Opa spricht

Zieglers Botschaft an die Enkel

Kurze Bücher von alten Männern im Kampf-Modus liegen spätestens seit Stephane Hessels Empört Euch aus dem Jahr 2010 im Trend. Aktuelle Beispiele sind etwa Was genau war früher besser? des mittlerweile verstorbenen französischen Philosophen Michel Serres (Jahrgang 1930), Denkt endlich an unsere Enkel! des Sprachpapstes Wolf Schneider (Jahrgang 1925) oder eben auch Was ist so schlimm am Kapitalismus? von Jean Ziegler (Jahrgang 1934), dem langjährigen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung. Auch bei ihm spielen die Enkelkinder eine zentrale Rolle. Er widmet ihnen nicht nur seine Streitschrift, er inszeniert sie sogar als einen Dialog mit seiner Enkelin Zohra.

Nun kann ja ein Gespräch, bei dem Opa die Welt erklärt, sehr unterschiedliche Facetten haben. In der Regel profitiert man als jüngerer Zuhörer von erfahrungsgesättigten Analysen, muss dafür aber manchmal auch langatmige und etwas eitle Exkurse oder stammtischhafte Parolen in Kauf nehmen. Alles das findet sich auch in Zieglers neuestem Buch, in dem er den Staffelstab im langen Lauf in eine bessere Welt an die jungen Menschen weitergeben will in der Hoffnung, dass sie „den Kapitalismus stürzen“. Was ihn ersetzen soll, weiß er nicht genau, räumt der Schweizer Soziologieprofessor am Ende des Buches ein. Aber: „Der Mensch weiß mit Gewissheit, was er nicht will.“ Nämlich eine Welt, in der alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger stirbt, der Reichtum unerträglich ungleich verteilt ist, die Umwelt zerstört wird und die Marktkräfte als Naturgesetze gelten. Schuld an all dem sei der Kapitalismus, dessen Entstehung, Prinzipien und globale Erscheinungsformen Ziegler seiner Enkelin zuvor auf gut 120 Seiten erklärt. Wer eine kurze und verständliche Einführung in die Kapitalismuskritik im Sinne von Karl Marx sucht, wird hier fündig. Mehrwert, Entfremdung, Kapitalakkumulation – das alles taucht auf und wird in wenigen Absätzen erklärt. Mit dieser Brille schaut der Sozialist Ziegler wie eh und je auf die Welt und liefert einige Analysen mit Tiefenschärfe. Beginnend bei der französischen Revolution, die für ihn den politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Triumph des kapitalistischen Bürgertums im Europa des 18. Jahrhunderts darstellt. Denn sie brachte „die Heiligsprechung des Eigentums“ die zu jener Katastrophe geführt habe, „unter der wir heute leiden.“ Wobei er seiner Enkelin klarmacht, dass die Menschen in der „Dritten Welt“ (er benutzt diesen Begriff tatsächlich noch) sehr viel stärker leiden, als die auf den Archipelen des Wohlstands wie Europa. Dennoch lebten alle unter der Herrschaft der Oligarchien, vor allem des globalisierten Finanzkapitals.

Und hier beginnt der kluge alte Mann dann doch manchmal zu brabbeln. Etwa wenn er behauptet, dass jeder Industrielle, jeder Herrscher über ein Wirtschaftssystem, von der Börse abhängt. Dabei sind längst nicht alle großen Konzerne börsennotiert. Noch platter ist die Behauptung, dass die deutsche Kanzlerin oder der US-Präsident morgens in ihr Büro kommen und sich als erstes Börsendaten des Vortages anschauten, um herauszufinden, wie viel Millimeter Spielraum sie für ihre Steuer- und Investitionspolitik haben. Oder dass die Oligarchen des globalisierten Finanzkapitals jeden Tag entschieden, wer auf dem Planeten das Recht habe zu leben und wer dazu verurteilt ist zu sterben. Hier bewegt er sich zwischen linkem Stammtisch und fragwürdigen Verschwörungstheorien.

Überzeugender hingegen sind die Passagen, in denen Ziegler seine konkreten Erfahrungen als UN-Berichterstatter etwa in Guatemala oder im Kongo beschreibt und globalisierungskritische Nahrung liefert. Er setzt seine Hoffnung auf die Zivilgesellschaft, die weltweit wachse und auf unterschiedliche Weise gegen die „kannibalische Weltordnung“ kämpfe: Die Kleinbauernbewegung Via Campesina, Greenpeace, Attac, Amnesty – alles Beispiele dafür, dass „Millionen Menschen“ erwacht seien. „Es gibt kein Programm. Nur eine langsam keimende Vorstellung an den verschiedenen mobilisierten Fronten.“ Früher nannte man das Graswurzel-Revolution, heute vielleicht Netzwerke für eine bessere Welt. Und man möchte zustimmen, wenn Ziegler mit Blick etwa auf den Erfolg der #metoo-Bewegung sagt: „Der Riss wird zu einer klaffenden Lücke, und die Mauer stürzt ein.“


 

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


Ihre Meinung


Weitere Rezensionen