Antisemitismus gegen Israel – warum?

Nachdenken über den Judenhass im 21. Jahrhundert mit dem Literaturwissenschaftler Klaus Holz
Foto: EKDKultur/Schoelzel

In seinem Podcast „Draußen mit Claussen“ hat sich der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen ausführlich mit dem Soziologen Klaus Holz über den Antisemitismus unserer Tage unterhalten. Holz, der auch Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland ist, hat zusammen mit Thomas Haury kürzlich ein Buch zum Thema veröffentlicht. Eine Hinführung.

Es war für mich die wichtigste, wenn auch nicht gerade leichtgängigste Lektüre des vergangenen Jahres: „Antisemitismus gegen Israel“, gemeinsam geschrieben von Klaus Holz und Thomas Haury, erschienen im Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung.

Es ist vor allem eine Qualität, die mich an diesem Buch beeindruckt hat – neben sehr vielem Inhaltlichen, was ich hieraus gelernt habe: Holz und Haury gelingt das Kunststück, über ein Thema ruhig, klar, präzise, dabei engagiert, aber immer fair zu schreiben, über das sich alle Welt sonst sofort empört, wild erregt, bitter zerstreitet, dabei heftigst beleidigt. Gibt es toxischere Diskurse als die über Antisemitismus von links, rechts, christlich, muslimisch, antikolonialistisch? Dafür gibt es natürlich Gründe, denn Antisemitismus ist ein gefährliches, oft genug tödliches Gift. Aber wer sinnvoll gegen ihn wirken will, muss verstanden haben, was er seinem Wesen nach ist, wie er sich in der Geschichte verändert, in welchen Gestalten er heute auftritt. Und hier leisten Holz und Haury wertvolle Aufklärungsarbeit.

Holz und Haury wollen verstehen, wie sich der Antisemitismus nach der Shoa eine neue Gestalt, mehrere neue Gestalten geben konnte. Dazu spannen sie einen weiten Bogen. Die überaus einleuchtende Grundthese, der sie dabei folgen, lautet: „Antisemitismus ist Identitätspolitik.“ Mit Hilfe eines Feindbildes wird die eigene religiöse, nationale, soziale, politische Gruppe gebildet und gefestigt. Damit weisen die beiden Autoren darauf hin, warum Antisemitismus – Entschuldigung! – so oft so „gut“ funktioniert. Man versteht ihn nicht, wenn man ihn nur – zu Recht! – als böse markiert. Man muss auch berücksichtigen, warum er für so viele Menschen(-gruppen) so attraktiv und nützlich ist. Diesen Wert besitzt er auch nach der Shoa, nur musste er sich nach ihr neuformieren. Das wichtigste Instrument dabei war und ist die Täter-Opfer-Umkehrung. Die jüdischen Opfern des mörderischen deutschen Antisemitismus müssen zu Tätern umgeformt werden, damit sie weiterhin als mächtiges Feindbild dienen können. Deshalb ist postnazistischer Antisemitismus heute immer Antisemitismus gegen Israel.

Intellektuell, anspruchsvoll und im Ton angemessen

Diese Grundthesen führen Holz und Haury geduldig, gelehrt und präzise an verschiedensten aktuelle Antisemitismen vor, auch an denen von links oder muslimischer Seite, aber immer mit ruhigen Atem und dabei versuchend, auch denen gegenüber fair zu bleiben, denen sie widersprechen. Besonders beeindruckt hat mich, wie sie antisemitische Motive bei einem Teil der antikolonialistischen sowie der BDS-Bewegung nachweisen. Dabei leiten sie – ohne es moralpädagogisch zu forcieren – dazu an, dass ich als Leser meine Anteile beziehungsweise die Anteile der mich prägenden Traditionen an dieser unheilvollen Geschichte bedenke.

Als ich das Buch gelesen hatte, dachte ich: Das könnte eine Aufgabe der evangelischen Kirche und Theologie sein, entschieden dem Judenhass entgegenzutreten und zugleich zu einer intellektuell anspruchsvollen sowie im Ton angemessenen Klärung beizutragen – und sich dabei bewusst zu halten, dass man immer auch selbst Teil des Problems ist.

Zum Glück hat Klaus Holz als Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland sein Büro nur ein Stock über mir. Deshalb konnte ich in meinem Podcast „Draußen mit Claussen“, denn ich bei www.reflab.ch betreibe, ein Gespräch mit ihm führen. Wer nicht gleich das ganze Buch lesen will, kann es sich hier anhören.

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Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.


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