Ringen mit der Sache

Juliane Schüz und der Glaube bei Karl Barth
Foto: Andrea Enderlein
Foto: Andrea Enderlein

Was den Glauben angeht, hatte Karl Barth, der „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“, ganz besondere Vorstellungen. Juliane Schüz, zurzeit Pfarrerin in Oestrich-Winkel im Rheingau, ist ihnen in einer Dissertation nachgegangen.

In meiner Familie bin ich die erste Theologin. Meine Eltern waren zwar Kirchenmitglieder, aber einen engeren Bezug fanden sie erst, als ich in die Kinderkirche ging. Als Jugendliche habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt: „Was kann ich Sinnvolles beruflich tun?“ Lange Zeit favorisierte ich Medizin als Studienfach, doch zunächst ging ich nach dem Abitur als Helferin mit einer christlichen Organisation zu verschiedenen Gemeinden nach Australien und auf die Salomonen. Wir haben „Kids Camps“ in den Ferien veranstaltet und dort ausgeholfen, wo Gemeinden uns brauchten. Danach war ich vier Monate in Malaysia. Dort habe ich, in einem offiziell muslimischen Land, eine religiös und ethnisch unglaublich vielfältige und offene Gesellschaft kennengelernt.

Es war eine sehr spannende Zeit, nach der ich wusste, dass ich Theologie studieren wollte. Dafür musste ich alle alten Sprachen nachholen, denn ich war auf einem naturwissenschaftlich geprägten Gymnasium gewesen. Das gelang mir innerhalb eines Jahres, danach habe ich mit Begeisterung und zügig studiert. Das Grundstudium in Mainz, einige Semester in Tübingen, dann war ich scheinfrei und konnte dank eines Stipendiums noch zwei Semester in Princeton studieren – ein „Mekka der Theologie“ mit der weltweit größten theologischen Präsenzbibliothek. Am Princeton Theological Seminary liegt ein Schwerpunkt auf der Theologie Karl Barths, besonders prägend waren für mich die Veranstaltungen zu Schleiermacher und Barth bei Bruce McCormack.

In dieser Zeit ist mir klar geworden, dass Karl Barth die beiden großen Religionskritiker des 19. Jahrhunderts, David Friedrich Strauß und Ludwig Feuerbach, gut kennt, und gleichzeitig trotzdem materialiter Dogmatik auf den Spuren der altkirchlichen Dogmatik treiben will und eben nicht beim Streit über die Einleitungsfragen der Theologie stehen bleibt. Man spürt Karl Barth ein ernsthaftes Ringen mit der Sache ab, wobei dahingestellt sei, ob er immer richtig liegt – aber das Gesamtkunstwerk seiner Theologie hat mich spätestens in Princeton absolut gefesselt. Kurz: Es war ein tolles Jahr!

Zurück in Deutschland, machte ich Examen und bekam dann mehrere Angebote für eine Promotion. Ich entschied mich, bei Christiane Tietz zu schreiben, bei der ich schon in Mainz studiert hatte. Als Bonhoeffer-Kennerin und Jüngel-Schülerin hat sie einen interessanten Zugang zu Barths Theologie. Zu Barth ist natürlich schon sehr viel geschrieben worden, und so haben wir geprüft: Wo ist eine Lücke, wo könnte meine Arbeit ansetzen? Es stellte sich überraschenderweise heraus, dass das Thema Glauben in der Kirchlichen Dogmatik (KD) Karl Barths bisher noch nicht systematisch untersucht worden war. Es ist ja auch nicht leicht, dieses Thema bei Karl Barth zu greifen, da er explizit keine Glaubenslehre geschrieben hat. In KD IV/1 gibt es den Paragraphen 63, der vom Glauben handelt. Das sind insgesamt nur etwa fünfundvierzig Seiten von über neuntausend. Doch implizit wird die Frage nach dem Glauben eigentlich in jeder Schrift Barths mitbehandelt, denn immer, wenn Barth von „Offenbarung“ oder „Gottes Reden“ spricht, funktioniert der Gedankengang in Barths Logik nur, wenn es „wirkmächtige“ Selbstoffenbarung ist, wenn also die Offenbarung beim Menschen ankommt – und genau das ist der Punkt, den wir „Glauben“ nennen.

In meinem Projekt stelle ich die Frage nach der menschlichen Gestalt des Glaubens auf drei Ebenen. Erstens auf der Problemebene: Was ist der Glaube, welchen Bezug und Begründungsrahmen hat er und welche Tätigkeit kommt dem Menschen im Glaubensvollzug zu? Je nach Antwort auf diese Fragen, kann Glaube anders verstanden werden: von einem psychologischen Phänomen über ein willentliches Fürwahrhalten bis hin zu einem gottgewirkten Vertrauen. Gerade vor dem Hintergrund der Alternativen tritt die Besonderheit von Barths relationalem Verständnis des Glaubens als „Antwort“ und als „Anerkennen Gottes“ hervor. Dieser systematisierende Blick auf Phänomene des Glaubens hilft mir auch in meiner Arbeit als Pfarrerin sowohl auf der Kanzel als auch in der Seelsorge immer wieder.

Die zweite Ebene ist die Forschungsdebatte zu Karl Barths Theologie. Hier geht es besonders um die Frage, wie der Glaube einerseits als vom Menschen vollzogen, andererseits als von Gott begründet und in Christus bereits vollkommen verwirklicht verstanden werden kann. Zum Beispiel hatte Dietrich Bonhoeffer moniert, bei Barth gebe es nur eine Art „himmlischen Doppelgänger“ des Glaubenden, da Barth, wenn er vom „wahren Menschen“ rede, ausschließlich Jesus Christus und dessen Verhältnis zu Gott meine.

Hier zeige ich, wie Barth – gerade durch seine strikte Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Tat – den Glauben als ein Geschehen mit zwei zugleich tätigen Subjekten beschreibt. Aus der Analogie zu Christus kann dann die „irdische“ Wirklichkeit des Glaubens beschrieben werden als Entscheidung, Antwort und Bekenntnis. Doch der menschliche Glaube ist nicht nur auf Gott bezogen und von ihm ermöglicht, sondern in Christus auch schon wirkmächtig vollendet. Ich weise nach, dass der Glaubende nach Barth für seine Lebensgestaltung radikal verantwortlich ist, doch zugleich für seine Teilhabe am Heil nichts mehr tun muss.

Drittens ordne ich den Ansatz Barths in die heutige Debatte der Systematischen Theologie ein, worauf der Untertitel meiner Arbeit, „zwischen Exzentrizität und Deutung“, Bezug nimmt. Ich zeige auf, dass Barth einen Mittelweg zwischen der subjektivitätstheoretischen Denkfigur des Glaubens als Selbstdeutung und einem realistischen Gottesverständnis eröffnet. Gerade die Unverfügbarkeit Gottes wirft den Menschen auf Deutungen zurück, die ich aber als relational-dialogische Vollzüge fasse.

Ich erfahre auch in meinem Alltag als Pfarrerin immer wieder, dass Menschen Interesse daran zeigen, die Phänomene des Glaubens zu durchdenken. Da mein Projekt auch die existentielle Dimension des Glaubens betrifft, ist es auch über den Ertrag für die Barth-Forschung hinaus relevant.

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

Die Dissertation von Juliane Schüz ist unter dem Titel „Glaube in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik – Die anthropologische Gestalt des Glaubens zwischen Exzentrizität und Deutung“ 2018 im Walter-Gruyter-Verlag (Theologische Bibliothek Töpelmann, Band 182) erschienen.

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