„Eine geschichtliche Stunde“

Das Reformprojekt „Synodaler Weg“ der deutschen katholischen Kirche kriegt noch die Kurve. Gerade so.
Die Tagung des Synodalen Weges im Krisenmoment am Donnerstag
Foto: Philipp Gessler
Krisenhafter Moment und Zusammenhalt beim "Synodalen Weg" am Donnerstag.

Geht es eigentlich nur mit Drama? Die Delegierten der katholischen Kirche in Deutschland sind bei ihrer vierten Reformversammlung in Frankfurt am Main durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Der „Synodale Weg“ wäre nach mehr als zweieinhalb Jahren Beratung beinahe krachend gescheitert. Nur der Schock eines für viele traumatisierenden Auftakts und eine dann recht kluge Tagungsregie hat ein endgültiges Scheitern verhindert. Und bei all dem Auf und Ab ging fast unter: Ein paar wegweisende Reformentscheidungen sind auch gefallen.

Der Schlag kam ohne Ansage. Und brutal. Gut vier Stunden hatten die Delegierten des Reformprojekts der katholischen Kirche in Deutschland, „Synodaler Weg“, zum Auftakt ihres vierten Zusammentreffens in einem Frankfurter Tagungshotel am Messeturm am Donnerstagabend miteinander gesprochen. Ein Grundlagentext zur katholischen Sexualmoral („Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“) war diskutiert und passagen- oder wortweise per Abstimmungen verändert worden – etwa die nur bedingt entscheidende Frage, ob es im Text nun durchgehend „Grundlinien“ oder „Wegmarken“ heißen solle. Alles schien ziemlich sanft-bürokratisch durchzulaufen, darunter selbst eine fast im Konsens veränderte Passage, die viel Positives an der Masturbation vermerkte. Das alles mithilfe eines allen Delegierten ausgeteilten elektronischen Abstimmungsgeräts, das einer kleinen Fernbedienung glich.

Dann der Paukenschlag! Während rund 82 Prozent der 230 Stimmberechtigten dem Grundlagentext mit einer übersatten Mehrheit zustimmten, wie anhand eines grün-roten Tortendiagramms auf zwei riesigen Leinwänden über den Tischreihen zu erkennen war, visualisierte das unmittelbar danach projektierte Diagramm schlicht ein Desaster: Nur knapp 61 Prozent der Bischöfe stimmten dem Text zu. Damit war das Papier mir-nichts-dir-nichts durchgefallen. Denn laut Satzung des Synodalen Weges braucht es für jeden Text in der zweiten (und damit letzten) Lesung eine Zwei-Drittel-Mehrheit der katholischen Oberhirten, also 66,6 Prozent. So war die Arbeit von zweieinhalb Jahren, hunderten Arbeitsstunden, intensiven Diskussionen auf offener Bühne bei den vorherigen Synodalversammlungen, anspruchsvollen Hearings mit Fachleuten und vielen Online-Absprachen samt detaillierter Textarbeit für die Katz.

Kalte Verachtung

Das aber wäre vielleicht alles noch verschmerzbar gewesen, wenn der Eklat nicht allen queeren katholischen Menschen in und außerhalb der Versammlung zugleich klar signalisierte: Ihr seid uns egal! Die katholische Sexualmoral soll so bleiben, wie sie ist, nämlich 19. Jahrhundert pur, geprägt durch verschwitzte Körperfeindlichkeit, kaum verhüllte Schwulen- und Lesbenverachtung und einem Menschenbild, das nur Männer und Frauen kennt und nichts dazwischen. Ganz abgesehen von der unsäglichen „Pillenenzyklika“ Humanae Vitae von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1968, wonach der Sex auch zwischen Eheleuten nur stattfinden darf, wenn theoretisch auch ein Kind dabei entstehen kann, künstliche Verhütung folgerichtig ausgeschlossen. Von außerehelichem Geschlechtsverkehr ganz zu schweigen.

Was dem Eklat auf offener Bühne folgte, war erschütternd für alle mitfühlenden Menschen und beschämend für die Reformverweigerer auf bischöflicher Seite. Schwule, lesbische und non-binäre Delegierte, Laien und Priester, versammelten sich spontan in der Mitte des Tagungssaals. Jemand hielt ein Transparent hoch, auf dem stand: „Kein Raum für Menschenfeindlichkeit“. „Wo sind die Hirten?“, rief eine Delegierte. „Wo sind die Hirten?“ Manche weinten in den Armen anderer Delegierter, andere verließen geschockt den Saal. „Fahren wir nach Hause!“, war zu hören. Oft ist von Traumatisierungen queerer Menschen die Rede – das war eindeutig ein solches Ereignis. Später klappte eine Journalistin, die früher Opfer sexualisierter Gewalt war, kurz vor Verlassen des Saals an der Tür zusammen.

Ein Abgrund tat sich auf. Totale Ratlosigkeit und Chaos waren die Folge. Die von Anfang an sehr ambitionierte Tagesordnung – für die Tonne. Eine außerordentliche Aussprache im Plenum zeigte massenhaft bittere Enttäuschung und Empörung über die blockierenden Bischöfe, die, abgesehen von wenigen Ausnahmen, mehr als zweieinhalb Jahre mit ihrer Ablehnung des Sexualpapiers hinterm Berg gehalten hatten. Schlimmer noch: Viele von ihnen hatten offenbar diesen Grundlagentext noch nicht einmal richtig gelesen, wie später immer deutlicher wurde. Aus all dem sprach nicht nur kalte Verachtung für queere Menschen, sondern auch für das Prinzip einer diskutierenden, synodalen Kirche.

Doch Fraktionssitzungen

Obwohl die Konzeption des „Synodalen Weges“ eigentlich durchgehende Transparenz und kein Fraktionsdenken vorsah (so sind zum Beispiel alle Delegierte, ob Laie, ob Priester oder Bischof, rein alphabetisch in ihren Stuhlreihen versammelt), rief der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Limburgs Bischof Georg Bätzing, seine Mitbrüder zu einer Aussprache hinter verschlossenen Türen auf. Auch die Laien (oder genauer gesagt: Nicht-Bischöfe) mussten sich aussprechen. Die Journalistinnen und Journalisten wurden höflich aus dem Saal gebeten. Die Laien-Delegierten tagten bis etwa 22.30 Uhr, die Bischöfe bis 23.30 Uhr. Die Nacht war kurz.

Am nächsten Morgen war im übermüdeten Plenum immer noch unklar, wie es weiter gehen sollte – verbindliche Absprachen hatte es auf keiner Seite gegeben, die Tagesordnung war Makulatur. Doch die Tagungsregie hatte an diesem Freitagmorgen nun das Procedere verändert: In einer erneuten Aussprache im Plenum hatten die Delegierten nun länger, nämlich statt einer, jetzt zwei Minuten Zeit, ihre Position zu äußern. Fast alle renitenten Bischöfe erläuterten nun ihre ablehnende Haltung, auch wenn die Begründungen dabei oft dünn waren: Das widerspricht halt der katholischen Lehre, manches gefällt mir nicht, und der Papst, der Papst, der Papst. Noch gegen Freitagmittag war völlig unklar, ob die ganze Versammlung nicht vorzeitig abgebrochen werden würde. Das Scheitern des Reformprozesses war nur einen Wimpernschlag entfernt. Die Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, neben Bätzing die Präsidentin des „Synodalen Weges“, erklärte bei einer Pressekonferenz am frühen Freitagnachmittag: Wenn das so weiter gehe, könnten die ZdK-Delegierten auch die Sitzung verlassen. Der „Synodale Weg“, der Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, wäre krachend gescheitert. Die hiesige Kirche Roms hätte ihre totale Reformunfähigkeit bewiesen. 

Zuspruch aus dem Ausland

Woran lag es, dass die ganze Chose dann doch nicht komplett scheiterte? Zum einen hatten sich die, einfach gesagt: queeren Delegierten entschlossen, nicht zu gehen, sondern weiter zu machen. Motto: Wir kämpfen weiter! Und zwar jetzt erst recht! Das ist umso erstaunlicher, als sie sowieso schon in ihren Freundeskreisen permanent in Rechtfertigungsdruck stehen, wie sie bei so einer Kirche überhaupt noch mitarbeiten, ja auf ihre Reformfähigkeit hoffen wollen. Die längere Aussprachezeit war ebenfalls von Vorteil, so konnte der ganze Frust raus. Einige skeptische Weihbischöfe waren wohl zudem geschockt über das drohende Scheitern des „Synodalen Weges“ und überdachten ihre Position. Vielleicht war auch ein sowieso geplanter Gottesdienst im Plenum ein wenig hilfreich, bei der alle zusammen beteten und die Eucharistie empfingen– ob konservativ, ob reformbereit, ob Laie, ob Bischof, ob hetero-, ob homosexuell orientiert. So zeigte sich: Irgendwie gehört man eben doch noch zusammen. Ihre Wirkung taten auch die Erklärungen der Beobachter und Beobachterinnen aus katholischen Kirchen des Auslands, die am frühen Freitagnachmittag fast unisono vor dem Plenum betonten: Wir schauen auf Euch. Geht voran. Ihr leistet theologische Vorarbeit. Eure profunden Texte und Anregungen sind wichtig für uns und die ganze Weltkirche.
Noch wichtiger aber war mit Sicherheit, dass es nun bei den Bischöfen Probeabstimmungen gab – das heißt, das Reformlager konnte besser abschätzen, ob eine Abstimmung im Plenum die Zwei-Drittel-Mehrheit auch der Bischöfe bekommen würde – und was an Änderungen an den Texten vielleicht noch helfen könnte. Auch die namentliche Abstimmung bei den Texten nach der zweiten Lesung (um namentlich oder geheim wurde logischer Weise mit Geschäftsordnungsanträgen hart gerungen) war hilfreich. Denn jetzt konnte kein Bischof mehr in die Anonymität abtauchen. „Die heimlichen Blockierer“ (Stetter-Karp) mussten, grob gesagt, die Hose runterlassen.
 

Kniff des Präsidiums

Das Entscheidende aber war wohl ein Kniff des Tagungspräsidiums: Obwohl ein wegweisender „Grundtext“, nämlich der zur Rolle der Frau in der Kirche, fast noch umstrittener war als das Sexualpapier, wurde er der Versammlung zur Abstimmung vorgelegt … nachdem er allerdings ein wenig abgeschwächt wurde: keine Forderungen, sondern nur eine Anregung an den Papst und die Weltkirche, die Frauenweihe dann doch mit guten theologischen Argumente neu zu diskutieren. Und das, obwohl Papst Johannes Paul II das Thema vor etwa 30 Jahren quasi-dogmatisch als nicht mehr zu diskutieren erklärte (was ja an sich schon absurd genug ist). Wie auch immer, das Frauen-Dokument bekam die erforderlichen Mehrheiten der Laien und der Bischöfe, worauf es stehenden Applaus im Plenum gab. Ein Verantwortlicher für das Papier, der zweite Vizepräsident des „Synodalen Weges“, Bischof Franz-Josef Bode aus Osnabrück, sprach von einer Wirkung in die Weltkirche hinein, ja von einer „geschichtlichen Stunde“. In vielen katholischen Kirchen weltweit ist das Frauenthema weiter total tabu. Die deutsche Kirche ist die erste, die mit überwältigender Mehrheit und offen sagt: Da müssen wir wieder ran.

Und klar war nun auch in Frankfurt: Hier geht noch was. Denn mit der gleichen Methode, also getrennte Probeabstimmungen, längere Aussprachen und namentliche Abstimmungen im Plenum, wurden de facto durch die Hintertür viele Inhalte, die im Sexualpapier am Donnerstagabend abgeschmettert worden waren, dann doch von der Synodalversammlung mit den doppelten Zwei-Drittel-Mehrheiten in zweiter Lesung abgesegnet. Das betraf zwei „Handlungstexte“ (also so etwas wie theologisch angereicherte Ausführungsbestimmungen) zum eigentlichen gescheiterten Sexualpapier. Sie heißen „Lehramtliche Neubewertung von Homosexualität“ und „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“. Was sich etwas bürokratisch anhört, hat im Alltag der katholischen Menschen hierzulande dann doch konkrete und gravierende Auswirkungen. Denn nun wird homosexuelle Liebe ohne Einschränkungen und offiziell als ebenso wertvoll und gottgewollt bezeichnet wie heterosexuelle. Zugleich werden alle Bischöfe ermahnt, Dienstvorschriften für ihre Angestellten so zu verändern, dass die sexuelle Orientierung nicht mehr dazu dienen darf, sie entlassen zu können: Die katholische Kirche zieht sich also langsam aus den Schlafzimmern ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück. Endlich.

Raus aus den Schlafzimmern

Aber noch einmal wurde es spannend am Main: als am Samstagvormittag in zweiter Lesung ein Text zur Abstimmung kam, der am Ende die absolutistische Macht der Bischöfe einschränken wird, so Gott will. Die Synode beschloss die Einrichtung eines Synodalen Rates: der in Zukunft zusammen mit der Bischofskonferenz die deutsche katholische Kirche leiten soll. Zwar muss noch ausgearbeitet werden, wie dieser Rat aufgebaut ist, wieviel Macht er erhält und wer in ihm vertreten sein wird. Aber die Grundentscheidung ist klar. Und immerhin 93 Prozent der Mitglieder der Synodalversammlung stimmten für einen Synodalen Ausschuss, der den Synodalen Rat bis 2025 vorbereiten soll. Unter den Synodalen stimmten auch 88 Prozent der Bischöfe dafür. Die „Synodalität“ der Kirche, die Papst Franziskus immer wieder einfordert, könnte damit langsam Wirklichkeit werden – wenn der Synodale Rat nicht auf kaltem Wege ausgebremst wird. Die Satzung des Rates wird entscheidend sein.

In einem Affentempo wurden schließlich mit erstaunlicher Disziplin noch drei Texte in erster Lesung behandelt, die vielen Delegierten sehr am Herzen lagen. Diese ersten Lesungen waren wichtig, da die Texte sonst überhaupt nicht mehr verabschiedet werden können. Denn im März kommenden Jahres ist mit einer fünften Synodalversammlung Schluss mit dem „Synodalen Weg“. Bis dahin müssen alle Texte mindestens in erster Lesung behandelt worden sein, so die Satzung. So wurden noch die „Handlungstexte“ mit den Titeln „Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt“, „Enttabuisierung und Normalisierung – Voten zur Situation nicht-heterosexueller Priester“ und „Verkündigung des Evangeliums durch Frauen in Wort und Sakrament“ angenommen. Knapp gesagt, sollen sie den Umgang mit non-binären und Trans Menschen in der Kirche normalisieren und auch homosexuellen Männern den Zugang zum Priesteramt ermöglichen – erinnert sei an die Outing-Kampagne „Out in Church“ im Frühjahr. Der Frauen-in-Verkündigung-Text soll die Rolle der Frauen auch in der Liturgie erweitern. Aber das ist noch ein langer Weg. Und fast alles kann Rom hier blockieren.

So waren die drei Tage unter dem Messeturm für viele Delegierte ein Wechselbad der Gefühle. Fast wäre der „Synodale Weg“ gescheitert. Die schon jetzt desaströsen Austrittszahlen aus der Kirche wären wohl noch einmal explodiert. Der stille Exodus auch der Engagiertesten in den Gemeinden hätte sich mit ziemlicher Sicherheit erneut verschnellert. Wenn sich der Pulverdampf in Frankfurt verzogen haben wird und die Gemüter sich beruhigt haben, könnte die Bilanz der vierten Synodalversammlung dennoch nicht so schlecht ausfallen. Denn lange Angestautes ist tatsächlich zur Seite geräumt worden. Gibt es das wirklich, einen „heilsamen Schock“? Anfang September 2022 hat die katholische Kirche Deutschlands so etwas Ähnliches am Main erlebt.

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