Hokuspokus, weg ist der Fokus

Der evangelische Glaube verträgt sich gut mit Sexismus und Homo-/Transfeindlichkeit.
Foto: privat

Nun ist sie also raus – die Studie, die Auskunft darüber gibt, wie vorurteilsbehaftet die evangelische Kirche ist. Sie trägt den Titel „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung. Eine interdisziplinäre Studie zu Kirche und politischer Kultur“. Die Synode der EKD selbst hatte sie in Auftrag gegeben, vor allem, um zu klären, ob und wenn ja wie sehr Rechtspopulismus in evangelischen Gemeinden verbreitet ist. Drei Jahre lang wurde untersucht und befragt, und das Ergebnis lässt so manche*n aufatmen: Die Evangelischen sind nicht schlimmer als der Durchschnitt, schließlich sind Kirchenmitglieder im Hinblick auf ihre Vorurteile grundsätzlich ein Spiegel der Gesellschaft. Die schlechte Nachricht lautet: Das Evangelium macht sie nicht zu offeneren Menschen.

Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass man unterscheiden muss zwischen denjenigen, die zwar Kirchenmitglieder sind, bei denen aber der Glaube keine zentrale Rolle spielt, und jenen, bei denen der Glaube einen hohen Stellenwert im Leben hat. Letztere haben laut der Studie weniger Vorurteile – also doch! Das Evangelium macht einen Unterschied! Nicht ganz, denn während die Vorurteile gegenüber Geflüchteten, Muslim*innen und anderen Gruppen geringer sind, gibt es signifikant stärkere Vorurteile gegenüber sexueller Vielfalt. Zudem äußert ein Viertel der Kirchenmitglieder sexistische Einstellungen, jedes fünfte Kirchenmitglied äußert Skepsis gegenüber feministischen Forderungen und Gleichstellung. Mit anderen Worten: Der evangelische Glaube verträgt sich gut mit Sexismus und Homo-/Transfeindlichkeit.

Auf den ersten Blick scheint das überraschend, denn schließlich haben wir seit November ein rein weibliches Leitungsteam auf der EKD-Ebene. Manche behaupten, diese Art der Diskriminierung wäre auf eine kleine Gruppe beschränkt, nämlich evangelikale Kreisen – eine Verallgemeinerung, die Michael Diener, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, argumentativ überzeugend bestreitet. Mich wundert das Ergebnis der Studie nicht. Entgegen dem Image der Evangelischen Kirche als einer Organisation, die Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen umgesetzt hat, zeigt eine Untersuchung zu Denkschriften der EKD, dass sich die EKD zwar meist progressiv positioniert (zum Beispiel auf den Feldern Umwelt und Frieden), aber immer konservativ war, wenn es um Geschlecht und sexuelle Vielfalt ging.

Zurück in die 1960er Jahre

Erinnern wir uns an die EKD-Orientierungshilfe zum Thema „Familie“ aus dem Jahr 2013. Obwohl das Papier in seiner sachlichen Darstellung der gesellschaftlich vorfindlichen Vielgestaltigkeit von Familie eher harmlos daherkam, gab es einen Riesenwirbel, und sogar Ratsmitglieder, die das Papier mit verabschiedet hatten, ruderten zurück und proklamierten das „evangelische Leitbild Ehe“ (gemeint war die heteronormative Variante). Ruckzuck befanden wir uns in einer Debatte, die in den 60er- Jahren des letzten Jahrtausends hätte geführt werden können. Es scheint, als gehörten konservative Positionen in Geschlechterfragen zum Wesenskern der evangelischen Kirche – weibliche Ratsvorsitzende hin oder her.

Was nun? Am Ende der Studie benennt der Vizepräsident des Kirchenamts der EKD Horst Gorski in einem Ausblick die Herausforderungen, die sich für die Kirche aus der Studie ergeben. Dabei geht er ausführlich auf kirchliche Projekte und Publikationen ein, die sich mit Rechtspopulismus beschäftigen – die Genderthematik wird in einem einzigen Satz gestreift. Kaum ist sie da, ist sie auch schon wieder weg. Während die Studie selbst Sexismus und Homophobie deutlich in den Fokus nimmt und problematisiert, erfolgt von der Kirchenleitung ein großes Schweigen: Hokuspokus, weg ist der Fokus. Nicht einmal die hervorragende Arbeit aus dem eigenen Haus (namentlich aus dem Studienzentrum der EKD für Genderfragen unter der Leitung von Ruth Heß) zu Vorurteilsforschung findet eine Erwähnung. Das ist kein Zufall. Wenn jemand nach einem Hinweis auf die weite Verbreitung von Sexismus in der evangelischen Kirche suchte, würde sie in diesem Text des Kirchenamts fündig. Dass umfängliche Maßnahmen zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche erforderlich sind (auch und gerade auf der theologischen Ebene), wird in dem Ausblick mit keinem Wort erwähnt. Nur eine Maßnahme hat die Synode der EKD im letzten Herbst beschlossen: Die Schließung des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer.

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