Es war kein „Nationalmasochismus“

Katharina Troppenz erforscht die Anfangsjahre der „Aktion Sühnezeichen“
Katharina Troppenz
Foto: Rolf Zöllner

Nicht zuletzt die rechtsextremistische Strömung in ihrer Heimat hat Katharina Troppenz dazu motiviert, ein Freiwilliges Soziales Jahr für die „Aktion Sühnezeichen“ in Tel Aviv zu machen. Auch wegen dieser Erfahrung kam sie dazu, über die Gründungsjahre dieser Organisation zu promovieren.

Vor 14 Jahren kam ich über „Aktion Sühnezeichen“ nach Tel Aviv und habe dort ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Ich habe dort in zwei Projekten gearbeitet: Zum einen ging es um die Betreuung vor allem österreichischer Shoa-Überlebender in einem Altersheim. Zum anderen habe ich an der Universität Tel Aviv an einem längerfristigen Forschungsvorhaben mitgearbeitet, bei dem die Daten rassistischer und antisemitischer Vorfälle weltweit gesammelt werden. Mich hat die Arbeit von „Aktion Sühnezeichen“ schon immer fasziniert, nicht zuletzt, weil ich aus einer Gegend in Brandenburg komme, wo der Rechtsextremismus ziemlich dominant ist. In Storkow, wo ich aufgewachsen bin, ist die NPD stark.

Ich bin Jahrgang 1989. Aufgewachsen bin ich in einer evangelischen Familie, zur Schule gegangen bin ich auf eine katholische Schule. Ich hatte einen guten Religionsunterricht und habe die Arbeit einer Pfarrerin in Bad Saarow bei einem Praktikum kennen gelernt. Ihr umfassendes Wissen hat mich so beeindruckt, dass ich mir schon früh gedacht habe: Was sie studiert hat, will ich auch studieren. So kam ich zur Theologie – und ich habe diesen Schritt bis heute nicht bereut. Auch wenn ich mal in andere Studienfächer hineingeschnuppert habe, kam ich doch immer wieder zur Theologie zurück. Und wenn es geht, will ich so schnell wie möglich ins Vikariat, um dann Pfarrerin zu werden.

Wegen meiner Erfahrung mit „Aktion Sühnezeichen“ fand ich es sehr reizvoll, mich um die Gründungsjahre dieser Organisation in meinem Dissertationsprojekt zu kümmern. Der Titel ist nun: „Die Aktion Sühnezeichen in den Jahren 1958 – 1968 als christlicher Beitrag zur Versöhnung nach 1945“. Dabei hat mich nicht zuletzt der Gründungsaufruf für die „Aktion Sühnezeichen“ bewegt. Er lautete: „Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet: Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.“

Mit der Verlesung dieses Aufrufs „Wir bitten um Frieden“ hat Präses Lothar Kreyssig auf der gesamtdeutschen EKD-Synode in Berlin-Spandau 1958 die „Aktion Sühnezeichen“ ins Leben gerufen – übrigens mit viel mehr Widerstand der verfassten Kirche, als er gedacht hatte. Kreyssig (1898 – 1986) bat dabei die Völker, die unter den NS-Verbrechen gelitten hatten, junge Deutsche vor Ort ein gemeinnütziges Versöhnungszeichen errichten zu lassen. Polen, Russland und Israel sollten zuerst angesprochen werden, da Deutschland ihnen „wohl am meisten wehgetan“ habe, wie er sagte.

Kreyssig, dessen Nachlass ich viele Monate lang erforschen konnte, ist eine sehr schillernde Gestalt. Er war in der NS-Zeit Richter in Brandenburg und hat auf eine fast naive Art auf dem Amtswege bis zum Reichsjustizministerium hinauf Protest gegen die Ermordung von Behinderten eingelegt. Schließlich stellte er sogar eine Mordanzeige gegen den für diesen Massenmord unmittelbar Verantwortlichen in der NS-Staatsspitze, Philipp Bouhler. Am Ende fälschte man von Staats wegen einen „Führerbefehl“, um Kreyssig die scheinbare Rechtmäßigkeit der Morde nachweisen zu können. Er war eine charismatische und nach einem offenkundigen Bekehrungserlebnis sehr fromme Persönlichkeit, die als Präses die Synoden der Nachkriegszeit sehr prägte, auch wenn seine Reden theologisch eher improvisiert und seine Sätze sehr assoziativ waren.

Ein anderer Gründungsvater der „Aktion Sühnezeichen“, den ich näher beleuchte, war ihr langjähriger Generalsekretär Franz von Hammerstein. Sein Vater, Generaloberst Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord, war Chef der Heeresleitung und trat als einziger führender Offizier der Wehrmacht aus Protest gegen Hitler 1934 zurück. Franz von Hammerstein kam wegen der Verwicklung zweier Brüder von ihm in das Attentat gegen Hitler am 20. Juli 1944 in Sippenhaft und überlebte mehrere Konzentrationslager. Nach dem Krieg war der Theologe einer der wichtigen Köpfe im jüdisch-christlichen Dialog.

Seit 1958 haben mehr als 10 000 junge Menschen an langfristigen Friedensdiensten oder Sommerlagern der „Aktion Sühnezeichen“ in mehr als 20 Ländern teilgenommen. Dabei ging es Kreyssig lange Zeit vor allem darum, ein „Sühnezeichen“ baulicher Art entstehen zu lassen, so etwa die Versöhnungskirche in Taizé, die Gedenkbauten in Coventry und die erste von Christen erbaute Synagoge in Villeurbanne nahe Lyon in Frankreich.

Diese Strategie führte beim Bau einer Akademie von „Aktion Sühnezeichen“ in Rotterdam beinahe zum finanziellen Ruin der Organisation. In den ersten Jahren waren bei der „Aktion Sühnezeichen“, anders als heute, mehr handwerklich ausgebildete junge Menschen engagiert, weil die Bauprojekte im Ausland einen großen Raum einnahmen.

Die Anfangsjahre der „Aktion Sühnezeichen“ waren von vielen Schwierigkeiten überschattet: Im politischen Raum kam der Vorwurf, sie betreibe einen „Nationalmasochismus“. Auch der Begriff der „Sühne“ klang zu katholisch. Nur wenige kirchliche Stellen zeigten Interesse, die „Aktion Sühnezeichen“ finanziell zu unterstützen, auch weil es einen Wettlauf verschiedener kirchlicher Organisationen um finanzielle Hilfe gab.

In Israel dauerte es bis nach dem Ende des Eichmann-Prozesses 1961/62, ehe junge Deutsche mit ihren Diensten dort willkommen waren. Wegen des Ost-West-Konflikts musste die „Aktion Sühnezeichen“ bis Mitte der 1960er-Jahre warten, bis junge Deutsche auch in Polen tätig werden konnten. Notgedrungen war die „Aktion Sühnezeichen“ zudem bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 in eine östliche und westliche Organisation gespalten. Die Wirkung der „Aktion Sühnezeichen“ für die innerkirchlichen und gesellschaftlichen Debatten der vergangenen Jahrzehnte ist nicht leicht einzuschätzen, aber nach meinem Eindruck vor allem in erinnerungspolitischer Hinsicht durchaus beachtlich. 

 

Aufgezeichnet von Philipp Gessler
 

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"