Lehrreich

Theologie und Naturwissenschaft

Galileo Galilei, Charles Darwin – es sind Namen wie diese, die daran erinnern, dass sich die Theologie historisch allzu oft die Finger verbrannt hat, wenn sie sich in die Sache der Naturwissenschaft eingemischt hat. Dass die beiden Seiten fortan nicht auf Dialog aus waren, sondern sich in ihre jeweiligen Studierstuben zurückzogen, verwundert nicht – mit weitreichenden Folgen bis heute: Noch immer hält sich die Auffassung, theologische Weltdeutung und naturwissenschaftliche Theoriebildung sollten getrennte Wege gehen.

Die Politik der Nichteinmischung mag dazu beigetragen haben, alte Konflikte zu befrieden und notwendige Grenzziehungen denkerisch zu konsolidieren, doch lässt sich auch das zentrale Defizit nicht übersehen, das auf ihr Konto geht: die Irrelevanz der Theologie für das Verständnis der Welt, in der wir leben.

Mit seiner als Lehrbuch konzipierten Neuerscheinung Theologie und Naturwissenschaft formuliert Matthias Haudel, Professor für Systematische Theologie an der Universität Münster, seinen Widerspruch gegen diese Selbstisolation der Theologie: Die konstitutive Aufteilung unseres Weltzugangs in eine als „Faktenwissenschaft“ auftretende Naturwissenschaft und eine als „spekulative Wissenschaft“ herabgewürdigte Theologie werde beiden nicht gerecht, so Haudels Prämisse. Beiden müsse es ja letztlich um die eine Wirklichkeit gehen, wenn auch eben unter verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Horizonten.

Der Autor strebt eine differenzierte Zusammenschau an, aus der beide Seiten ihren Nutzen ziehen. Naheliegend ist das zuerst für die Theologie: Wenn Gott als „die Alles bestimmende Wirklichkeit“ (Rudolf Bultmann) gedacht wird und das christliche Bekenntnis sein heilsgeschichtliches Wirken in Schöpfung, Erlösung und Vollendung von Welt und Kosmos tief in der Erfahrungswirklichkeit verankert, ist der Theologie die Suche nach Kompatibilitäten, Konvergenzen und Konsonanzen von Glaubens- und Wirklichkeitserfahrung ihrem Wesen nach aufgegeben. Dass es umgekehrt auch in der Natur der Naturwissenschaften liege, sich mit der Gottesfrage auseinanderzusetzen, wird man dagegen nicht behaupten können.

Auch für Matthias Haudel ist der Beitrag der Theologie für die Naturwissenschaften zunächst ein kritischer: die vernünftige Bescheidung naturwissenschaftlicher Erkenntnisansprüche, wobei der Theologieprofessor die Grenzlinie zwischen einem legitimen methodischen Atheismus und dessen weltanschaulicher Verabsolutierung zieht. Letztlich steckt freilich beiden, Naturwissenschaften und Theologie, die Wahrheitsfrage in den Genen. Es geht also ums „Ganze“. Gerade das ist aber nur im Dialog zu thematisieren, einem Dialog, dem es folglich darum zu tun ist, die wissenschaftlichen Einzelerkenntnisse ins Verhältnis zu den existenziellen Lebensfragen der Menschen zu setzen.

Der Systematische Theologe Matthias Haudel gibt einen Überblick über alle Bereiche, die für diesen Dialog relevant sind. Er durchstreift seine historischen Stationen, stellt Denker und Denkmodelle vor und führt in naturwissenschaftliche Theorien ein: Relativitätstheorie, Quantenphysik, Kosmologie, Thermodynamik und Mathematik – seit Galileo Galilei und Charles Darwin hat sich das wissenschaftliche Bild der Welt in all diesen Bereichen so grundlegend verändert, dass dies eine neue Offenheit der Naturwissenschaft für die transzendente Dimension möglich macht. Es liegt im Wesen eines Überblickswerks, dass der Autor nicht alle Fragen beantworten kann, die er aufwirft – aber er ist nah dran: So enzyklopädisch wie hier ist das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft im deutschen Sprachraum bisher nicht dargestellt worden.

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