Solidarität mit den Tätern?

Der Friede existiert nicht als Ergebnis unserer Verwirklichung

Menschen in Not zu helfen, ist ein Gebot der Nächstenliebe. Daran ist nichts falsch. Und doch müsste uns stutzig machen, dass wir uns ausschliesslich mit den Opfern des Bösen, selten oder nie mit den Tätern des schrecklichen Leides identifizieren. Auch die Kriegstreiber hüben und drüben sind Menschen wie wir. Gerade sie bräuchten unsere Zuwendung und Fürbitte. Könnte deren grässliches Tun verhindert werden, so gäbe es auch keine Leidtragenden als Folge davon.

Natürlich ist es komfortabler, sich mit den Notleidenden zu solidarisieren, weil wir dann auf der richtigen, guten Seite, auf der Seite der Opfer stehen. Auf diese Weise können wir bequem einer äußerst unbequemen Selbsterkenntnis ausweichen: Uns selber als Täter zu erkennen, die das Böse ins Werk setzen. Abzüglich des menschenverursachten Übels wäre die Welt so gut, wie sie von Gott geschaffen worden ist: eine einfache Subtraktion.

Das spektakuläre Böse wie der gegenwärtig tobende Krieg in der Ukraine hätte keine Chance, in Gang zu kommen und zu bestehen – ohne das alltägliche, unscheinbare, kleine Böse, das jeder tut und das wir so gern übersehen und verharmlosen. Graduelle Unterschiede: ja, aber kein kategorialer Unterschied.

Was ist der Mensch? Er steht in Beziehung zu Gott, zur Welt und zu sich selber. Das schöpferische, anerkennende, rettende und vollendende Handeln Gottes schafft die Person. Die Person ist im Geschaffenwerden. Daraus folgt die Unterscheidung von „Person“ und „Werk“: „Opus non facit personam, sed persona facit opus“, lautet der biblische Grundsatz. Nicht was wir tun, nicht die Selbstverwirklichung, das Handeln machen die Person, sondern die Person macht Werke. Das Sein der Person muss von dem, was diese Person tut, wie sie handelt und was sie bewirkt, genau unterschieden werden. Was heißt das für die kleinen und großen Übeltäter und Bösewichte? Die Würde der Person ist für alle gleich. Jede Person steht in der Verantwortung für ihre Werke. Wer eine Straftat begeht, wird dafür belangt. Jeder Straftäter hat eine unantastbare Würde als Person.

Karl Barth formulierte in einem Gebet: „Du kennst das Leben, die Gedanken, den Weg und das Herz eines Jeden von uns bis ins Kleinste und Verborgenste, und vor deinen Augen gibt es keinen Gerechten, keinen einzigen.“ Umso dringlicher die Bitte: „Und erlöse uns von dem Bösen“. Sie setzt ja die Selbsterkenntnis und das Schuldbekenntnis des Betenden voraus, dass das Böse als Zerstörung von Leben durch ihn in die Welt kommt. Wir als Täter bekennen, wer wir in Wirklichkeit sind, nämlich solche, die der Erlösung bedürfen.

Der „ewige Friede“ ist kein Handlungsziel, das wir mit menschlichen Mitteln und kluger Politik oder gar mit militärischen Waffen zu verwirklichen hätten, sondern der Friede ist schon da. Er existiert als dem Denken und Handeln vorgegebene Größe, christlich gesprochen, in der Person Jesu Christi: „Er ist unser Friede.“ (Epheser 2,14) Die christliche Existenz soll nicht in der Produktion von Frieden bestehen, wohl aber in jener erbetenen Umgestaltung, Metamorphose, Metanoia, die der Vorgegebenheit des Friedens entspricht. Das ist echte, konkrete, existentielle „Um-friedung“, die gerade und besonders wir Verursacher des Unfriedens aller Herren Länder nötig haben. Frieden ist ein personales Verhältnis zu Gott und zur Welt und zu sich selber.

Gottes Friede wäre da, wenn wir ihn nicht fortwährend vernichten würden. Wenn es wahr ist, dass ‚er’ unser Friede ist, dass die Stiftung von Friede, Versöhnung und Gerechtigkeit für alle Zeit ‚sein’ Werk, das Werk des gegenwärtig geglaubten Gottes ist, dann ist die Bitte um den Frieden die Bitte um eine unablässige Neuschöpfung.

Dass der Friede nicht als Ergebnis unserer Verwirklichung existiert, ist ein Gedanke, der dem gewöhnlichen Vorstellen zuwiderläuft. Wir denken vom Unfrieden aus auf den Frieden hin. Was ist daran problematisch? Es wird (1.) übersehen, dass der Friede anfänglich und ursprünglich ist, allem vorgegeben. Man ignoriert (2.), dass der Unfrieden die selbstverschuldete Zerstörung des Friedens ist. Dieses falsche Denkmodell gestattet dem Menschen (3.), sich selber als Hersteller des Friedens zu inszenieren statt als Verursacher des Unfriedens. Der Friede als potenzielles Handlungsziel gerät (4.) zwangsläufig unter die Ambivalenz des menschlichen Handelns. Warum lässt der Mensch (5.) den Frieden nicht einfach bestehen? Weil er Gott nicht Gott sein lässt. Und weil er kein Gerechter ist.

Darum die eindringliche Bitte an den einzigen, unablässig arbeitenden („bis ihm die Haut raucht“) Friedensstifter: Dona nobis pacem! Stifte uns ein in deinen Frieden! Verwandle uns zu friedlichen Menschen! In die Fürbitte schließen wir die Opfer von Krieg und Zerstörung ebenso ein wie die Täter im Kleinen und Großen, wo auch immer sie stehen. „Mit unsrer Macht ist nicht getan, wir sind gar bald verloren.“ Der Menschenherzen wenden kann, soll bitte die Ärmel hochkrempeln und sich ans Werk machen – und bei mir selbst anfangen! 

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