Zunächst ergriff er für die Nazis Partei

Aneke Dornbusch porträtiert einen Kirchenhistoriker, der in vier politischen Systemen wirkte
Aneke Dornbusch
Foto: Swen Pförtner

Der Göttinger Kirchenhistoriker Hermann Dörries (1895 – 1977) war vielleicht nicht der begabteste Gelehrte seiner Zeit. Aber er war recht typisch für die Hauptströmung in dieser Generation evangelischer Theologen, erklärt Aneke Dornbusch in ihrer Dissertation.

Hermann Dörries, geboren 1895 in Hannover-Kleefeld, wuchs in einer Familie auf, die seinem Lebensweg einen starken Impuls gegeben haben dürfte: Sein Vater war der liberale Theologe und Pastor Bernhard Dörries, der ein enger Bekannter des protestantischen Publizisten und Politikers Martin Rade war, ebenso eng waren die Kontakte zum wichtigen liberalen Politiker und Theologen Friedrich Naumann. Bernhard Dörries Sohn Hermann profitierte schon in seiner Jugend von diesem protestantisch-intellektuellen Milieu. Über Hermann Dörries habe ich soeben meine Doktorarbeit mit dem Titel: „Hermann Dörries (1895 – 1977) – ein Kirchenhistoriker in vier politischen Systemen Deutschlands“ beendet.

Dörries begann 1913 ein Theologiestudium in Marburg, diente aber schon ab 1914 mit Unterbrechungen bis 1916 unter anderem nahe Verdun als Offizier im Ersten Weltkrieg. Er wurde so stark verwundet (offenbar eine Verletzung am unteren Rücken), dass er aus der Armee entlassen wurde und fortan stets eine Gehhilfe brauchte.

Dörries kehrte zurück nach Marburg und promovierte zum frühmittelalterlichen Mystiker Johannes Eriugena. Das Predigerseminar konnte er aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht abschließen, daher blieb ihm nur die akademische Laufbahn. 1922 zog er, frisch verheiratet, nach Tübingen, wo er sich über den Neuplatonismus bei Augustin habilitierte. Obwohl weder die Dissertation noch seine Habilitation herausragten, konnte Dörries auch deshalb eine akademische Laufbahn antreten, weil der Krieg die Reihen der Theologen stark ausgedünnt hatte. Auch dass er als relativ junger Forscher eher einer konservativen Theologie anhing, öffnete ihm manche Türen. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Halle/Saale, erhielt er 1928 einen Ruf nach Göttingen, meiner Alma Mater, wo er bis zu seiner Pensionierung 1963 lehrte. Dörries’ Lebenswerk ist die Aufarbeitung der Makarios/Makarius-Homilien (Predigten). Die traditionell dem Einsiedlermönch Makarios zugeschriebenen Überlieferungen prägten die abendländische Mystik. Dörries These, dass statt Makarios Symeon von Mesopotamien der Verfasser der Makarios-Homilien ist, hat sich weitgehend durchgesetzt. Damit hat sich Dörries ein kleines Denkmal in der Patristik, also der Lehre über die Kirchenväter, gesetzt.

Von besonderer Bedeutung für meine Dissertation ist jedoch die Frage, welches Verhältnis Dörries zum Nationalsozialismus hatte. Zu Beginn der Weimarer Republik war Dörries nationalistisch gesonnen, er lehnte wie viele evangelische Theologen und Pastoren den Versailler Friedensvertrag massiv ab. Auch die Demokratie missfiel ihm. Schon 1932 ergriff er für die NSDAP in einem Zeitungsartikel Partei. Folgerichtig schloss er sich ihr im März 1933 an. Aber schon kurz danach trat er als Akteur auf Seiten der Bekennenden Kirche (BK) auf. Zusammen mit Joachim Jeremias und Hans von Campenhausen wird er heute zum BK-Flügel der Fakultät gezählt, dem die regimetreuen Deutschen Christen unter der Führung des Dekans Emanuel Hirsch gegenüberstanden.

Wie ist das zu erklären? Auch wenn sich Dörries erst später intensiver mit der Zwei-Reiche-Lehre Luthers auseinandersetzte, war sie für ihn von Anfang an zentral: So, wie er sich bis 1932 von einem starken NS-Staat auch einen Aufschwung einer staatstreuen Kirche erhoffte, so sehr drang er ab 1933 auf die Autonomie der Kirche in diesem Regime. Deshalb stellte sich Dörries ab dem Sommer dieses Jahres (und schon vor dem schnellen Abstieg der Deutschen Christen ab Herbst 1933) in mehreren Schriften gegen eine staatliche Einflussnahme auf die Kirchen. Er ließ sich trotz seines Beifalls für das neue Regime nicht von einer konsequent theologischen Analyse abbringen. Den Nationalsozialismus als Ganzes stellte er jedoch öffentlich nie in Frage.

Nach 1945 konnte Dörries mit Verweis auf sein Engagement für die BK seine angeblich regimekritische Haltung, trotz seiner zwölfjährigen NS-Mitgliedschaft, hervorheben. Beim Entnazifizierungsverfahren gegen ihn wurde er zunächst als „Mitläufer“ eingestuft, nach einer Beschwerde von ihm wurde dies in „entlastet“ aufgeweicht. Trotz einiger judenfeindlicher Klischees, die Dörries noch in den 1920er-Jahren verbreitete, können judenfeindliche Äußerungen in den 1930er-Jahren bei ihm nicht nachgewiesen werden. Ein Grund könnte seine lebenslange Freundschaft zu Paul Leo gewesen sein, einem Pfarrer jüdischer Herkunft, der 1939 in die USA auswandern konnte. Rassistische Theologiekonstruktive der Nazis hat er noch in der NS-Zeit als unwissenschaftlich abgelehnt.

In der Nachkriegszeit stilisierte sich Dörries in der Regel als Opfer des Nationalsozialismus. Gezielt verwies er auf die wenigen Male, bei denen er in einen Konflikt mit den Nazis gekommen war, etwa auf zensierte Aufsätze oder einen Streit um ein NS-Fachschaftslager, das er nicht unterstützt hatte. Daraus folgte ein Parteiausschlussverfahren, das aber im Sande verlief. In Briefen an seinen Freund Hans von Campenhausen äußert er nach dem Krieg eine gewisse Reue über sein Verhalten unter den Nazis, betont jedoch zugleich, dass dies in öffentlichen Verfahren nichts zur Sache tue. In der Bundesrepublik wirkt sein frühes Eintreten für die Demokratie authentisch, nicht taktisch.

Im Großen und Ganzen war Dörries mit seiner NS-nahen und Demokratie-fernen Haltung recht typisch für die Hauptströmung in dieser Generation evangelischer Theologen – auch wenn es bei ihm natürlich auch einige Besonderheiten gab, etwa sein striktes Eintreten für die Autonomie der Kirche im NS-Reich. Sehr wohlwollend sich selbst gegenüber beschrieb er seine theologische (und am Ende auch persönliche) Entwicklung in einem Sammelband aus dem Jahr 1970 so: „Zu Luther bin ich gekommen in der Krise des Jahres 1933, als gegenüber dem Angriff des ‚Neuen‘ das mitgebrachte Erbe des 19. Jahrhunderts sich mir als nicht widerstandsfähig erwies und es galt, festes Gestein zu erreichen. Erst bei Luther fand sich der sichere Standpunkt.“ 

 

Aufgezeichnet von Philipp Gessler
 

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