Nicht männlich noch weiblich

Die Anrede im Zeitalter der Geschlechtervielfalt
Foto: privat

 

„Schmeckt nicht nach ihm und nicht nach ihr“ – das war ein Ausspruch meiner Mutter, wenn sie ein negatives Urteil über etwas oder jemanden abgeben wollte. Uneindeutiges ist schlecht, Mann oder Frau, männlich oder weiblich hingegen sind klare Kategorien. Sprache unterscheidet, verschafft Sicherheit. In Bezug auf Personen hat sie eine klare Linie: Personalpronomen sind „er“ oder „sie“, in Ausnahmefällen (wie bei „das Mädchen“) „es“.

Und das ist ein Problem. Seit dem Jahr 2018 kennt das Personenstandsrecht das sogenannte „dritte Geschlecht“, das als „divers“ bezeichnet wird. Alle Stellenausschreibungen müssen jetzt mit der Kennzeichnung „m/w/d“ erfolgen. Deshalb muss sich auch die Sprache ändern. Kluge Broschüren geben Ratschläge, wie Begriffe abgewandelt werden können, um geschlechtlicher Vielfalt zu entsprechen: Aus „Fachmann“ wird „Fachkraft“, aus „Kollegen“ „Kollegium“. So weit, so gut. Aber was mit der Anrede? „Sehr geehrter Herr …/ Sehr geehrte Frau…“ geht nicht mehr, wenn das binäre System verlassen werden soll. Manche empfehlen „Hallo Alex Müller“ – eine Anrede, die ich als weder angemessen noch respektvoll empfinde.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hilft auch nicht weiter. Er erklärte im letzten Jahr lapidar: „Die Erprobungsphase verschiedener Bezeichnungen des dritten Geschlechts verläuft in den Ländern des deutschen Sprachraums unterschiedlich schnell und intensiv. Sie soll nicht durch vorzeitige Empfehlungen und Festlegungen des Rats für deutsche Rechtschreibung beeinflusst werden.“ Die Idee, das Gender-Sternchen zu nutzen, um Geschlechtervielfalt sichtbar zu machen, hat der Rat kontrovers diskutiert – ohne Ergebnis. Das heißt: Bis auf weiteres bleibt das Sternchen offiziell ein Rechtschreibfehler und eine Gefahr für die deutsche Sprache – so der Linguist Peter Eisenberg. Es sei eine Erfindung von einer „Pressure-Group“ (dieser Begriff ist Gott sei Dank keine Gefährdung der deutschen Sprache) – damit meint er vor allem die Queer-Community – , die der deutschen Sprachgemeinschaft ihre Zeichen aufzwingen wolle.

Eisenberg tut so, als hätte die Queer-Community das dritte Geschlecht erfunden und käme nun mit dem entsprechenden Zeichen daher. Dabei geht es um eine Realität, die mit den bekannten Begriffen nicht abgebildet werden kann, und um den rechtsfreien Raum, den der Rat für deutsche Rechtschreibung zur „Erprobungsphase“ deklariert. Im Zweifel geht diese Phase zu Lasten trans- und intergeschlechtliche Menschen, die ihr Menschenrecht, das Recht einer jeden Person auf diskriminierungsfreie Kommunikation, immer wieder einklagen müssen.

Also warum nehmen wir dann nicht einfach das Sternchen, solange uns nichts Besseres einfällt? Schließlich hat sich im vergangenen Jahrhundert der Wortschatz der deutschen Sprache um ein Drittel erweitert, warum dann nicht jetzt um ein Sternchen? Als erste Stadt in Deutschland zeigt Hannover, wie es geht: Seit Anfang des Jahres verwendet die offizielle Amtssprache geschlechtsumfassende Begriffe, wenn das nicht möglich ist, kommt das Sternchen zum Einsatz. Darauf hagelte es Kritik, unter anderem hieß es, das Sternchen sei nicht barrierefrei, weil es nicht vorlesbar sei. (Dabei ist die herkömmlichen Schreibweisen wie „Dezernenten“ oder „Lehrer/innen“ auch nicht barrierefrei.) Das stimmt nicht, denn beispielsweise Gender-Studies-Studierende können diese kleine „Sternchen-Pause“ eins-A aussprechen.

Und was sieht Hannover als briefliche Anrede vor? „Guten Tag, Alex Müller“. Das ist höflicher als „hallo“, aber auch wenig respektvoll. Dann doch lieber mit Sternchen: „Sehr geehrte*r Alex Müller“. Von einer solchen Anrede würden viele Menschen profitieren, zum Beispiel auch solche, die mit einem friesischen Vornamen geschlagen sind und regelmäßig Post erhalten mit der Anrede: „Sehr geehrter Herr Wollrad…“.

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