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Diskussion über Sterbehilfe

Es ist kein Zufall: Bei (medizin-)ethischen Themen wie der Sterbehilfe ist der Fraktionszwang im Bundestag aufgehoben. So geschehen etwa im Herbst 2015. Nach einer ernsthaften Debatte stimmte das Parlament für ein Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe. Befürworter und Gegner des Gesetzentwurfs hatten sich über Parteigrenzen hinweg zusammengeschlossen.

Sterbehilfe – das ist ein Thema, bei dem es um das eigene Gewissen geht, um persönliche Verantwortung. Keine Partei, keine religiöse oder weltanschauliche Gruppe kann da feste Normen vorgeben. Auch gläubige Christinnen und Christen, die sich in dem gleichen kirchlich-theologischen Umfeld bewegen und derselben Generation entstammen, können in dieser Frage zu unterschiedlichen Antworten kommen. Das zeigt das Buch von Anne und Nikolaus Schneider Vom Leben und Sterben. Befragt von dem Publizisten und Theologen Wolfgang Thielmann erörtert das Ehepaar – er: ehemaliger Präses der rheinischen Landeskirche und ekd-Ratsvorsitzender, sie: ehemalige Realschullehrerin für Religion und Mathematik – Gottesbilder, Menschenbilder, Vorstellungen von Tod und Auferstehung und die damit verbundene theologische Verantwortbarkeit eines (begleiteten) Suizids.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund des eigenen Lebens: Als prägend erweisen sich dabei nicht nur die privaten und beruflichen Erfahrungen im Umgang mit Leidenden, Sterbenden und Trauernden, sondern besonders Krankheit und Tod der gemeinsamen Tochter Meike, die 22-jährig ihrer Leukämie-Erkrankung erlag. Nicht weniger bedeutsam war die Krebserkrankung von Anne Schneider selbst. Sie hatte 2014 öffentlich gemacht, professionelle Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu wollen, sollte es keine Aussicht auf Heilung geben.

Lebensqualität bedeute ihr mehr als Lebensquantität, schreibt sie, und fordert von der Politik in Deutschland, Wege zur assistierten Selbsttötung zu eröffnen. Dabei argumentiert sie nicht nur politisch, sondern auch dezidiert theologisch: „Ich kann mir keine theologisch-anthropologischen Argumente zu eigen machen, die darauf hinauslaufen, dass Menschen sich – anders als im normalen Leben – dann bezüglich ihrer Sterbephase und ihres Todeszeitpunktes als willenlose Marionetten Gottes verstehen sollen.“ Anne Schneider glaubt an einen Gott, der will, dass Menschen Verantwortung übernehmen – für sich und andere. Und sie vertraut auf die „Freiheit selbstbewusster Christenmenschen“.

Nikolaus Schneider hält dagegen: „Gott“, so schreibt er, „ist der Schöpfer des Lebens und der einzig absolute Herr über Leben und Tod“. Die politische Konsequenz aus dieser theologischen Überzeugung liegt für ihn auf der Hand: Wie schon die von ihm mitgetragene ekd-Stellungnahme zum assistierten Suizid aus dem Jahr 2014 plädiert er für Hilfe beim Sterben, nicht für Hilfe zum Sterben. Um Lebensschutz geht es ihm und um den Beitrag der Kirchen zum Wertegerüst der Gesellschaft.

Gleichzeitig räumt er ein, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer, wie er es nennt, „theoretisch-normativen Argumentationsebene“, die er der Kirche als Institution zuschreibt, und einer „lebenspraktischen individualistischen“. Der Suizid ist für ihn Ausdruck einer menschlichen Not- und Grenzsituation, der seelsorglich und mitfühlend begegnet werden muss. Das hieße im Fall seiner Frau: Er würde sie begleiten, wenn es doch noch zum Schlimmsten käme. Das ist dann wohl auch die Kernbotschaft des lesenswerten Buches, das jenseits der ethischen Fragestellung auch viele anregende Beiträge zur theologischen Selbstvergewisserung von Christinnen und Christen liefert: Dass Gesetze und Theologie vielleicht den Handlungsrahmen stecken (müssen), dass am Ende aber die Liebe das letzte Wort haben kann.

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