Traditionsfähig?

Dogmatik im Überblick

"Dogmatik im Überblick“, so hieß die vierstündige Einführungsvorlesung, die Ulrich Barth einsemestrig und von 1999 an insgesamt siebenmal in Halle, Berlin und Leipzig gehalten hat. Die Berliner Fassung von 2011/2012 wurde anhand eines Audiomitschnitts transkribiert, von ihm grundlegend überarbeitet und unter dem Titel Symbole des Christentums von Friedemann Steck herausgegeben.

Schon dieser neue Titel deutet an, was programmatisch in der Einleitung expliziert und dann auf 500 Seiten durchgeführt wird: eine liberal-christliche Dogmatik. Liberal ist sie in ihrer historisch-kritischen Perspektive auf biblische und in ihrer Bezugnahme auf philosophische Traditionen (vor allem diejenigen des griechischen und neuzeitlichen Idealismus), im Verzicht auf Konzepte wie „Offenbarung“ oder „Wort Gottes“, in ihren subjektivitätstheoretischen Prämissen, schließlich in dem, was der Autor mit Emanuel Hirsch als die unhintergehbare neuzeitliche „Umformungskrise“ des Christentums bezeichnet. Umformung heißt bei ihm: von rationalen Gottesvorstellungen zu einem religions- und erfahrungstheoretischen Ansatz, vom Begriff zum Symbol (welches „Ausdruck innerer Ergriffenheit wie gedanklicher Verlegenheit“ sei), vom Schriftprinzip weg zu einem kulturhistorischen Verständnis und selektiven Gebrauch der „Heiligen Schrift“ und des Kanons.

In den sieben materialen Kapiteln werden die „großen Symbole der Bibel“ als „Sinnmuster gegenwärtiger Selbst- und Weltdeutung“ diskutiert und ausgelegt – „Schöpfung“ als Symbol für die „Verdanktheit des Lebens“, „Jenseits von Eden“ für die „Endlichkeit des Lebens“, „Sünde“ für die „Fehlbarkeit des Lebens“, „Dürsten der Seele“ für die „Selbsttranszendierung“, „Heil“ für die „Geborgenheit des Lebens“, „Unsichtbare Kirche“ für die „spirituelle Verbundenheit des Lebens“ und „Ewigkeit“ schließlich als Symbol für die doppelsinnige „Aufhebung des Lebens“.

Wer Ulrich Barth aus seinen Beiträgen zu Schleiermacher kennt, wird beistimmen: Es gibt wenige, die so belesen, so luzide und nachvollziehbar Problemkonstellationen und komplexe Lösungsversuche beschreiben können. Diese Stärke in der historischen Durcharbeitung zeigt sich etwa dort, wo der Autor einleitend die alteuropäische Dogmatisierung und Verrechtlichung des christlichen Glaubens auf wenigen Seiten nachzeichnet, dem ein „reformatorisches Nein“ entgegengesetzt worden sei – was allerdings erst im Neuprotestantismus voll umgesetzt wurde. Oder dort, wo er knapp die Geschichte des Mythosbegriffs, die Streitigkeiten um das Chalcedonense referiert, wo er die Hauptzüge und die Forschungsgeschichte von „Apokalyptik“ skizziert, um Letztere dann in ihrer „Ambivalenz“ wie in ihren „Verdiensten“ um die Ausbildung der Eschatologie zu beschreiben. Barth plädiert schließlich für eine Erneuerung des einst „erfolgreichen Bündnisses“ der Eschatologie mit der „griechischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele“: Christlicher Glaube ist für ihn „Ewigkeitsglaube“.

Hier zeigt sich aber die Schwäche dessen, was man als Barths subjektivitätstheo­retisches Destillat bezeichnen könnte: Sünde ist ihm „das Tun dessen, wovon wir wissen, dass wir es nicht tun sollten“, keineswegs eine „Trennung von Gott“ – was gar nicht möglich sei. „Heil“ im Sinne Jesu habe wenig mit Recht und Gerechtigkeit zu tun, sondern mit „Gotteskindschaft“ und also „Geborgenheit“ – als „göttlich gewirkte“ Rechtfertigung verstanden nicht mehr als eine „Kategorienverwechslung“. Im Kirchenbegriff geht’s fast nur um die „unsichtbare Kirche“, die er als „spirituelle Verbundenheit“ derer definiert, „die sich gemeinsam geborgen wissen in der Liebe Gottes“. Man lernt viel, fragt sich aber, ob solche Theologie auch traditions- und liturgiefähig ist.

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