Bildungsbürger

Musik in der Literatur

Hans-Jürgen Benedict stellt seine „Musikbeschreibung in der deutschen Literatur“ so vor: Die häufigen Darstellungen von klassisch-romantischer Musik in den literarischen Werken des 19. und 20. Jahrhunderts waren der Anlass, der Frage des erzählten Klangs in der Literatur genauer nachzugehen. Wie gelingt es Schriftstellern wie E.T.A. Hoffmann, Eduard Mörike, Theodor Storm, Thomas Mann und Elfriede Jelinek Klänge zu erzählen und Töne zu beschreiben? Denn auch Autoren haben es nicht leicht, in Worten auszudrücken, was sich den Worten entzieht: die besondere Sprache der Musik. Die Untersuchung begibt sich auf die Suche nach dem schriftstellerisch-poetischen Mehrwert in der Schilderung von Musik. Was ist die besondere „Gewalt der Musik“ (Heinrich von Kleist)? Was sagt die gehörte oder gespielte Musik über die handelnden Personen aus? Warum stehen seit E.T.A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler und Franz Grillparzers Der arme Spielmann scheiternde und skurrile Musiker im Zentrum des Interesses? Wie gelingt die fiktionale Beschreibung neuer Musik? Zu diesen und anderen Themengebieten analysiert diese Monographie erstmals fast fünfzig Texte und an die hundert Musikstücke. Das macht neugierig – sowohl auf die Auswahl, als auch auf die Form der Analyse.

Die Auswahl ist vortrefflich. Sie bildet die Grundlage des humanistisch gymnasialen literarischen Bildungskanons des 20. Jahrhunderts ab und schlägt auf, was man gern gelesen hat oder schließlich doch gewinnbringend lesen musste. Auch die Quertreiber wie Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek sind darunter ebenso wie allmählich auf dem Abstellgleis ausharrende Autoren à la Alfred Andersch oder feine Nischenautoren wie Hartmut Lange. Dazu kommen solche wie Ulrich Treichel und Ingeborg Bachmann, die man vornehmlich als ausgesuchte Poeten und Lyrikerinnen kennt. Die kommt schließlich auch mit weiteren Beispielen aus Romantik und Biedermeier, Klassik und Realismus zur Sprache.

In den fünf Kapiteln „Die Macht der Musik“, „Neue Musik und rauschende Töne“, „Musik nach dem Zivilisationsbruch“, „Musikerromane“, „Wunderliche Musik – vermischte Musikdeutungen“ und einem Resümee erscheint ein begeisterter und kenntnisreicher Autor, der sich dem Thema mit Lust und Haut und Haar verschrieben hat und den Beweis auf die Frage sucht, inwieweit literarische Musikbeschreibungen hilfreich für das bessere Verstehen der Musikstücke selbst sind, oder ob sie nicht vielmehr der Darstellung und charakterlichen Bebilderung der jeweiligen Protagonisten und Szenen dienen.

Deutlich wird, dass beinahe alle be-handelten Bildungskanon-Autoren sich auch ihrerseits wiederum auf Bildungskanon-Komponisten beziehen, allen voran die dramatisch expressiven Klassiker und Opernkomponisten Mozart, Beethoven und Wagner. Der barocke Bach und der Frühromantiker Schubert reihen sich dahinter ein.

Wenn man seit der Weimarer Republik, spätestens jedoch nach 1945 erwartet, dass neue Musik vorkommt – ob sie nun weiter klassisch ernster und Avantgarde-Musik zuzuordnen, oder über Zeppeline, Dampfschiffe, Grammophone und Radios als Blues, Jazz und Swing eingewandert ist – geht man mehr oder minder leer aus. Diese musikalische Wirklichkeit findet keinen Raum – darin bleibt die Auswahl dem traditionellen Bildungskanon treu.

Über die Form der Analyse kann man unterschiedlicher Meinung sein. Nicht immer wollen Hörende und Lesende von meinungssatter, vielwissender Begeisterung überrollt werden, ehe sie sich selbst ein Bild machen können. Ankündigungen toller zu erwartender Erlebnisse, die dann so toll nicht sind, gibt es zuhauf. Hier liegt die Schwäche des gut Gemeinten und des daran geknüpften sympathischen, aber mitunter schwer zu lesenden pastoralen Überschwangs, der glaubt, über dramaturgische Begleittexte hinaus sprachfähig zu sein, indem er diese lächelnd vom Tisch wischt. Deren Niveau aber, das die Leser als selbst Hörende und Lesende achtet, sollte man nicht unterschätzen.

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