Wer schreibt schon über „Danke“?

Keine Angst vor Ohrwürmern: Katharina Herrmann erforscht das Neue Geistliche Lied
Foto: Rolf Zöllner
Foto: Rolf Zöllner

Die Komponisten und Texter des Neuen Geistlichen Liedes wollten in den Sechzigerjahren Politik und die Probleme der Welt wieder in den Gottesdienst bringen. Dazu brauchte es neue Texte und neue Melodien. Die Münchnerin Katharina Herrmann schildert in ihrer Dissertation Glanz und Elend des Neuen Geistlichen Liedes.

Musik war immer Teil meines Lebens. Ich hatte Klavierunterricht und Gesangstraining, mein Vater hat mal Fagott studiert. Aber dass ich eines Tages eine Dissertation über das Neue Geistliche Lied schreiben würde, das hätte ich nie gedacht. Wer schreibt schon über ein Lied wie „Danke“, das sich übrigens eine halbe Million Mal verkaufte und sogar in der Hitparade landete?

Auch mein Weg zur Theologie war nicht unbedingt vorgezeichnet. Meine Mutter ist evangelisch, aber da mein Vater katholisch war, wurden mein Bruder und ich auch katholisch getauft. Als mein Vater dann aus der Kirche austrat, wechselten wir Geschwister zum evangelischen Glauben. Mein Bruder ist sogar Pfarrer geworden, während ich zuerst Physik auf Diplom studierte, bevor ich recht schnell merkte, dass mich die Meta-Physik viel mehr interessierte. So wechselte ich zur evangelischen Theologie und Deutsch für das Lehramt in München

Beim Forschungsprojekt „Der Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1989“ von Reiner Anselm und Christian Albrecht hatte ich mich für alle Promotionsthemen beworben – bis auf eines: das Neue Geistliche Lied. Professor Albrecht aber hat mir genau das Thema angeboten, und ich war schnell sehr froh darüber. Der genaue Titel ist: „Gesungene Katechese. Kulturelle Repräsentationen eines engagierten Protestantismus im Neuen Geistlichen Lied“. Es ist ein sehr spannendes Thema. Seit zweieinhalb Jahren bin ich nun schon dabei, die Dissertation ist praktisch abgeschlossen.

Das freut nicht nur mich, sondern auch meine Kollegin im selben Büro, die nun keine schrecklichen Ohrwürmer mehr bekommt, wenn ich bestimmte Hits aus dem Kanon des Neuen Geistlichen Lieds vor mich hinsumme. Dabei singe ich diese Lieder gar nicht so gern. Ich bin ein Fan von Bachs Musik, natürlich, und von den Liedern Paul Gerhardts. „Ich steh an deiner Krippen hier“ mit Bachs Melodie ist mir immer noch das schönste Lied.

Aber das Neue Geistliche Lied ist sehr interessant, denn es ist eine Reaktion auf die Forderung nach neuen Gottesdienstformen seit den Sechzigerjahren in der evangelischen Kirche. Das Evangelische Gesangbuch war bis dahin noch geprägt von den Reformationschorälen – selbst die pietistischen Lieder des 19. Jahrhunderts waren darin selten, denn sie galten als zu gefühlig und theologisch nicht astrein.

Außerdem waren die Lieder des Gesangbuches bis dahin bewusst geprägt von einer gewissen Weltabgewandtheit. Das sei eine kluge Lehre, so glaubte man damals, aus der zu politischen Prägung des Protestantismus Anfang des 20. Jahrhunderts, die schließlich zu den nazitreuen Deutschen Christen führte. Es ist eine böse Pointe, dass sich Ende der Achtzigerjahre dann herausstellte, dass einige, die diese Weltabgewandtheit vom geistlichen Lied forderten, früher selbst bei den Deutschen Christen waren. Jedenfalls brachen die Komponisten und Texter des Neuen Geistlichen Liedes mit dieser alten Maxime, denn sie wollten genau das: auch Politik und die Probleme der Welt wieder in den Gottesdienst bringen. Dazu brauchte man neue Lieder mit neuen Texten und eine neue Liturgie. Außerdem wollte man die Jugend ansprechen, und die erreichte man leichter durch eine neue, aktuelle Musik und neue Gottesdienstformen.

Die Diskussion über das Neue Geistliche Lied aber war heftig damals. Es galt manchen als dämonisch oder teuflisch. Aber es setzte sich langsam durch, auch weil es auf den Kirchentagen so wichtig war. Erst Ende der Achtzigerjahre fand das Neue Geistliche Lied dann Einzug ins Evangelische Gesangbuch – und heute ist es aus dem Gottesdienst nicht mehr weg zu denken. Manche nennen es ja auch Sakro-Pop. Man lebt damit oder findet es toll.

Die Qualität des Neuen Geistlichen Liedes ist nach wie vor umstritten, sowohl textlich wie musikalisch. Aber wer das kritisiert, unterschätzt, dass die Komponisten und Texter des Neuen Geistlichen Liedes ja in der Regel damals nicht den Anspruch hatten, Kunst zu komponieren oder zu texten. Sie wollten vielmehr vor allem für den täglichen Gebrauch, den normalen Gottesdienst, nicht zuletzt für Kinder und Jugendliche neue Lieder schaffen, es war eine Art Gebrauchsmusik.

Außerdem sollte nach der ganzen Innerlichkeit und Verkopftheit der alten Choräle mit diesen neuen Liedern stärker das Gefühl angesprochen werden. Und das ist auch nicht falsch gedacht, denn man wollte eben den ganzen Menschen bewegen, und der Mensch ist ja nicht nur Geist und Seele, sondern auch Körper. Deshalb wurde zu diesen Liedern manchmal getanzt.

Aber es gibt natürlich auch schlimme Fehlgriffe beim Neue Geistlichen Lied, keine Frage – etwa das „Kindermutmachlied“ mit der Zeile „Wenn einer sagt, ich mag dich, du …“ Oder ein Lied aus den Siebzigerjahren, in dem Jesus als „Schlüsselkind“ bezeichnet wurde. Es gab beim Neuen Geistlichen Lied Texter, die bewusst auf das Wort „Gott“ und „Glaube“ verzichten wollten – wohl um niemanden abzuschrecken. Dann wurde aus „Glaube, Liebe, Hoffnung“ eben „Freiheit, Liebe Hoffnung“.

Das hat mich überrascht bei meiner Forschung zum Neuen Geistlichen Lied, dass es keine eindeutig theologische Diskussion darüber gab, was diese neuen Lieder eigentlich für ein Gottes- und Glaubensbild zeichnen oder nach sich ziehen – diskutiert wurde in erster Linie über die Musik, weniger über die Texte und ihre Implikationen. Überrascht hat mich auch, dass das Neue Geistliche Lied offenbar kaum übergegriffen hat auf die Neuen Sozialen Bewegungen, obwohl doch viele Friedens- oder Umweltbewegte in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine kirchliche oder theologische Prägung hatten. Es war eher umgekehrt: Die Lieder dieser Bewegung, etwa „Das weiche Wasser bricht den Stein“, schwappten über zum Kirchentag, nicht anders herum.

Nun sieht es danach aus, dass die große Zeit des Neuen Geistlichen Liedes schon wieder vorbei ist. Zwar gibt es immer wieder neue Lieder aus diesem Genre, aber musikalisch hat sich seit den Achtzigerjahren kaum noch etwas getan. Versuche, neuere musikalische Trends zu integrieren, etwa Hiphop oder Techno, sind gescheitert, vielleicht da sie sich für den Gemeindegesang nicht wirklich eignen. Und trotz allem sollte man, auch wenn man das Neue Geistliche Lied nicht mag, ihm nicht fehlende spirituelle Tiefe vorwerfen: Schließlich gibt es Menschen, die das Neue Geistliche Lied noch heute sehr bewegt.

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