Verpeiltes Kirchenschiff

In Sachen Seenotrettung hat die EKD die Orientierung verloren

Einiges Aufsehen erregte vor einigen Tagen die Meldung, dass die EKD ein eigenes Schiff zur Seenotrettung ins Mittelmeer schicken wolle. Ulrich Körtner, Professor für Systematische Theologie sieht in dieser Sache die EKD im übertragenen Sinne auf Grund laufen.

Ein Schiff wird kommen … Lale Andersens Schlager aus dem Jahr 1960 hat das Zeug, zur neuen Hymne der EKD zu werden. Doch das Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt mit defektem Navigationssystem geradewegs in eine Nebelbank hinein. Die Offiziere auf der Brücke scheinen die Orientierung verloren zu haben.

Die EKD will ein eigenes Schiff zur Flüchtlingsrettung ins Mittelmeer schicken. Das Online- Portal evangelisch.de versah die Meldung mit einem Foto, auf dem zwei Endfünfziger – der hannoversche Bischof Meister und der Ratsvorsitzende Bedford-Strohm – fröhlich in die Kamera lächeln (https://www.evangelisch.de/inhalte/160216/13-09-2019/evangelische-kirche-will-eigenes-schiff-ins-mittelmeer-schicken). Sie halten ein großes Faltschiff aus Papier in der Hand und einen Karton, auf dem, wie von Kinderhand gemalt, zu lesen steht: „Kirche rettet“. Das also ist das Niveau, auf dem die EKD inzwischen komplexe politische Fragen wie die europäische Migrations- und Asylpolitik diskutiert.

Stephan Kosch möchte allfälligen Kritikern gleich den Wind aus den Segeln nehmen, indem er in einem Online-Kommentar der zeitzeichen treuherzig fragt: „Kann denn Rettung Sünde sein?“ (https://zeitzeichen.net/node/7820) Das hat meines Wissens noch niemand behauptet. Koschs Vornewegverteidigung der EKD ist genauso irreführend wie die pauschale Unterstellung von NGOs und EKD, Kritiker ihres Kurses wollten die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge Mittelmeer kriminalisieren. Sie wird durch ständige Wiederholung nicht wahrer.

Die EKD will es nicht länger bei politischen Appellen belassen. Die Entsendung eines eigenen Schiffes, für das ein eigener Verein gegründet wird, an dem sich verschiedene Organisationen beteiligen sollen, sei keine bloße Symbolpolitik, sondern exemplarisches Handeln für Menschen in Not, die kein Gebot und keine Grenzen kenne. Jedoch sei die EKD in diesem Fall kein politischer, sondern ein diakonischer Akteur. Das Schiff, dessen Ausrüstung noch Monate dauern und einen sechsstelligen Betrag kosten wird, sei Teil des diakonischen Auftrags der Kirche.

Als außenstehender Beobachter fragt man sich, ob die EKD-Spitze und ihre Unterstützer tatsächlich so naiv sind oder die Öffentlichkeit für dumm verkaufen wollen. Schon in den vergangenen Monaten hat sie den Konsens mehr und mehr aufgekündigt, die Kirche wolle nicht selbst Politik machen, sondern Politik möglich machen. Der Ratsvorsitzende mischte sich im Frühjahr stark in die italienische Innenpolitik ein und leitete aus gutgemeinter Absicht kräftig Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten wie dem damaligen italienischen Innenminister Salvini.

Indem sich die EKD nun direkt an den umstrittenen Aktionen privater Seenotrettungsdienste beteiligen will, mutiert sie eben doch zum politischen Akteur, allerdings zum Akteur einer fragwürdigen Migrationspolitik. Seenotrettung ist unteilbare moralische und rechtliche Pflicht. So sagt es das internationale Seerecht, und soweit verdienen private Seenotretter Respekt und Unterstützung. Im Fall ihrer Aktionen im Mittelmeer sprechen wir allerdings nicht von spontanen Rettungsaktionen, sondern von einer langfristig geplanten und koordinierten Strategie, die mit bestimmten migrationspolitischen Motiven verknüpft ist. Zivile Seenotretter und ihre Unterstützer rechtfertigen ihr Handeln keineswegs nur mit dem Willen, Menschen aus unmittelbarer Lebensgefahr zu retten, sondern auch damit, dass jeder Mensch das Recht habe, in ein Land seiner Wahl zu flüchten oder zu migrieren. Da es ein solches Recht juristisch nicht gibt, begründen sie es moralisch. De facto wird Rettung aus Seenot zum Eintrittsticket nach Europa, und zwar nicht für die Ärmsten der Armen, sondern für die, die sich die hohen Schlepperkosten finanziell leisten können.

Letztlich laufen die Forderungen der NGOs auf eine Politik der offenen Grenzen hinaus. Das gilt auch für die Position der EKD. Die politischem und sozialen Folgen einer solchen Willkommenskultur, die das Erstarken rechter und fremdenfeindlicher Parteien in ganz Europa gefördert hat, werden heruntergespielt oder einseitig einer rassistischen „rechten“ Gesinnung angelastet.

Der amerikanische Philosoph Michael Walzer hat schon vor Jahren gewarnt, wer für offene Grenzen und die Schleifung der „Festung Europa“ eintrete, schaffe nicht eine Welt ohne Mauern und Zäune, sondern nur „tausend kleine Festungen“. Das lässt sich in Europa gut beobachten. Die Moralisierung der Politik, wie sie die EKD auf verschiedenen Feldern betreibt, läuft auf die Zerstörung der Sphäre des Politischen hinaus. Sie hilft keineswegs, Politik möglich zu machen, sondern öffnet dem Populismus Tür und Tor.

Muss die EKD ein Schiff ins Mittelmeer schicken? „Ja“, antwortet Stephan Kosch, „denn ein großer Teil ihrer Mitglieder will das.“ Er erinnert an die Resolution des Dortmunder Kirchentages und meint, „es ist gut, wenn die obersten Leitungsgremien der EKD solche Impulse von der politisch engagierten Basis aufnehmen.“ Dass der Kirchentag ein durch Wahlen demokratisches Gremium der evangelischen Kirche ist, wäre mir neu. Die Parole: „Das (Kirchen-)Volk will es!“, gehört ins Arsenal populistischer Bewegungen, die doch von der EKD sonst immer für böse erklärt werden. Merke: Populismus ist gut, wenn er von den eigenen Leuten betrieben wird.

Dem reformatorischen Erbe entspricht es, zwischen dem moralisch Gebotenen – oder für geboten Gehaltenen – und dem politisch Richtigen zu unterscheiden. Beides darf nicht auseinandergerissen werden, kann aber zueinander in Konflikt geraten. Es ist das Wesen des Politischen, im Bedingten und nicht um Unbedingten zu existieren, wie der österreichische Schriftsteller Franz Blei 1932 notiert hat. Ein Politikverständnis, das moralische Gründe politischen Gründen stets für überlegen hält, ist nicht nur politisch, sondern auch moralisch und theologisch fragwürdig.

Gerade aus moralischen und theologischen Gründen ist die Einhaltung politischer Pflichten und der Verteidigung des Rechtsstaats geboten, die bei undifferenzierter Ausdehnung von Fluchtgründen auf alle Menschen in jedweder Not unterlaufen wird. Mit ihrer migrationspolitischen Position und ihrer Haltung in der Frage privater Seenotrettung nimmt die EKD das Recht in Anspruch, aus moralischen Gründen den politischen Ausnahmezustand auszurufen, der im Zweifelsfall die Aussetzung rechtsstaatlicher Regeln legitimiert.

Die Unterscheidung zwischen Individualethik und Sozialethik, zwischen moralischen und politischen Gründen, führt uns zwangsläufig immer wieder in Konflikte und Dilemmata. Davor schützen uns keine Moral und keine Papierschiffchen. Es wäre für die politische Kultur; aber auch für die innerkirchliche Debattenkultur viel gewonnen, wenn wir uns dies auf allen Seiten eingestehen und gegenseitig zubilligen könnten.

Noch ein Wort zum diakonischen Auftrag der Kirche: Das viele Geld, das für das Rettungsschiff der Kirche aufgebracht werden soll, wäre für andere Flüchtlingsprojekte – zum Beispiel in Griechenland, wo die Flüchtlingszahlen wieder steigen – vermutlich sinnvoller eingesetzt.

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