pro und contra

pro und contra: Soll der Frauentag ein Feiertag sein?

Eske Wollrad
Foto: privat
Petra Bahr
Foto: Sprengel Hannover

Der Internationale Frauentag am 8. März ist in Berlin erstmals ein arbeitsfreier gesetzlicher Feiertag, einzigartig in Deutschland. Aber sollte der Internationale Frauentag überhaupt ein arbeitsfreier gesetzlicher Feiertag sein? Ja, meint die Theologin Eske Wollrad, die Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer in Hannover ist. Nein, sagt Petra Bahr, Landessuperintendentin in der Hannoverschen Landeskirche.

Her mit den Rosen

Der Reformationstag als Feiertag wäre schön gewesen, aber der Frauentag ist es auch

Der Frauentag als gesetzlicher Feiertag wird an den Zuständen nichts ändern, aber er tut gut und kann die Erinnerung wach halten: an das, was wir inzwischen erkämpft haben - und was noch aussteht.

 

Eigentlich hätte ich als evangelischer Christenmensch beleidigt sein müssen. Da hatte sich die evangelische Kirche so für den Reformationstag als Feiertag ins Zeug gelegt, und nun hat der Frauentag das Rennen gemacht. Der Reformationstag als Feiertag wäre schön gewesen, und es ist jede Mühe wert, weiter dafür zu streiten. Dass nun der Internationale Frauentag in Berlin zum Feiertag erklärt wurde, freut mich.Der Internationale Frauentag hat eine lange Tradition und ist unauflöslich mit der Geschichte der Arbeiterinnenbewegung verbunden. Er geht zurück auf einen Streik von Textilarbeiterinnen in New York im Jahr 1908, eine Aktion, die die meisten von ihnen nicht überlebten. Ihre Forderung nach Gerechtigkeit legte den Grundstein für eine weltweite Bewegung, die bis heute den 8. März feiert. Und bis heute gibt es zahllose Gründe, auf den Mangel an Gerechtigkeit zu verweisen - wir kennen sie alle: von Frauenarmut über sexistische Werbung und Gewalt gegen Frauen bis zu ungleichen Jobchancen. Und auch in unserer Kirche haben wir noch einen weiten Weg vor uns, wenn wir zum Beispiel die geringe Anzahl von Frauen in Leitungsämtern betrachten.Wir wissen darum, und viele von uns strampeln sich jahrein jahraus ab, um Veränderungen herbeizuführen. Ein Feiertag wird an den Zuständen nichts ändern, aber er tut gut und kann die Erinnerung wach halten: die Erinnerung an das, was wir inzwischen erkämpft haben. Und auch die Erinnerung an das, was noch aussteht. Die Arbeiterinnen damals in New York wollten mehr als ihre Rechte: Sie forderten „Brot und Rosen“ - Gerechtigkeit und Schönheit. Die Rosen, das sind die Pausen, das Ausatmen und das Staunen ob der Schönheit in der Welt. Das ist ein Feiertag für alle, eine Unterbrechung der Mühen und des Trotts. Ein Tag mit Frühstück im Bett, mit Zeit für Muße und Tanz.

Die protestantische Arbeitsethik mag mahnend den Finger heben und einwenden, dass, wenn es schon einen Frauentag als Feiertag gäbe, dieser zumindest mit der Gestaltung eines Gottesdienstes, der Organisation einer Soli-Demo und einer Informationsveranstaltung mit internationalen Gästen verbracht werden sollte. Das wäre die Variante „Kampftag gegen Gewalt gegen Frauen“. Oder wir machen es uns auf dem Sofa gemütlich, stoßen auf unsere mutigen Vorschwestern an (und vielleicht auch auf uns), schenken uns Blumen und Zeit. Warum auch nicht?

Die Ungerechtigkeiten in Sachen Gleichberechtigung werden uns noch sehr lange begleiten, und um dranzubleiben brauchen wir (in den Worten einer Schweizer Kollegin) einen „langen Schnauf“. Also: Her mit den Rosen! Darüber hinaus finde ich, die Evangelische Kirche ist geradezu prädestiniert dafür, den Frauentag als Feiertag stark zu machen, denn für sie ist die Geschlechterfrage keine Marginalie, vielmehr gehört die Verheißung umfassender Gerechtigkeit für alle Geschlechter zur frohen Botschaft des Evangeliums. Eines unserer Markenzeichen, das selbst Religionsferne mit uns in Verbindung bringen, sind die Frauen im Talar. Darum wäre (auch) der Frauenfeiertag eine wunderbare Gelegenheit für die evangelische Kirche, dieses Markenzeichen zu stärken, die biblische Verheißung der Geschlechtergerechtigkeit zu verkünden und geistliche Nahrung bereit zu stellen für den langen Schnauf.


Besser ein Feiertag für alle

Der Frauentag ist nicht „weltanschaulich neutral“ - und er verhindert den Verfassungstag

Der von der sozialistischen Frauenbewegung ins Leben gerufene Frauentag hat noch zu viel polemische Herabsetzung anderer Frauenbewegungen, etwa aus den Kirchen oder dem Bürgertum, im Schlepptau. Passender wäre der 23. Mai zur Feier der Verfassung.
Jetzt gibt es die Blumen für Frauen zweimal im Jahr. Am Muttertag und am Internationalen Frauentag.“ Es ist der lakonische Unterton in der Stimme der uralten Tante, die mich aufhören lässt. Sie muss es wissen, denn sie war die „Verwandte von drüben“, sie hat die DDR erlebt - und erlitten. Jahr um Jahr hat Erich Honecker am 8. März Frauenkollektive ausgezeichnet und Clara-Zetkin-Medaillen verteilt, für die weltanschaulich lupenreinen Sozialistinnen, die sich um den Aufbau und die Stabilität der DDR verdient gemacht haben.

Seitdem hält sich die Mär von der Gleichstellung der Frau, die mit der friedlichen Revolution 1989 mit den Mauerteilen abgeräumt wurde. Meine zornige Tante kann das nicht mehr hören. Aber sie kennt sich aus mit der Geschichte des Internationalen Frauentags. Von Clara Zetkin und der sozialistischen Frauenbewegung 1911 ins Leben gerufen, hat dieser Tag seine Tradition immer noch im Schlepptau. Die berechtigten Anliegen nach Gleichstellung, nach Wahlrecht und gleichem Lohn, nach Mutterschutz und Universitätszugängen war verbunden mit der steten polemischen Herabsetzung anderer Frauenbewegungen, kamen sie aus den Kirchen oder aus bürgerlichem Antrieb.

Die weltanschauliche Spur hat dieser Tag immer noch im Nacken. Nun kann man sagen: „Ist doch gleichgültig, Hauptsache, der neue Feiertag wird zu einer Bühne für die Anliegen von Frauen auf allen Ebenen.“ Wer mag bestreiten, dass da noch viel zu tun ist, vor allem in den Köpfen! Das Gedenken an die Vorkämpferinnen gleicher Freiheit braucht ebenfalls mehr Aufmerksamkeit, ihre Anstrengung, ihre Ideen und der Preis, den sie für uns Nachgeborene zahlten.

Dieser Feiertag ist nicht „weltanschaulich neutral“. Mein hoffentlich unberechtigter Verdacht: Von Männern gibt es Blumen und schöne Reden, und Frauen werden füreinander große Konferenzen machen, Feste feiern, Ausstellungen organisieren, Pilgerwege, interreligiöse Frauenfrühstücke, all das, was an so einem Feiertag erwartet wird. Mir reicht das nicht. Ich möchte einen Feiertag für alle. Nein, ich werde mich an dieser Stelle nicht für den Reformationstag einsetzen. In Berlin, dieser Stadt mit ihren Fliehkräften und gesellschaftlichen Großbaustellen, wäre ein Feiertag, der alle zusammenführt, angemessen, ein Feiertag, der politische, kulturelle und zivilgesellschaftliche Energie und Gestaltungskraft fordert, Pathos und genaue Erinnerung, ein Tag, der es uns nicht zu einfach macht und gerade deshalb der ausstehende Feier- und Gedenktag wäre: der 9. November. Weil dieser Tag aber - offenbar wegen der komplizierten Überlagerung der Ereignisse - Abwehrreflexe erzeugt, hätte noch ein anderer Tag zur Verfügung gestanden, für den ich in Zukunft kämpfen werde: ein Verfassungstag, wie viele andere Länder ihn feiern. Diese Verfassung verdient Feiern, Ausstellungen, Gedenken, Schulausflüge, Gottesdienste und Straßenfeste.

An diesem Gedenk- und Festtag, also dem 23. Mai, fänden sich Religiöse und Atheisten, Bürger und Bürgerinnen mit und ohne Migrationsgeschichten, Land- und Stadtmenschen, Arme und Reiche, Frauen und Männer. Und wer will, kann an diesem Tag auch den Anliegen der Frauen eine starke Referenz erweisen. Das wäre ein Erbe und ein Schatz, der einen arbeitsfreien Tag verdient, ein Tag, an dem man sich trifft, in Kontroversen und in Einigkeitsgefühl, in großer Vielfalt auf dem Boden der einen Verfassung. Hier wäre endlich der freie Tag, um mit anderen über die Zukunft dieser Gesellschaft nachzudenken, das Geschenk der Freiheit zu feiern und argumentativ zu verteidigen, Lücken und Widersprüche zu formulieren und von Berlin aus ein Signal an das ganze Land zu geben. Die Chance wurde vertan, siebzig Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes.

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Foto: Sprengel Hannover

Petra Bahr

Petra Bahr (*1966) ist studierte Theologin und Philosophin und war von 2006 bis 2014 die erste Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, leitete dann gut zwei Jahre die Hauptabteilung "Politik und Gesellschaft" der Konrad-Adenauer-Stiftung, bevor sie seit 2017 Regionalbischöfin des Sprengels Hannovers ist. Seit 2020 ist sie Mitglied des Deutschen Ethikrates.


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