren weitgehend unbekannt. Essenspläne wussten nichts von einer Slimfit-Ästhetik. Meistens ertönte übergewichtige Musik aus dem Schaub-Lorenz und der Teebeutel galt nicht als Ende der Küchenkultur. Das Wort Bodytuning stand noch nicht im Vokabelheft. Auf der Hutablage der Autos gehörte ein Hund mit Nick-Tourette, neben der Klorolle mit Häkelhut platziert, weiterhin zum guten Ton. (Amazon hat beide Produkte weiterhin im Angebot. Und selbstredend lässt sich bei Amazon eine Auswahl an Prilblumen entdecken.)

Unverwelkte Daseinsfreude

Moden hatten auf dem Dorf stets eine mächtige Parusie-Verzögerung, aber vier Jahre nach 1968 war ein atmosphärischer Umschwung schleichend auch auf dem Dorf leiblich spürbar. Und dieser Atmosphärenumbruch wurde durch die Prilflasche nachhaltig befördert. Zwar hatte man auf dem Dorf von einer Flower-Power-Bewegung noch nichts gehört und die Kunstgattung Pop-Art war allenfalls den jüngeren Lehrkräften, die Kunst unterrichteten, geläufig. Aber in der Küche, bisher von einer barocken Eckbank dominiert, zog langsam ein anderes Klima ein. Die Unwirtlichkeit des Raums verschwand mit den Abziehbildern auf der Prilflasche. Es gab unter uns Geschwistern Rangkämpfe, wer als erste oder erster eine Blume abziehen durfte und wo sie wasserlose Heimat fand. Meine Mutter, die die Küche nur zu den Mahlzeiten betrat, ließ sich mit vier Blumen auf dem Kühlschrank erweichen. Die neue Anmutung war gewaltig. Unsere Küche wurde eine barrierefreie Gartenlandschaft, die mit unverwelkter Daseinsfreude prahlte.

Wilma, meine älteste Schwester, umkränzte nach und nach den Spiegel in ihrem Zimmer mit Prilblumen. Ihrem emotionalen Puls tat es sichtbar gut. Karla, meine andere Schwester, meldete sich wiederholt klaglos zum Abwasch, den sie mit Sondereinspritzern Pril zum Schaumbad auftürmte. Unentdeckt und vom Gewissen unbehelligt entsorgte ich halbe Flaschen im Abguss. Mit strichschmalem Mund nahm meine Mutter kommentarlos den Anschaffungszuwachs an Prilflachen zur Kenntnis.

Glaubt man WIKIPEDIA, dann war die Prilblume, erfunden vom Designer Friedrich Probst, die „bekannteste Blume der 70er“ und „Symbol der 70er Jahre“. Zwölf Jahre, bis 1984, schaffte sie es auf die Prilflasche. In unregelmäßigen Abständen feiert sie ein Comeback, die letzte Neuauflage war 2015.

Sagenhaft. Ein Abziehbild, eine stilisierte Blume, schafft es auf Platz 1 des Bekanntheitsgrads – vor Stiefmütterchen und Geranien und Vergissmeinnicht. Sie sind kleine Kunstwerke und obwohl sie gemacht sind, muteten sie uns an und rührten uns an. Sie haben meiner Alterskohorte, auch in Zeiten der Pubertät, Erfahrungen von Heiterkeit vermittelt, die leiblich spürbar waren. Und daraus erwuchs auch eine Praxis, das eigene Leben heiterer zu gestalten, als es in meinem calvinistischen Milieu üblich und vorgesehen war. Es waren nicht Blumen des Bösen, sondern Blumen der Freiheit. Die Prilblume ist meine Lieblingsblume geblieben.

Hol’ Dir die fröhlichen Blumen, hol’ Dir das fröhliche Pril.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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