Es geht um das Überleben

Reich Gottes und Revolution: Der Zusammenhang von Christ-Sein und linker Politik
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Christliche Nachfolge hat eine „Richtung und Linie“ (Karl Barth), was sich mit dem Begriff der „Subjektwerdung“ zusammenfassen lässt: Menschen sollen Unterstützung erfahren, damit sie ihr Leben mithilfe christlicher Interpretationspraktiken befreiend gestalten können. Dazu sollen Menschen individuell ermächtigt und gesellschaftlich-strukturell bevollmächtigt werden (Empowerment). Sie brauchen Netzwerke, die Solidarität ermöglichen. Dies entspricht dem „Reich Gottes“-Gedanken, der als Ausrichtungsanker christlicher Nachfolge zu verstehen ist.

Reich Gottes lässt sich als eine alles umwälzende Kraft begreifen (Revolution). Jede Lebensdimension des Menschen soll neu ausgerichtet werden. Es gründet sich in einem kommenden Gott, der den Menschen aktivieren will, aufzustehen und zu handeln („relative Utopie“), wenngleich erst Gott sein Reich vollenden wird („absolute Utopie“).

Reich Gottes als umwälzende Befreiungsbewegung übersteigt das individuelle Leben und beinhaltet alle gegenwärtigen Gesellschaftskonstellationen. Aktuell sind Letztere jedoch von ökonomischen Zwangszusammenhängen geprägt, die (spätes-tens seit den 1980er-Jahren) einen „freien“ Wettbewerb, eine Deregulierung des Marktes und eine Privatisierung aller unserer Lebensbereiche vorantreiben wollen. Dies wird mit dem Begriff des Neoliberalismus auf den Punkt gebracht.

Die neoliberale Ausrichtung unseres wirtschaftlichen Handelns hat fatale Folgen für unser Zusammenleben. Insbesondere angesichts der Klimakatastrophe ist eine grundsätzliche Überwindung der ökonomischen Konstellationen, die auf Raubbau und Ausbeutung beruhen, unabdingbar. Christliche Nachfolge hat mit politischen Bewegungen zusammenzuarbeiten, die sich als „links“ verstehen. Der Motivationshintergrund links-gesellschaftlichen Engagements lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Alle Menschen haben das Recht, sich aus Knechtschaft und Unterdrückung zu befreien“, wie Raul Zelik in „Wir Untoten des Kapitals“ 2020 schrieb.

Ähnlich wie das Reich Gottes einen Abbau einseitiger Privilegienklassen und die Gleichberechtigung aller Menschen fordert, antizipiert linke Politik bei aller Differenziertheit ihrer Herangehensweise und ihres ideologischen Überbaus ein gutes Leben für alle Menschen. Hierbei gilt: Je wohlhabender Staaten sind, desto mehr Ressourcen verbrauchen sie. Ebenso zeichnen reichere Menschen viel höhere Umweltbelastungen auf als Schichten mit geringeren Einkommen.

Die Lösung der gegenwärtigen Krise muss daher einhergehen mit einem gerechten Besteuerungsmodell, das Menschen in Verantwortung zieht, die viel verbrauchen – Naturverhältnisse hängen mit Herrschaftsverhältnissen zusammen. Kirchliche Initiativen, die diese sozial-ökologischen Beziehungen fokussieren (wie etwa die „Zachäuskampagne“), haben daher eine hohe aktuelle Bedeutsamkeit.

Der Ausbau von Genossenschaften, die Schaffung von Allmende und die Unterstützung solidarischer Ökonomieformen sind bedeutsame Kristallisationspunkte, um vielfältige Netzwerkstrukturen von Gemeineigentum auszubauen. Sie transformieren den gegenwärtigen ökonomischen Rahmen und stehen einer einseitigen Machtakkumulation entgegen. Hierfür ist eine Ausdifferenzierung der gegenseitigen Kontrolle beizubehalten, das heißt, dass durch checks and balances die Einhaltung von gesellschaftlichen Vereinbarungen gewährleistet wird. Ein so verstandenes linkes Engagement als eine „demokratisch-egalitäre Aneignungsbewegung“, wie Zelik es nennt, steht mit vielen bibeltheologischen Motiven in einer Familienähnlichkeit. Die Exoduserzählung als ein Grundnarrativ des Alten Testaments ist ein „permanenter Aufruf zum Auszug aus neuen Gefangenschaften in bessere Welten“, so Jürgen Manemann in „Revolutionäres Christentum“.

Wie lebenswertere Lebensweisen als Gesellschaftsgefüge aussehen können, zeigen innerhalb der Tora verschiedene Konturen einer Gesellschaftsordnung, die auf „Egalität und Autonomie“ (Ton Veerkamp) drängen: Sabbatruhe, Sklavenfreilassung und Schuldenerlass alle sieben Jahre, eine umfassende Bodenreform im Jobeljahr und Solidarität mit den Armen. Mit anderen Worten: „Die Bibel verkündigt: Erlösung aus der Sklaverei“, bringt es Dick Boer in „Erlösung aus der Sklaverei“ auf den Punkt. Eine Ausrichtung, die in der Figur Jesus kulminiert und sich etwa in den Menschenrechten widerspiegelt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass links-politische Diskurse den Fokus christlicher Nachfolge auf Demokratisierungsprozesse lenken, die mit ökonomischen Transformationsentwicklungen grundlegender Art einhergehen. Ein gutes Leben für alle Menschen, die Veränderung des Ökonomisch-Gegebenen und das Drängen auf einen heilsamen Noch-nicht-Ort (Utopie) – das verbindet Christ-Sein mit linker Politik. 

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Tobias Foß

Tobias Foß, Dr. theol, arbeitet als Schulseelsorger, ist Redakteur der Zeitschriften micha.links sowie Christ und Sozialist / Christin und Sozialistin und schreibt Artikel über Konfessionslosigkeit, Diakonie und Kapitalismuskritik. In der Eule schreibt er die Kolumne „Tipping Point“ über die sozio-ökologische Transformation.


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