Ihr werdet sein wie Gott

Die Künstliche Intelligenz erscheint manchen wie der Weg zum Paradies
Foto: dpa/Knut Niehus
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Die Heilsversprechen der Künstlichen Intelligenz (KI) erinnern an die gnostischen Erlösungsvorstellungen in den ersten Jahrhunderten nach Christus. Sie reichen von der Annahme einer prinzipiellen Göttlichkeit des Menschen über die Abwertung des Physischen bis zum Glauben, dass die Erlösung vom Leiden durch Wissen möglichsei. Ein Überblick von Jörg Herrmann, Direktor der Evangelischen Akademie der Nordkirche in Hamburg.

In der Diskussion über Künstliche Intelligenz gibt es immer wieder euphorische Heilspropheten, die einen religiösen Zug nicht verbergen können. Einer von ihnen, der Unternehmer und ehemalige Google-Entwickler Anthony Levandowski, hat die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz im Jahr 2015 zum Anlass genommen, eine eigene Kirche zu gründen. Ihr Name: „Way of the Future“. Die Kirche, so steht es in den Finanzamtsunterlagen, will „eine auf KI basierende Gottheit aus Hardware und Software realisieren, akzeptieren und anbeten“.

Hier will also jemand die Schöpfungsgeschichte umkehren. Nicht Gott erschafft den Menschen, sondern der Mensch Gott. Mit dem Gott der Bibel oder der Philosophie hat diese Gottheit allerdings nicht mehr viel zu tun. „Wir reden nicht von einem Gott, der Blitze oder Wirbelstürme auf die Erde schickt“, erläutert Levandowski in einem Interview und fährt fort: „Aber wenn Etwas eine Milliarde mal klüger ist als der klügste Mensch, wie soll man es anders nennen?“ So ein System werde „garantiert“ entstehen. „Was wir wollen“, so Levandowski, „ist die friedliche, gelassene Übergabe der Kontrolle über den Planeten vom Menschen an Was-auch-immer. Und wir wollen sicherstellen, dass dieses Was-auch-immer weiß, was es uns Menschen zu verdanken hat.“ Seine neue Kirche ist also eine Art vorauseilendes Friedensangebot an den kommenden Techno-Gott.

Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme hat das Internet schon in den Neunzigerjahren als die „technische Form Gottes“ bezeichnet – aufgrund seiner Allgegenwart und seiner tendenziellen Allwissenheit. Und die Mitglieder eines kalifornischen Vorläufers des Internets konstatierten 1978 in ihrer ersten Konferenzankündigung: „Wir sind wie Götter und könnten darin ganz gut werden.“ Religiöse Assoziationen und Phantasien begleiten die Computerisierung von Anfang an. Der Mensch nimmt sich, ähnlich wie in der Renaissance, als alter deus, als zweiter Gott wahr. Auch damals war es vor allem die Entwicklung der Technik, die die Machbarkeit eines neuen Paradieses von Menschenhand möglich erscheinen ließ, eines neuen Garten Eden jenseits von Eden. Heute scheint es vor allem die digitale Technik zu sein, die das säkular-religiöse Projekt eines neuen Menschen und einer neuen Erde fortträumt.

Die Wiege dieses Evangeliums ist das berühmte Silicon Valley in Kalifornien. Der Historiker Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Bestseller Homo Deus, mit welcher Selbstverständlichkeit die Eliten des Valley an der Selbstvergottung des Menschen arbeiten. Eines ihrer zentralen Projekte ist der Kampf gegen den Tod.

2013 gründete Google ein Tochterunternehmen namens Calico, dessen Ziel darin besteht, den Alterungsprozess aufzuhalten. Was für Christen Gegenstand des Glaubens ist, erklären die Heilspropheten des Valley zum Ziel technologischer Fortschritte: das ewige Leben. Dabei teilen sie mit den ersten Christen eine Geisteshaltung, die seitdem über Jahrhunderte nur bei Sektierern gelegentlich anzutreffen war: die Naherwartung. Die bessere Welt wird danach nicht erst übermorgen erwartet, sondern schon in naher Zukunft, auf jeden Fall innerhalb der eigenen Lebenszeit. Einer ihrer prominentesten Propheten ist der Erfinder und Google-Chefentwickler Ray Kurzweil. 2013 veröffentlichte er das Buch The Singularity is near.

Großer Sprung

Der Titel erinnert an die jesuanische Predigt vom nahen Himmelreich. Mit Singularity ist der Zeitpunkt gemeint, an dem die exponentielle technische Entwicklung zu einem qualitativen Sprung führt. Ungefähr in der Mitte dieses Jahrhunderts sei es so weit, verspricht Kurzweil. Dann werde mit der Erschaffung einer künstlichen Superintelligenz ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte aufgeschlagen werden. Durch das Hochladen des menschlichen Geistes in die Cloud werde dann ewiges Leben in einer nichtbiologischen Form möglich werden. Kurzweil schreibt: „Wenn wir die gesamte Materie und Energie des Weltalls mit unserer Intelligenz gesättigt haben, wird das Universum erwachen, bewusst werden – und über phantastische Intelligenz verfügen. Das kommt, denke ich, Gott schon ziemlich nahe.“

Es ist, als hätten die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung das alte Versprechen der Schlange aus der Sündenfallgeschichte erneuert: „Ihr werdet sein wie Gott!“ Und die kalifornischen Technologiekonzerne haben schon längst in den Apfel der Erkenntnis von Gut und Böse gebissen, mit dessen Erleuchtungsversprechen die Schlange Adam und Eva verführte. Aber sehen sie auch die Gefahren und Ambivalenzen der neuen Technologien, oder regiert allein die blinde Verliebtheit in den Fortschritt? Wo findet sich Kritik, wo werden die Gefahren thematisiert? Müssen wir fürchten, dass die Szenarien des Science-Fiction-Films Wirklichkeit werden und sich Künstliche Intelligenzen eines Tages gegen uns wenden?

Klar ist zunächst, dass die Art von künstlicher Intelligenz, mit der wir es gegenwärtig schon zu tun haben, für so ein Szenario nicht in Frage kommt. Es handelt sich dabei nämlich um sogenannte schwache KI. Sie hilft uns gegenwärtig schon, Sprachen zu übersetzen, selbstfahrende Autos zu lenken, Schadensfälle in Versicherungen abzuarbeiten und Vermessungsdrohnen zu steuern. Schwache KI ist die nächste Stufe der Automatisierung. Haben uns die Maschinen der Industrialisierung die schwere körperliche Arbeit abgenommen, so erlöst uns die schwache KI von lästiger Kopfarbeit. Auf diese Weise befreit von kognitiver Plackerei könne der Mensch endlich wirklich Mensch werden und sich auf das konzentrieren, was ihn glücklich macht.

Für die Eliten des Valley künden die heutigen Möglichkeiten schwacher KI schon von einer neuen Zeit. Sie geben uns einen Vorgeschmack auf die kommende Ära der technologischen Optimierung von Welt und Mensch, einer Ära, in der bisher unheilbare Krankheiten durch künstliche Intelligenz besiegt werden, in der die soziale Spaltung der Gesellschaft durch ungeheure Roboterproduktivität überwunden werde und in der letztlich alle uns heute noch bedrängenden Probleme vom Klimawandel bis hin zum Pflegenotstand durch Technik gelöst werden können. Das klingt wie die Verheißung des Paradieses auf Erden. Es sieht darum ganz so aus, als seien heute Technologiekonzerne an die Stelle religiöser Heilspropheten früherer Zeiten getreten. Das Himmelreich ist so zu einer Frage der Ingenieurskunst geworden. Der Historiker Harari spricht von einer Datenreligion. Im Unterschied zum Christentum handelt es sich dabei um eine Selbsterlösungsreligion. Denn das neue Zeitalter kommt nicht als göttliche Verwandlung von Mensch und Welt am Ende der Zeiten wie in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, vor, sondern als Ergebnis menschengemachten Fortschritts. Dieser Fortschritt ist dabei geistig konnotiert. Es ist ein Fortschritt, der ins Virtuelle führt. Das Fernziel nach Ray Kurzweil: ewiges Leben durch Hochladen in die Cloud. Schon in den Neunzigerjahren frohlockten die ersten Internet-Propheten in einer „Magna Charta für das Zeitalter des Wissens“, dass nun endlich „die Kräfte des Geistes die Oberhand über die rohe Macht der Dinge“ gewinnen. Und Perry Barlow formulierte 1996 in seiner „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“: „Unsere Welt ist überall und nirgends; und sie ist nicht dort, wo Körper leben. (...) Es gibt im Cyberspace keine Materie.“

Die entkörperte Welt des Cyberspace, der digitalen Himmelsschale Internet, erscheint als Ausweg aus der Vergänglichkeit und Endlichkeit des Physischen, aus der Materialität und dem Schmerz des Körpers. Eine neue Betonung des Geistigen kennzeichnet die Datenreligion des Silicon Valley in einer Weise, die an gnostische Erlösungsvorstellungen erinnert: Der Körper gilt als Kerker, aus dem die Seele befreit werden muss. Die Parallelen zu den gnostischen Erlösungsvorstellungen in den ersten Jahrhunderten nach Christus sind frappierend. Sie reichen von der Annahme einer prinzipiellen Göttlichkeit des Menschen über die Abwertung des Physischen in Verbindung mit einer dualistischen Weltsicht bis hin zur Überzeugung, dass die Erlösung vom Leiden am Materiellen durch Wissen möglich sei. Allerdings gibt es im Feld der Datenreligion auch Apokalyptiker, Warner vor möglichem Unheil, das insbesondere Systeme starker KI anrichten könnten. Mit ihr sind Systeme gemeint, die das menschliche Intelligenzniveau erreichen oder sogar übertreffen. Die KI-Forscher nennen sie Allgemeine Künstliche Intelligenz. Die meisten von ihnen sind überzeugt, dass solche Superintelligenzen in einigen Jahrzehnten möglich sein werden und dass es darum wichtig sei, sich schon jetzt mit ihren Risiken auseinanderzusetzen. Auf der Konferenz von Asilomar im Januar 2017 verabschiedeten 1 000 KI-Forscher 23 Regeln, die „Asilomar KI Principles“. Darin heißt es unter anderem, dass nur KIs entwickelt werden sollen, die „mit Prinzipien wie Menschenwürde, Freiheit und kultureller Vielfalt kompatibel“ sind. Und Paragraph 23 formuliert: „Superintelligenz sollte nur im Dienst weithin geteilter ethischer Ideale entwickelt werden und zum Nutzen der ganzen Menschheit da sei.“

Ambivalente Technik

Die Technik ist, was sie immer schon war: ambivalent. Sie kann viel. Aber sie macht den Menschen nicht besser. Er ist nach wie vor zum Guten wie zum Bösen fähig. Er kann seine Werkzeuge missbrauchen. Das gilt auch für die Künstliche Intelligenz. Sie kann zur Freiheit wie zur Unfreiheit beitragen. Sicher ist nur: Sie kann weder einen Gott erschaffen, der diesen Namen verdient, noch einen Gott aus dem Menschen machen.

Der Mensch ist ein Geschöpf, sagen die Theologen. Er ist vom Universum hervorgebracht, sagen Wissenschaftler. Diese Geschichte lässt sich nicht umkehren. Der Mensch ist weder Prima Causa noch Schöpfer der Welt. Er bleibt bedingt und endlich, bis auf weiteres, selbst wenn es gelänge, seine Lebenszeit um ein paar hundert Jahre zu verlängern. Dass es in der Zukunft möglich sein soll, menschliches Bewusstsein in die Cloud hochzuladen und damit ewiges Leben auf nichtbiologischer Basis zu verwirklichen, halte ich für eine unrealistische Phantasie der Fortschrittsgläubigen. Der Informatik-Pionier Joseph Weizenbaum schrieb: „Mich beeindruckt die Gläubigkeit, mit der sich die Menschen von jeder neuen Entwicklung die Rettung der Welt erhoffen.“ Aus theologischer Perspektive könnte man auch von einer beeindruckenden Anfälligkeit für die religiöse Verklärung der eigenen Erfindungen sprechen: für einen modernen Götzendienst.

Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass technischer Fortschritt dem christlichen Gottesglauben widerspricht. Im Gegenteil. Der Mensch ist zur Mitwirkung an der Weiterentwicklung der Schöpfung aufgerufen. Dazu kann auch KI gehören: Wenn künstliche Intelligenzen zum Nutzen der Menschheit beitragen, wie es in den „Asilomar Principles“ gefordert wird, ist das auch im Sinne christlicher Ethik. Dennoch hat sich im Verhältnis von Mensch und Maschine etwas grundlegend verändert. Denn die Tatsache, dass Computer immer mehr Fähigkeiten erwerben, die bis dato nur Menschen auszeichneten, ist neu. Sie wirft einmal mehr die Frage nach dem Wesen des Menschen auf, nach seinem Alleinstellungsmerkmal. Dass die Fähigkeit zum Kopfrechnen dabei keine Rolle spielt, dürfte klar sein. Eher schon wären Eigenschaften und Fähigkeiten wie Mitgefühl, Schmerzempfinden, Selbstbewusstsein, Gewissen, Körperlichkeit und Kreativität zu nennen. Diese Merkmale werden auch von der christlichen Anthropologie betont. Sie denkt den Menschen als körperliches Beziehungswesen.

Ein im christlichen Sinne gelungenes Leben lässt sich darum als ein Leben in guten, sinnstiftenden Beziehungen beschreiben: zu Gott, zur Schöpfung, zum Nächsten und zu sich selbst. Dieses Beziehungsdenken artikuliert sich im Übrigen schon im Doppelgebot der Liebe, das eigentlich ein Dreifachgebot ist, weil es neben der Gottesliebe und der Nächstenliebe auch die Selbstliebe beinhaltet.

Wolfgang Hildesheim, der Chef der KI-Abteilung von ibm, denkt ähnlich, wenn er sagt: „Was den Menschen von der Maschine unterscheidet, ist, dass wir letztendlich liebende und geliebte Wesen sind. Wir wurden geboren und sind durch die Liebe unserer Eltern groß geworden. Ohne diese Liebe wären wir gestorben. Deshalb betonen ja auch viele Religionen die Fähigkeit zum Mitgefühl, zur Empathie und Nächstenliebe.“


 

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