Nicht toleranter als die anderen

Eine große Studie der EKD kommt zu einem zwiespältigen Ergebnis über ihre Kirchenmitglieder
Liegestühle mit der Aufschrift «Liebe», «Toleranz» und «Freiheit» stehen vor der St. Martini Kirche in Bremen. Die evangelische Gemeinde der Kirche gilt als bibelfest und konservativ.
Foto: picture alliance/dpa Michael Bahlo
Liegestühle mit der Aufschrift «Liebe», «Toleranz» und «Freiheit» stehen vor der St. Martini Kirche in Bremen. Die evangelische Gemeinde der Kirche gilt als bibelfest und konservativ.

Vorsichtige Aussagen nach drei Jahren Forschung: Die aufwändige Studie der EKD „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung. Eine interdisziplinäre Studie zu Kirche und politischer Kultur“ findet nicht mehr Intoleranz bei Christenmenschen als im Durchschnitt der Bevölkerung – aber auch nicht weniger. Das Thema „Sexuelle Vielfalt“ polarisiert eher in den Gemeinden. Und wer andere Religionen als die eigene christliche vehement ablehnt, hat in der Tendenz meist mehr Vorurteile.

Im Grunde ging es um eine recht einfache Frage, fast eine Gretchenfrage: „Wie intolerant und rechtsradikal sind eigentlich unsere Mitglieder?“ Das war ein Thema, das Mitglieder der EKD-Synode nach ein paar Besorgnis erregenden Erlebnissen in und um Kirchengemeinden samt fremdenfeindlicher, ja teilweise hasserfüllter Aussagen etwa im Erzgebirge vor ein paar Jahren umtrieb. Aber so deutlich wurde diese drängende Frage natürlich nicht kommuniziert, sondern schön in Watte gepackt und mit wissenschaftlich-soziologischer Sprache verbrämt (oder verkompliziert). Heraus kam eine Studie, die von der Synode der EKD initiiert und vom Rat gefördert wurde, wissenschaftlich begleitet wurde sie im Wesentlichen durch das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD (SI).

Nun ist die Studie nach drei Jahren und viel Mühe veröffentlicht worden und trägt den überaus vorsichtigen, ja schwammigen Namen: „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung. Eine interdisziplinäre Studie zu Kirche und politischer Kultur“. Und leider muss man feststellen, dass die Ergebnisse der aus drei Teilstudien bestehende Gesamtstudie so kompliziert und zaghaft sind wie der Titel. Das heißt, mehr als Tendenzen sind kaum zu benennen, mehr geben die Zahlen und die Menge der befragten Personen offenbar nicht her.

Immerhin ein wesentliches Ergebnis kann man festhalten: Die Studien legen nahe, dass Menschen, bei denen der Glaube im Leben eine zentrale Rolle einnimmt, einerseits weniger Vorurteile haben - nämlich etwa gegenüber Flüchtlingen oder Muslimen, gegenüber Sinti und Roma, Behinderten, Obdachlosen et cetera. Andererseits haben sie aber stärkere Vorurteile gegenüber sexueller Vielfalt (Themen: Gender, Homophobie) als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Hilke Rebenstorf, die als Wissenschaftliche Referentin für Kirchensoziologie am SI den Forschungsverbund zur Erarbeitung der Studie federführend begleitet hat, erläuterte bei der Vorstellung der Untersuchung, es gebe eine gewisse Diskrepanz zu beobachten: Einerseits gebe es den christlichen Grundsatz der Gleichheit aller Menschen, andererseits die empirische Beobachtung, dass auch Kirchenmitglieder in Haltungen und Handlungen gegen diesen Grundsatz verstießen, etwa wenn sie sich rassistisch oder antisemitisch äußerten oder gar so handelten.

Zudem gibt es eine zwiespältige Nachricht der Studie, die in zwei Richtungen zu lesen ist: Zwar sind Vorurteile unter Kirchenmitgliedern (nur) so verbreitet wie in der Gesamtbevölkerung insgesamt, was erst einmal positiv ist. Christenmenschen, genauer: Mitglieder von Kirchen stechen da also nicht böse heraus. Negativ ist aber, dass das moderne christliche Selbstbild und wohl auch das jesuanische Vorbild ja eher fordern, eben vorurteilsfreier und toleranter zu sein als der Durchschnitt der Bevölkerung – „bei euch aber soll es nicht so sein“, um ein Jesuswort zu variieren.

Interessant ist auch, dass die besonders christlich Entflammten unter den Kirchenmitgliedern eher zu mehr Vorurteilen neigen als die Durchschnittsmitglieder der Kirchen. Das wird gefasst unter dem Begriff der „monoreligiösen Orientierung“- einfach gesagt: Christenmenschen, die glauben, dass andere Religionen eben nichts Rechtes über Gott wüssten und deshalb abzulehnen seien, haben, generell gesagt, meist stärkere Vorurteile gegenüber anderen Menschen. Das ist ein Problem, denn obwohl diese monoreligiös gesonnenen Christen nur einen geringen Anteil der Kirchenmitglieder ausmachen, so sind sie doch in den Gemeinden eher überdurchschnittlich engagiert oder zumindest häufiger in den Gottesdiensten zu finden als die Durchschnittsmitglieder. In einem Bild beschrieben: Die Pastorin predigt engagiert und wohlwollend über sexuelle Vielfalt im Gottesdienst – aber in den Kirchenreihen sitzen überdurchschnittlich viele, die gerade damit eher wenig anfangen können.

Vorsichtig kommt die EKD-Studie zudem zu dem Ergebnis, dass das „rechtspopulistisches Narrativ“ (die Elite ist korrupt und verrät ein angeblich homogenes „Volk“) auch in einer „christlichen“ Version durchaus vorhanden ist, nämlich in der Variante: Die Kircheneliten verraten das christliche Abendland. Dabei ist ein immer wieder kehrendes Motiv, dass das Gebot der Nächstenliebe angeblich von den Eliten falsch verstanden werde, das heißt, sie werde den falschen Menschen entgegengebracht. Die Unterstützung eines Flüchtlings-Rettungsbootes im Mittelmeer durch die EKD scheint dabei für viele so tickende Christenmenschen ein besonders großer Stein des Anstoßes zu sein. So ist die eher beunruhigende Erkenntnis der Studie, dass Theologie und Glaube eben grundsätzlich deutungsoffen sind, also auch „anschlussfähig für Populismus“, wie Hilke Rebenstorf das auf den Punkt brachte – der Fachbegriff dafür ist: „Host Ideology“.

Der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, Horst Gorski, fasste die Studie denn auch so zusammen: „Kirchenmitglieder sind im Hinblick auf ihre Vorurteile grundsätzlich ein Spiegelbild der Gesellschaft.“ Aber diese ambivalente Bilanz birgt auch eine Chance, weil die Kirche eben zugleich ein besonderer Ort ist: „Kirchengemeinden ermöglichen ein Miteinander unterschiedlicher theologischer und gesellschaftspolitischer Haltungen und haben dadurch ein hohes integrierendes Potential“, so Gorski. Mit dieser Chance ist demnach Verantwortung verbunden, denn es bedeute für Gemeinden auch eine große Herausforderung, diese Potentiale zu heben.

Ähnlich argumentierte der Kulturbeauftragte des Rates der EKD, Johann Hinrich Claussen bei der Vorstellung der Studie: „Die evangelische Kirche ist Teil der Gesellschaft.“ Politische und soziale Spannungen, die Deutschland durchzögen, prägten auch das Gespräch in der evangelischen Kirche. „Deshalb besteht eine wichtige Aufgabe unserer Kirche darin, gute Gespräche darüber zu gestalten, worauf wir uns einigen sollten und wo wir uns abgrenzen müssten.“ Das sei „ein wichtiger Beitrag der evangelischen Kirche zur demokratischen Kultur in Deutschland“, so Claussen. Ein Dienst an der Gesellschaft, wenn man will.

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