Konfessionelle Profile sind sexy!

Über eine Kirche Jesu Christi der vorletzten Tagung
Foto: privat

In den Sozialen Netzwerken erhalte ich während der Tagungen der EKD-Synode, über die ich berichte, immer gute Nachfragen von Leser:innen: „Geht es eigentlich auf der Synode auch um Themen, die die Basis betreffen und für sie wichtig sind?“ Natürlich kann man auf eine solche Nachfrage schnippisch „Ja!“ antworten, aber die Frage selbst darf auch zu denken geben, liegt ihr doch kein faktisches, sondern in hohem Maße gefühltes Relevanzdefizit der Veranstaltung Synode zu Grunde.

Das trifft im besonderen Maße auf das sog. Verbindungsmodell zu, in dessen Rahmen EKD, VELKD und UEK gemeinsam tagen. Denn was innerkirchlich als großer Fortschritt gefeiert wurde, erschließt sich Gemeindechristen nur bedingt: Gehören wir nicht einfach zur Evangelischen Kirche? Wozu braucht es denn die Trennung in Lutherische auf der einen, Unierte und Reformierte auf der anderen Seite?

Eine Frage, die zumindest von Seiten der UEK – wie Reinhard Mawick in den zeitzeichen aus Magdeburg ausführlich berichtete – dahingehend beantwortet wurde, dass es der UEK-Vollversammlung als synodalem Gremium der Leitung des Kirchenbundes nicht mehr bedarf. Die Interessen der Reformierten und Unierten sieht man durch eine „Integration“ in die EKD und ihre kirchenamtlichen Strukturen ausreichend gewahrt. Den freiwerdenden Vormittag auf den gemeinsamen Tagungen will man zukünftig für die inhaltliche, theologische Arbeit verwenden.

Starker Studientag

Was direkt zur Frage führt, was damit denn gemeint sein könnte. Die VELKD ergänzte die kirchen- und allgemeinpolitische Befassung mit dem Schwerpunkt Klima der EKD-Synode auf der Magdeburger Tagung durch einen eigenen starken theologisch- und ökumenisch geprägten Studientag, der sich vom Freitagnachmittag bis Samstagmittag zog. Bei der UEK war am Montag Pfarrer Dr. Andar Parlindungan von der Vereinigten Evangelischen Mission mit einem Vortrag zu „Klimagerechtigkeit und Frieden in globaler Perspektive“ zu Gast, der im Anschluss von den Mitgliedern der Vollkonferenz weder ausführlich im Plenum diskutiert, noch bis heute der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Einen Live-Stream von ihrer Sitzung bot die UEK nicht an, ein Video oder eine schriftliche Fassung konnte ich allgemein-zugänglich nirgends finden. Aber ich lasse mich gerne belehren, sollte ich mich da irren.

Nun könnte man ja argumentieren, dass es dem Präsidium der UEK-Vollkonferenz auf dieser Tagung ja vor allem um die Selbstentäußerung hinein in die EKD gegangen und daher keine Zeit und Kraft für die inhaltliche Arbeit geblieben ist. Doch welche Mühen um theologische Fragestellungen darf man für die Zukunft angesichts dessen ernsthaft erwarten? Es ist ja auch schwer zu fassen, was denn ein originärer UEK-Beitrag eigentlich sein sollte. Das fällt umso mehr ins Gewicht, weil die VELKD sich ziemlich erfolgreich nicht konfessionalistisch lutherisch, sondern als Siegelbewahrer theologischer Tiefe und ökumenischer Verbundenheit positioniert. Was Lutherisch- und was Reformiert-Sein unterscheidet und was von beidem auch heute noch relevant ist, lässt sich in jedem Falle leichter sagen, als was „uniert“ uns heute bedeuten darf.

Der Vorsitzende der UEK-Vollversammlung, Kirchenpräsident Volker Jung (Hessen-Nassau), versuchte es während seines Berichts mit der „Pluralitätskompetenz“, die von den UEK-Kirchen in die EKD eingebracht werde. Gleichwohl, das zeigen Mentalitätsstudien aller Couleur in den vergangenen Jahren regelmäßig: Die Evangelischen Christen sind zwar alles in allem feine Leute, aber pluralitätsfähiger als die restliche Gesellschaft sind sie eher nicht. Um diese Antwortvariante beraubt erklärte er auf der anschließenden Pressekonferenz, der Beitrag der unierten Theologie wäre im Anschluss an Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher „Dinge zusammen zu denken, neu zu denken und Konfessionsunterschiede zu überwinden“. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster hängen, aber: Ist das nicht doch ein bisschen dünne?

Ernsthaftigkeit gegenüber eigener Tradition 

Und woher kommt überhaupt die Vorstellung, Konfessionsunterschiede seien in jedem Fall „zu überwinden“? Dort wo sie das gemeinsame Zeugnis von Christ:innen für das Evangelium in der Gesellschaft hindern: sicher. Dort wo sie im Lichte des Evangeliums unsinnige Hürden zwischen Christ:innen errichten, wahre und volle Gemeinschaft aller Kinder Gottes verhindern, statt befördern: selbstverständlich. Aber auch dort, wo sie „das Salz in der Suppe sind“, wo sie Identifikation und Beheimatung ermöglichen – wo sie sexy sind?

Für die Mitglieder der UEK-Vollversammlung, die ein allerletztes Mal am Ende der Legislatur 2027 als Vollversammlung zusammentreten wollen, ist damit die Frage nach der Gestaltung „ihres“ Vormittags auf der verbundenen Tagung verbunden. Mithin die Frage, ob man an diesem Vormittag nur nachvollziehen will, was zuvor die VELKD-Generalsynode schon ausführlicher (und besser) gemacht hat. Aber im Lichte der Ausgangsfrage, was denn die Tagungen der EKD-Synodalen für „die Basis“ bedeuten, wird es eigentlich noch grundsätzlicher: Sind die Binnendifferenzierungen des Protestantismus in Deutschland eine Stärke oder verdienen sie es, überwunden zu werden?

Meine Generation wird ja gerne als post-konfessionell tituliert. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das eigentlich stimmt. Konfessionsvergessen: ok. Nur im geringen Umfang konfessionsgebildet: mit Sicherheit. Aber nicht zuletzt der Erfolg einer betont lutherischen Pastorin wie Nadia Bolz-Weber auch hierzulande, trotz Sprach- und Kulturbarrieren, gibt zu denken:  Ihr Appeal verdankt sich neben dem kurzen Kollarhemd und den Tattoos ganz sicher auch ihrer tiefen Frömmigkeit und theologischen Klarheit, die beide zutiefst konfessionell geprägt sind. Was sie als ihre Rettung beschreibt, ist nicht ein irgendwie evangelischer Glaube, sondern das simul iustus et peccator: Bei aller Verstrickung in die Sünde doch geliebt, geheiligt, gerettet zu sein. Und das findet bei ihr Ausdruck in einer heftigen Liebe (!) zu den Sakramenten und zur Heiligen Schrift. Darin drückt sich nicht zuletzt eine Ernsthaftigkeit gegenüber der eigenen Tradition aus, ein sich selbst als gläubige Lutheranerin ernst nehmen, das einem allgemeinen Evangelisch-Sein häufig abgeht.

Angefixt von Authentzität

An anderer Stelle, nämlich bei der Befassung mit digitaler Verkündigung, wird gerne auf den bestimmenden Faktor der Authentizität verwiesen. Menschen sind angefixt von Menschen, die nicht allein Positionen vertreten, sondern ihnen als Lebewesen entgegentreten, bei denen Überzeugungen, Handeln, Ästhetik und Ethos übereinander zu liegen scheinen. Menschen, die sagen: So bin ich! An mich könnt ihr euch halten, über mich könnt ihr euch auch ärgern, aber: So bin ich!

An wieder anderer Stelle auf der Magdeburger Tagung erklärte Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und ehemalige Präses der EKD-Synode, im Kontext der Befassung mit dem Ukraine-Krieg: „Der Krieg ist mehr als eine Landnahme, er ist ein Versuch, die Ukraine als Ganzes in Frage zu stellen.“ Russland wolle die ukrainische „Kultur, Sprache und Identität“ ausrotten. Mich stimmt das doppelt nachdenklich: Erstens, weil diese Einschätzung auch meinem Eindruck von der russischen Kriegsführung entspricht. Zweitens aber, weil ich mich zur Frage nach unserer „Kultur, Sprache und Identität“ herausgefordert fühle, die uns so friedlich daher lebenden Protestanten in Deutschland zugleich selbstverständlich, aber eben auch egal geworden sind.

Ich meine damit ausdrücklich nicht irgendwelche identitären Bestrebungen. Auch kein Bemühen darum, „die“ deutsche Sprache in irgendeinem Stadium ihrer Entwicklung einzufrieren. Und auch nicht, dass zur evangelischen Kultur nach Paul Gerhardt und Johann Sebastian Bach nichts weiter wichtiges hinzugekommen wäre. Ich meine damit die offene und neugierige Frage nach protestantischen Kulturen, Sprachen und Dialekte, die uns heute tragen und uns tatsächlich liebenswert erscheinen - und ohne deren versöhnte Verschiedenheit uns auch das Ganze fraglich würde.

Ich bin mir sicher, dass die evangelischen Konfessionen zur Beantwortung dieser Frage auch heute noch einen wichtigen Beitrag leisten können und nicht „überwunden“ gehören. Ich finde jeden betont reformierten, lutherischen, orthodoxen, katholischen Ritus sexier als eine ununterscheidbare, wenn auch gut gemeinte, Einheitspampe. Ich mag es, wenn sich Leute ernst nehmen, auch in ihren komischen Eigenheiten. Ich mag es, wenn jemand leidenschaftlich über Adiaphora streitet. Und ich bin mir sicher, dass Identifikation nicht mit um jeden Preis niedrigschwellig gehaltenen Schmalspurangeboten angeregt werden kann, sondern über glaubwürdige Christ:innen mit quirks und edges funktioniert.

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