Eine Wucht

Anklage- und Verteidigungsschrift

Dieses Buch ist eine Wucht, und der Autor erst recht. Wie der römisch-katholische Priester Wolfgang F. Rothe mit seiner eigenen Kirche ins Gericht geht, das ist furios, oft fast atemberaubend, und das schon auf den ersten Seiten. Es ist, wie schon der Untertitel es sagt, eine „Abrechnung mit der katholischen Sexualmoral und ihren Verfechtern“.

Der Münchner Geistliche unterzieht sich und seine Kirche einer Art Generalbeichte. Kleine Kostprobe: „Ich habe Schuld auf mich geladen, indem ich Missbrauch begünstigt habe. Und ich habe Missbrauch begünstigt, indem ich eine Täterorganisation, nämlich die katholische Kirche, über lange, zu lange Zeit hinweg unkritisch mitgetragen, unterstützt und verteidigt habe. Ich habe Missbrauch begünstigt, indem ich den missbrauchsbegünstigenden Moralismus der Kirche stillschweigend gebilligt und verteidigt habe.“

Dazu muss man wissen, und das macht den Herzschlag des Buches aus: Rothe schildert packend, wie er innerhalb seiner Kirche von ganz rechts nach ganz links gewandert ist. Das heißt: von seiner Faszination von und Förderung durch reaktionär-klerikale/n Gruppen – hin zu einem progressiven Umfeld, in dem er beispielsweise Mitorganisator einer spektakulären Aktion im Mai 2021 wurde, bei der in rund hundert katholischen Gottesdiensten homosexuelle Paare einen Segen für ihre Verbindung erhielten. Das Ganze unter dem Grummeln der Oberhirten, selten deutlich, manchmal nur pro forma. Rothe zeigte im vergangenen Jahr zudem den polnischen Priester Dariusz Oko und den leitenden Redakteur der Zeitschrift Theologisches an: seinen priesterlichen Mitbruder Johannes Stöhr, der offenbar Mitglied der konservativen Organisation Opus Dei ist. Das Amtsgericht Köln verhängte gegen beide Strafbefehle wegen Volksverhetzung. Oko hatte in Beiträgen in Theologisches homosexuelle Priester als „Parasiten“, „Krebsgeschwür“ und „Plage“ verdammt.

Schon daran sieht man: Rothe hat keine Angst, sich Feinde zu machen. Und er ist ein sehr origineller Mann, der nicht nur im Kirchenrecht (Doktorvater übrigens der Joseph-Ratzinger-Privatsekretär Georg Gänswein!) und in der Theologie promoviert hat, sondern auch als ein Fachmann für schottischen Whisky gilt, worüber er schon mehrere Bücher geschrieben hat.

In dem vorliegenden Buch aber ist eine Begebenheit zentral, die seine 180-Grad-Wendung innerhalb der Kirche nachvollziehbar macht. Es geht um einen Vorfall im Jahr 2004, den Rothe als sexuellen Übergriff durch den damaligen Bischof Klaus Küng in dessen Amtsräumen im österreichischen St. Pölten wertet. Dabei habe Rothe in Folge eines Schwächeanfalls von Küng ein Beruhigungsmittel verabreicht bekommen, weshalb das Geschehen auch von ihm selbst nur ungefähr geschildert werden kann. Außerdem musste sich Rothe ein Jahr später auf Geheiß Küngs einem forensisch-psychiatrischen „Schwulentest“ unterziehen, der nach der Schilderung des Autors so absurd wie skandalös war. All dies beschreibt Rothe schonungslos – und in gewisser Weise ist sein Buch deshalb sowohl als Anklage- wie als Verteidigungsschrift zu lesen.

Dennoch will Rothe weiter in seiner Kirche als Priester wirken – und die Begründung dafür ist eine der mitreißendsten Stellen in seinem Werk: „Ich liebe die katholische Kirche – genauer ausgedrückt: Ich liebe sie trotz allem, was mich an ihr befremdet, trotz allem, was ich an ihr kritisiere, trotz allem, was mich gegen sie aufbringt … Was mich bleiben lässt, ist aber keineswegs nur Liebe, es ist auch ein gewisser Trotz. Ich will die Kirche einfach nicht den machtgeilen Moralisten und ihren Organisationen überlassen.“

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