Handwerk mit Seele

Palace zum Dritten: Shoals

Countryblues, Flower-Power, Mods, Punk, Hausbesetzer, Party-People: Es gab Zeiten, da markierte Popmusik Identität und Differenz, war Kulminationsort und Ausbruch. Der Wind hat sich gedreht: Nun servieren Streaming-Algorithmen mit ihrer Vorschlagsgleichmacherei allen, ob Manager, Jugendlicher oder Hausfrau, Kleckse derselben Sauce, so sie nur mal irgendwo reingeschnuppert haben. Die Ware, die sie stets auch war, ist zur Geschmacksstation im permanenten All you can eat-Buffet geworden. Wozu also noch Pop?

„Shoals“ (Untiefen), das dritte Album der 2012 gegründeten Londoner Band Palace, gibt vielleicht Antworten, indem es solche Fragen gar nicht stellt. Beim Songwriting sei es um komplexe Gefühle gegangen. Angst in verschiedenen Ausprägungen habe sich als eine Art roter Faden herausgestellt, heißt es von Leo Wyndham (Gesang, Gitarre), Rupert Turner (Gitarre), Harry Deacon (Bass) und Matt Hodges (Drums) dazu, Männer in ihren Dreißigern. Den leicht melancholischen, feinsinnig arrangierten Sound prägen perlende Gitarren mit gefällig darauf gesetzten Akzenten, ökonomische Keyboards und eine umwerfend verhaltene Rhythmusgruppe. Die Anmutung ist laid back, nie anbiedernd, eher verträumt oder nachdenklich, dabei doch seltsam drangvoll, bestimmt von Wyndhams hohem Gesang, den man zuerst jammerhaft finden mag.

Aber alles passt, ist kompakt und gewinnend. Mit der Pianoballade „Never said it was easy“ geht es los, das folgende „Shame on you“ ist rollender Midtempo-Gitarrenpop, Palace-typisch. Packend opak schwelgerische Gitarren und sacht schwebende Melodien. „Fade“ forciert mit kantigeren Bridges, treibt, aber tänzelnd, weiter gefällig trotz „writings on the wall“ und tiefer „paranoid“-Vermessung. Exemplarisch, wie eigenwillig markante Lyrics knapp diesseits von Lyrik bleiben, in höchst organischem Flow an Traumbildnotizen erinnern.

Das herausragende „Gravity“ ist ein Schwergewicht. Die Bluesrock-Verortung von Palace scheint durch, und während der Gesang fast wie Kontergewicht elegisch bleibt, stoßen Synthie-Effekte existentielle Tore weit auf: Der Song wird Landschaft, weit mehr jedenfalls, als dass er an Meer denken ließe, laut Palace das andre das Album prägende Motiv. Wie sich Pop und Tiefgang, leicht und schwer, hier gut vertragen, macht den Reiz der Band aus, nicht zuletzt ihrer Konzerte. „Give me the Rain“ bringt das heimliche „Shoals“-Motiv, den Tod: „When I die – give me the Rain“. Und psychedelisierenden Powerpop mit warmem Groove („Sleeper“) können sie auch. Das wabernd experimentelle „Salt“ ist als Shout and Response inszeniert. Man kann sich verlieren – oder finden.

Zum Schluss geht die Ballade „When Sky becomes Sea“ mit herrlich folkigen Gitarrenparts horizontal zurück ans Eingemachte, den Tod, bedrückend aber nie. Zwölf Songs insgesamt. Pop ist bei Palace ein Handwerk mit Seele oder Spirit, wie man will. Überaus gelungen.

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