Zeit für neue Bilder

Geschichte besteht nicht nur aus großen Männern

Das Oxforder College würdigt in seiner Halle nicht mehr nur ältere Herren. Frauen, Studierende und das Küchenpersonal sind nun im Bilde zu sehen. Gut so, meint unser Online-Kolumnist Christoph Markschies und hofft auf eine ähnliche Entwicklung in Berlin.

In der Hall des Oxforder Colleges, in dem ich seit Jahren dann und wann zu Gast bin, um während der Semesterferien in Ruhe lesen, forschen und schreiben zu können, hingen früher nahezu ausschließlich Ölbilder prominenterer älterer Herren. Ein berühmter Premierminister des achtzehnten Jahrhunderts ist darunter, der hier studiert hat, ein anglikanischer Theologe dazu, der zur römisch-katholischen Kirche konvertierte und nächsten Monat heiliggesprochen wird und noch einige weitere Menschen dieser Preisklasse. Eine einzige Frau befand sich bisher in der Riege der älteren Herren, Lady Elizabeth Pope, die Ehefrau des Gründers der Einrichtung, die sich nach dem Tode ihres Gatten energisch um das Haus kümmerte. Die Lady schaut in einer eleganten Samtrobe ihrer Zeit (der konfessionellen Wirren des sechzehnten Jahrhunderts) mit Spitzenhaube und Perlenschmuck streng auf die Studierenden, die sich bis heute mit dem lateinischen Tischgebet abmühen.

Vor zwei Jahren betrat ich wieder einmal zum Frühstück die Hall und war nicht wenig verwundert. Alle älteren Männer waren – vom Gründerehepaar einmal abgesehen – verschwunden und an den Wänden hingen nur Bilder von Frauen; da das College erst 1979 Frauen aufgenommen hat, natürlich vor allem Studentinnen und Professorinnen aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Als ich dieses Jahr wieder zurückkam, hingen wieder einige ältere Herren – der Premierminister Pitt und der künftige Heilige Newman darunter –, aber dazu auch einige künstlerisch herausragende Portraits von Frauen, ein Bild des Küchenpersonals und ein Bild einer Gruppe von Studierenden. Gleiches ist in vielen anderen Oxforder Colleges und dem zentralen Vorlesungsgebäude geschehen; die „Diversifying Portraiture Initiative“ wurde aus zentralen Mitteln der Universität unterstützt.

Da ich in den vergangenen Wochen täglich mein Frühstück in der Hall eingenommen habe, hatte ich Zeit, über die Bilder und ihre Hängung nachzudenken. Zum einen ist sehr deutlich, dass hier nicht nur einfach einem Druck der Political Correctness gefolgt wurde. Die neuen Bilder und Photographien sind teilweise von so herausragender Qualität, dass sie allein aus ästhetischen Gründen den Vergleich mit ihren barocken Vorgängern nicht scheuen müssen. Und dann wurden nicht nur einfach Frauen dazwischen gehängt; so ziert seit neuestem die Stirnseite direkt hinter der High Table, an der die Fellows sitzen, ein Bild eines Deutschen: Albrecht Graf von Bernstorff, ein Widerstandskämpfer gegen Hitler, Freund von Dichtern wie Künstlern und Diplomat in den Diensten von Kaiserreich wie Republik, der als Rhodes-Stipendiat in Oxford einen deutsch-britischen Debattierclub gründete und kurz vor Kriegsende 1945 in Berlin erschossen wurde. Vermutlich dürften ihn wenige Menschen hierzulande kennen; sein College erinnert an ihn.

Im vergangenen Jahr wurden erstmals im Rahmen einer Ausstellung Bilder der ersten Studentinnen und Promovendinnen meiner Berliner Fakultät an der Humboldt-Universität gezeigt, die hoffentlich bald fest installiert neben Schleiermacher, Harnack und Bonhoeffer hängen werden (eine der ersten Promovendinnen war übrigens auch eine enge Freundin und wissenschaftliche Gesprächspartnerin Bonhoeffers). Vermutlich wird es etwas länger dauern, bevor wir auch Bilder unserer Hausmeister und einiger gegenwärtiger Studierender aufhängen werden, wie in England schon seit Jahr und Tag üblich. Geschichte besteht, anders als der Berliner Historiker Treitschke dachte, nicht nur aus großen Männern. Das sagt sich leicht. Aber es sich durch – noch dazu ästhetisch herausragende – Bilder in Erinnerung zu rufen, ist eine vorzügliche Idee und nicht nur eine Mode, die eine bestimmte Politik mit sich bringt. Denn unser Gedächtnis funktioniert nun mal mit Hilfe von Bildern.


 

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