Religionsunterricht für alle

Jochen Bauer entwirft eine multitheologische Fachdidaktik
Foto: Boris Rostami-Rabet
Foto: Boris Rostami-Rabet

Dass der Religionsunterricht heute noch nach Konfessionen und Religionen getrennt stattfindet, ist überholt, meint Jochen Bauer, der seine langjährige berufliche Erfahrung auf diesem Feld jetzt in seiner Promotion veröffentlicht hat.

Aufgewachsen bin ich in einer eher säkularen Familie, in der Religion keine große Rolle spielte. Natürlich, man war getauft und wurde konfirmiert, aber der Kirchgang war selbst an Weihnachten nicht selbstverständlich. Das änderte sich für mich, als ich in der Mittelstufe des Gymnasiums Religionsunterricht bei einem Lehrer hatte, der mich sehr begeisterte und der bei mir ein Interesse an Glaube und Religion weckte, das beständig wuchs. In der 11. Klasse habe ich dann „Mut zum Sein“ von Paul Tillich gelesen. Danach waren alle Klischeevorstellungen darüber, was man angeblich als Christ glauben müsste, zertrümmert. Mir wurde klar, dass christlicher Glaube auch rational möglich ist.

Spätestens von da an wollte ich Theologie studieren. In der Oberstufe belegte ich als Leistungskurs Religion, den es aber in meiner Schule nur in katholischer Religion gab. Die Hälfte der Schüler war katholisch, die andere evangelisch – das war in den Achtzigerjahren in Hessen durchaus nicht an der Tagesordnung. Wir beschäftigten uns ausführlich mit dem historischen Jesus, lasen von Hans Küng „Christsein“ und setzten uns mit den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils auseinander. Außerdem haben wir uns ausführlich mit katholischer Sakramentenlehre beschäftigt. Ich finde es bis heute beeindruckend, wie man so ganz anders als im Protestantismus Kirche denken und leben kann!

Mein Theologiestudium in Marburg begann ich noch mit dem festen Vorsatz, Pfarrer zu werden. Innerhalb weniger Monate aber wurde mir klar, dass das doch nicht mein Weg sein würde, denn die Aussicht auf ein Landpfarramt stimmte mich nicht gerade fröhlich – ich wollte auf jeden Fall in der Großstadt leben. Also wechselte ich nach Hamburg und studierte als zweites Fach Geschichte. An der Temple University in Philadelphia erwarb ich später einen amerikanischen Masterabschluss. Dort hatte ich die Möglichkeit, bei islamischen Theologen Islam zu studieren, bei einem Rabbiner Judentum und bei einem Zen-Meister Buddhismus – so etwas gab es damals in Deutschland überhaupt nicht. Damals habe ich eine Expertise im Islam gewonnen, die mir bis heute sehr hilft, und sei es nur die Erkenntnis, dass islamische Theologie genauso vielschichtig und vielfältig ist wie christliche…

Zurück in Hamburg schrieb ich meine Staatsexamensarbeit über die Muslimbrüder in den Zwanzigerjahren und die Entstehung des islamischen Fundamentalismus. Nach meinem Referendariat als Lehrer für Religion, Geschichte und Politik hatte ich das Glück, gleich in den Schuldienst übernommen zu werden, das war 1997 nicht selbstverständlich. Nach fünf Jahren wurde ich dann Fachseminarleiter für das Fach Religion, seit zehn Jahren bin ich zugleich Fachreferent für Religionsunterricht in der Hamburger Schulbehörde. Ich bin also zuständig für alle Lehrpläne, Abituraufgaben und sons-tige fachliche Fragen und darüber mit den Vertreterinnen und Vertretern der Religionen in stetem, regem Austausch.

Das Besondere in Hamburg ist, dass der Religionsunterricht dort seit jeher in der Verantwortung der evangelischen Kirche erteilt wird. Das ist schlicht historisch gewachsen, weil die Hamburger bis vor wenigen Jahrzehnten in sehr großer Mehrheit evangelisch waren. Natürlich gab es immer auch Katholiken, aber die liefen in diesem Unterricht mit, sofern sie nicht auf katholischen Privatschulen dezidiert katholischen Religionsunterricht erhielten. Nun wächst seit Jahrzehnten beständig die Zahl der Katholiken, der Muslime und der Angehörigen anderer Religionen in Hamburg – dennoch gibt es weiterhin nur einen, formal gesehen evangelischen „Religionsunterricht für alle“, der aber nicht von allen verantwortet wird. Deshalb können bisher auch nur Evangelische Religionslehrkräfte werden. Diese Situation wurde zunehmend als unbefriedigend empfunden.

Die Situation änderte sich dann 2012, als Hamburg Verträge mit drei islamischen Religionsgemeinschaften und den Aleviten abschloss, die seitdem ein offizielles Gegenüber für die Organisation des Religionsunterrichtes sind. Diese Gemeinschaften haben zusammen mit der evangelischen Kirche und der jüdischen Gemeinde erklärt, dass sie gemeinsam den Religionsunterricht in Hamburg so weiterentwickeln wollen, dass er zukünftig von allen Religionsgemeinschaften gleichberechtig verantwortet wird. Mittlerweile sucht auch die katholische Kirche einen Weg, sich daran zu beteiligen.

In meiner Göttinger Dissertation reflektiere ich ausführlich unsere Hamburger Erfahrungen mit dem „Religionsunterricht für alle“, seine Weiterentwicklung in den vergangenen Jahren und welche Prinzipien hier leitend sein sollten. Eine besondere Herausforderung stellt die Frage dar, was denn eigentlich die vielzitierte Forderung konkret bedeuten kann, im Religionsunterricht sollte die Lehrkraft Religion „authentisch“ vermitteln. Was das genau ist, dazu gibt es bisher so gut wie keine Forschung und keine Literatur. Zentral sind auch verfassungsrechtliche Fragen, die zu Recht immer aufgeworfen werden. Mein Eindruck ist aber: Wenn Juristen über Religionsunterricht schreiben, hat das häufig sehr wenig mit dem real existierenden Religionsunterricht in unserer multireligiösen Gesellschaft zu tun.

Ganz wichtig ist nämlich, dass in dieser Art von Religionsunterricht, wie auch in den anderen Schulfächern, der Lehrer keine Vorträge mehr hält. Die Schüler machen nicht mehr immer alle zur gleichen Zeit das Gleiche. Schule und Unterricht sind heute viel flexibler. Ganz praktisch: Da beschäftigen sich einige Schülerinnen und Schüler mit Jesus, andere mit Mohammed oder Buddha. Jeder hat so die Chance, seine eigene Religion kennenzulernen und zugleich andere wahrzunehmen. Die jungen Leute tragen dann zusammen, was sie herausgefunden haben, tauschen sich darüber aus und positionieren sich. Das Ganze ist nicht nur eine Wissensaneignung, obwohl das wirklich wichtig ist, sondern auch eine Auseinandersetzung unter der Fragestellung: „Ist das jetzt eine Option für meine Lebensgestaltung?“ Im Religionsunterricht geht es eben nicht nur um Inhalte, sondern auch um Identität – und um Wahrheit. Da schadet es gar nichts, wenn man die auch im Dialog mit Andersgläubigen sucht und versucht zu beschreiben. Wie gesagt: Ich hatte damals als Schüler Leis-tungskurs bei einem katholischen Priester, und der war sehr katholisch – aber im Dialog und in Auseinandersetzung mit ihm wurde ich ein guter Protestant.

 

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

 

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