Das Zeichen des Jona

Über die Umkehr in der Bibel
Die Initiale „E“ mit Jona und dem Wal in einer Bibelhandschrift aus dem 12. Jahrhundert
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Die Initiale „E“ mit Jona und dem Wal in einer Bibelhandschrift aus dem 12. Jahrhundert

Die biblische Lehre über die Umkehr ist, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, eindeutig: Umkehr ist Hoffnung. Aber leicht ist Umkehr und somit diese Hoffnung nicht zu erreichen. Das zeigt der so erfolgreiche wie tragische Umkehrprophet Jona, erläutert Angela Standhartinger, Professorin für Neues Testament an der Universität Marburg.

Für Umkehr verwendet das Neue Testament vor allem zwei Worte. Metanoein/Metanoia, zusammengesetzt aus der Präposition „nach-/um-“ und dem Wort „Denken“ und „Verstand“, beschreibt Prozess und Ergebnis eines späteres Einsehens, die Veränderung der Meinung, das Umdenken und den Sinneswandel. Epistrephein beschreibt die Körperbewegung der Kehrtwendung und den daraus folgenden denkerischen und emotionalen Prozess. Mit beiden Worten übersetzt die griechische Übersetzung der Bibel das hebräische schuw, „umkehren, sich zurückwenden“, und raham, „sich etwas leid lassen“. Orientiert an der lateinischen Übersetzung paenitentiam agere, überträgt die Lutherbibel beide Worte fast überall mit „Buße tun.“ Buße, ein Wort, das im Altdeutschen einmal Strafersatz oder Lösegeld meinte, nimmt allerdings nur einen Teilaspekt der biblischen Umkehr in den Blick.

Es ist der Täufer Johannes, der in der Wüste zur Umkehr ruft. Er ruft dazu auf, „Früchte der Umkehr“ zu tun, um im kommenden Gericht über die Welt zu bestehen (Matthäus 3, 7–10/Lukas 3, 7–9). Johannes’ „Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“ ist das Schutzzeichen, das den Taten der Umkehr folgt (Markus 1, 4). Der Täufer setzt mit Botschaft und Zeichenhandlung das Wirken der biblischen Propheten fort. Auch die biblischen Prophetinnen rufen: „Kehr um, Israel, zu Adonaj, deinem Gott, denn über deine Schuld bist Du zu Fall gekommen.“ Wenn dann das Volk bekennt: „Vergib die ganze Schuld und nimm an, was gut ist! Wir wollen die Frucht unserer Lippen ,als Opfer‘ darbringen“, so kann Gott durch den Propheten oder den Pries-ter im Tempel antworten: „Ich heile ihre Abkehr, ich liebe sie aus freien Stücken, denn umgedreht hat sich mein Zorn, weg von ihnen“ (Hosea 14, 2–5).

Zur Umkehr gehören also die Erkenntnis und das Eingestehen der Schuld, sei sie selbstverursacht oder im Kollektiv verantwortet. In der Bibel wird sie häufig rituell ausgedrückt, mit Trauer- und Bußriten wie Klage, Zerreißen der Kleider, Fasten und dem Hören der Tora (1. Könige 22, 11–20). Die Prophetinnen rufen zur Umkehr auf, wenn das Volk durch gemeinschaftszerstörendes Verhalten, Niederlage, Exil, Naturkatastrophen und Hungersnöte bedrängt ist (1. Könige 8, 31–53). Und gemeinschaftszerstörend sind auch Loyalitätsverhältnisse zu anderen Göttinnen und Göttern und ihren politischen Machtzentren (Jeremia 25, 5–6).

Gottes universales Erbarmen

In der Bearbeitung des Traumas, das das babylonische Exil nicht allein für die politischen Führungseliten, sondern auch für die Nachgeborenen im Volk bedeutete, tritt die Frage nach der sittlichen Verantwortung der Einzelnen verstärkt in den Blick. Der Prophet Ezechiel verkündet das Gotteswort: „Wenn ein Gesetzloser sich von seiner Gesetzlosigkeit, die er begangen hat, umkehrt und Recht und Gerechtigkeit übt, wird er seine Seele am Leben erhalten“ (Ezechiel 18, 27). Die Weisheit ruft Gottes universales Erbarmen über alle zur Umkehr aus (Weisheit 11, 27f). Diesem Impuls folgend, wandten sich Menschen aus den Völkern „ab von den Götzen hin zum lebendigen und wahren Gott Israel“, wie es Paulus für seine Gemeinden und die Apostelgeschichte als Folge der Predigt der Apostel herausstellt (1. Thessalonicher 1,9; Galater 4,9; Apostelgeschichte 11, 18–21; 14, 15; 17, 30–31; 20, 21; 26, 20). Der jüdische Liebesroman „Joseph und Aseneth“ kennt sogar eine himmlische Figur der Umkehr, die für die ehemalige Priestertochter Aseneth (Genesis 41, 45) eintritt: „Die Metanoia ist in den Himmeln die sehr schöne und gute Tochter des Höchsten. Und sie bittet den Höchsten für dich jede Stunde und für alle, die umkehren im Namen Gottes des Höchsten, ihres Vaters“ (15, 7). Das „neue Herz“ und der „neue Geist“ fußen auf eigener Einsicht und bleiben zugleich unverfügbares Geschenk (Ezechiel 11, 19).

Der erfolgreichste Umkehrprophet der Bibel ist der Prophet Jona ben Amittai aus dem gleichnamigen biblischen Buch. Er wird von Gott beauftragt, der korrupten Metropole Ninive die Vernichtung anzukündigen. Allerdings parodiert das Buch das Bild des heldenhaften Unheilspropheten. Jona widersetzt sich der ihm von Gott übertragenen Aufgabe und türmt mit einem Schiff in die entgegengesetzte Richtung. Doch Gott stellt sich mit einem Seesturm in den Weg. In ihrer Not bittet die religionstolerante Schiffsbesatzung alle Mitreisenden um Gebete zu ihren Göttern. Sich schlafend im Schiffsrumpf tot zu stellen, nützt Jona nichts. Das Los bringt die Wahrheit zu Tage. Nachdem der verhinderte Prophet sich selbst als Ursache der Not zu erkennen gegeben hat und der Schiffsbesatzung aufgetragen hat, ihn dem Meer zu übergeben, legt sich Sturm. Sofort verehren die Seeleute den Gott dieses großen Propheten, den Gott Israels. Jona aber bleibt stumm, obgleich er von einem Fisch verschluckt und damit gerettet wird. Erst nach drei Tagen spricht Jona ein Dankgebet, allerdings im Rhythmus eines Klagegesangs und ohne Eingeständnis der eigenen Schuld, ohne Reue. Dem Fisch wird es zu bunt, und er muss sich übergeben.

Am Ausgangspunkt seiner Reise wieder ausgespuckt, muss Jona nun doch der Megacity Ninive Gottes Wort verkünden: „Noch vierzig Tage und Ninive wird zerstört werden“ (Jona 3, 4). Und das Unglaubliche geschieht. Das Wort dringt vor bis zu den Mächtigen, und die ganze Stadt inklusive der Tiere zieht Bußgewänder an, streut Asche aufs Haupt, fastet, ruft mit aller Kraft zu Gott, und jedes Wesen wendet sich ab von den schlechten Wegen und ungerechten Taten. Sie sagen: „Wer weiß, vielleicht kehrt Gott um (schuw/metanoein) und kehrt ab von seinem Zorn (schuw/epistrephein) und wir gehen nicht zu Grunde“ (Jona 3, 9). Und tatsächlich. „Da sah Gott, was sie taten, dass sie sich abgewandt hatten von ihren schlechten Wegen, und Gott ließ sich das Böse, das er gegen sie beschlossen hatte, leid sein (naham/metanoein) und tat es nicht“(Jona 3, 10). Das macht nun aber den Propheten wütend. Schließlich hat er sich mit dieser Umkehr als Falschprophet erwiesen.

Und tatsächlich wird in der frühjüdischen Schrift „Prophetenleben“ Jona der Satz in den Mund gelegt: „Ich habe gelogen, als ich gegen die große Stadt Ninive weissagte“ (Vita Prophetarum 10, 3). Im biblischen Buch protestiert Jona gegen dieses Urteil. Er tritt in einen Sitzstreik vor der Stadt und wartet auf ihren Untergang. In der Schlussszene des Buches diskutieren der Prophet und Gott die Frage, ob Zorngericht oder Erbarmen richtiger ist angesichts der wachsenden und vergehenden Natur, inklusive menschlicher Kultur und Geschichte in schon damals globalisierten Megastädten wie Ninive. Ob dieses letzte Gotteswort bewirkt, dass der Prophet von seinem Zorn umkehrt, lässt die Erzählung offen.

Zum Nachdenken aufgerufen

Das Buch Jona wird in der Liturgie der Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur oder Versöhnungstag, gelesen. Seine Erzählung ruft zum Nachdenken auf: Wer sind hier die Gerechten? Gott, der sich seine Wut leid sein lässt und seinen ängstlichen Propheten ins Leere rufen lässt oder der mit seiner Umkehr die beeindruckende Demonstration des Umdenkens einer Megacity freimütig anerkennt? Sind die nicht-jüdischen Seeleute die Gerechten, die das Leben lieben und dafür Gott verehren, oder der Prophet, der bereit ist, für die Gerechtigkeit zu sterben? Was für ein Wesen ist der Fisch, der Jona verschluckt? Ist er ein rettendes Wesen oder ein verschlingendes Seeungeheuer der Unterwelt? Letzteres vermutet ein frühjüdisches Gebet: „Und den im Bauch eines in der Meerestiefe lebenden Seeungeheuers verschwundenen Jona hast du, Vater, unversehrt allen Verwandten wieder gezeigt“ (3. Makkabäer 6, 8). Haben sich die heidnischen Niniviten wirklich bekehrt, und was macht eigentlich ein Prophet aus Israel bei ihnen? Das Tobitbuch jedenfalls hält die Warnungen Jonas weiterhin für aktuell (Tobit 14, 4–8 in vielen Handschriften).

Auch im Neuen Testament gibt es das „Zeichen des Jona“. Jesus verweist darauf, als von ihm ein Beglaubigungszeichen gefordert wird. „Ein anderes Zeichen wird ihm [ihnen?] nicht gegeben außer dem Zeichen des Jona“ (Matthäus 12, 41; 16, 4; Lukas 11, 29). Was ist damit gemeint? Das Matthäusevangelium interpretiert es als Jonas Erfahrung in den Meerestiefen und sein Wiederauftauchen: „Denn so wie Jona im Bauch des Meerungeheuers drei Tage und drei Nächte war, so wird auch der Menschensohn drei Nächte und Tage im Herzen der Erde sein“ (Matthäus 12, 41). Jona 2 ist also als allegorische Anspielung auf Tod und Auferstehung gelesen. Das Lukasevangelium denkt bei „Zeichen des Jona“ dagegen an Jonas Umkehrpredigt in Ninive oder an das Zeichen, das sein Auftreten für die Niniviten überhaupt bedeutete. Jetzt, so Jonas Botschaft, ist es zu spät. Die letzten Tage eurer Existenz sind angebrochen. „Wie Jona für die Niniviten ein Zeichen war, so wird auch der Menschen Sohn [ein Zeichen] für dieses Geschlecht sein. ... Denn die Menschen aus Ninive werden im Gericht mit dieser Generation aufstehen und gegen sie bezeugen, denn sie sind umgekehrt zur Botschaft des Jona, und siehe: Hier ist mehr als Jona“ (Lukas 11, 30–32). Hier steht Jesus in der Nachfolge von Jonas Umkehrpredigt. Was aber ist hier „mehr als Jona“?

Jesus mehr als Jona

Die christliche Auslegung hat dieses „Mehr“ lange als Einladung zu antijüdischer Überbietungsrhetorik gelesen. Jesu „Umkehrpredigt lässt alles hinter sich, was es je an gewaltiger Umkehrpredigt gab“, behauptet 1942 (!) Johannes Behm (ThWNT IV, 1027). Bei Licht betrachtet, stützen die Evangelien diese These jedoch gerade nicht. Denn das Wort Umkehr findet sich im Mund Jesu sehr viel seltener als im Mund seines Lehrers Johannes. Vielmehr schließt sich Jesu der Umkehrpredigt des Täufers an. Im Matthäusevangelium stimmt Jesus mit dem Täufer Johannes überein, wenn beide rufen „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Matthäus 3, 2; 4, 17). Im Markusevangelium fordern Jesus und die ihm nachfolgen zur Umkehr angesichts des nahen Himmelreiches auf (Markus 1, 15; 6, 12). Auch mit der Verbindung von Umkehr und nahendem Gottesreich steht Jesus in der Tradition der frühjüdischen Hoffnung. Denn die Heilszeit beginnt, wenn „Menschen die Gebote Gottes suchen und auf den Weg der Gerechtigkeit umkehren“ (Jubiläenbuch 23, 26).

Die Botschaft „Kehrt um“ ist niemals nur Gerichtspredigt. Sie ist auch Ausdruck einer kleinsten Hoffnung auf eine Möglichkeit im Unmöglichen. Ein „wer weiß, vielleicht kehrt Gott um …“ (Jona 3, 9). Ein Sehnen danach, dass ernsthafte Einsicht, auf falschen Wegen gegangen zu sein, Gott vielleicht dazu bewegt, es sich leid sein zu lassen und etwas vom heranrollenden Unglück abzuwenden.

Im Lukasevangelium ruft Jesus die Einzelnen zur Umkehr von ihren Sünden. „Ich bin gekommen, … die Sünder zu rufen, dass sie umkehren“ (Lukas 5, 32, 13, 1–5). Die Einsicht der Täter in ihr verkehrtes Tun und den Opfern angetanenen Schmerz ist entscheidend für die Möglichkeit einer Vergebung (Lukas 17, 3f). Die Hinwendung zu den Einzelnen entspricht dem philosophischen Umkehrgedanken. Vom Platoniker Polemon wird zum Beispiel erzählt, er habe sich beim Hören eines philosophischen Lehrvortrags von einem lasterhaften zu einem besonnenen Leben bekehrt (Diogenes Laertius 4, 16).

Die jüdische Philosophie zählt die Umkehr zu den wichtigsten von Mose gelehrten Tugenden (Philo von Alexandria, Über die Tugenden, 175–186). Doch bei aller Möglichkeit, den Weg der Besserung einzuüben, behält die Umkehr eine transzendente Dimension. Sie ist eine in der jüdischen Tradition auch göttliche Figur: „Die gottgemäße wahre Metanoia hebt die Unwissenheit weg und verbannt die Finsternis, erleuchtet die Augen, bringt Erkenntnis der Seele und führt den Ratschluss zum Heil“ (Testament Gad 5, 7). Eines ihrer Urbilder ist Henoch, der wegen seiner Umkehr „aus seinem früheren sündhaften Leben“ in den Himmel versetzt wurde (Jesus Sirach 44, 23; Philo, Über Abraham 17–26). Oder wie es das Lukasevangelium formuliert: „So wird die Freude bei allen Engeln sein über einen Sünder, der umkehrt“ (Lukas 15, 7–10).

Die biblische Lehre über die Umkehr ist also, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, eindeutig: Umkehr ist Hoffnung. Sie erfordert echte Arbeit und Mühe. Sie bedeutet, sich Verirrungen und Fehler offen einzugestehen. Und sie hofft darauf, Gott möge sich auch selbst bewegen lassen und den Weg der Umkehr mitgehen. 

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