Kein Verteidiger der Wahrheit

Ein eindrucksvoller und erhellender Film über Joseph Ratzinger
Das Plakat des neuen Films von Christoph Röhl über den zurückgetretenen Papst Benedikt XVI.

Dem deutsch-britischen Regisseur Christoph Röhl gelingt mit "Verteidiger des Glaubens" eine schlüssige Darstellung des Scheiterns von Joseph Ratzinger, der als Papst Benedikt XVI. vergeblich versuchte, die scheinbar heile katholische Welt wieder aufzurichten - und den Missbrauchsskandal zu verdrängen.

Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn Georg Gänswein, Präfekt des Päpstlichen Hauses und Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI., sich aufregt. Und das hat er ordentlich. Noch vor dem morgigen Deutschland-Start des mit Spannung erwarteten Dokumentarfilms „Verteidiger des Glaubens“ über seinen früheren (und gewisser Weise noch heutigen) Chef, Papst em. Benedikt, weltlich: Joseph Ratzinger, polterte der Kurienerzbischof der katholischen Kirche im Vatikan über den Film: „Das ist eine Sauerei, ein Debakel - ich kann es nicht anders sagen.“

Starke Worte, und man kann sie nachvollziehen. Denn die knapp anderthalbstündige Dokumentation des britisch-deutschen Filmregisseurs Christoph Röhl haut Joseph Ratzinger, auf Deutsch gesagt, nach allen Regeln der Filmkunst, aber durchaus elegant und stringent in die Tonne. Dennoch ist der Ärger von Gänswein auch wieder absurd, denn der treue Adlatus des 2013 zurückgetretenen Papstes kommt in dem Dokumentarfilm durchaus länglich zu Wort, kann also seine Sicht der Dinge ausführlich darstellen. Aber es hilft halt nichts: Die Argumentation von Röhls Film gegen Ratzinger als einen tragischen Helden, der vielleicht das Gute wollte, aber am Ende nur das Schlechte erreichte, ist zu schlüssig. Die Realität und Geschichte stehen gegen den früheren Pontifex Maximus – da kann die engagierte und wortreiche Verteidigung Gänsweins nur wenig ausrichten.

Was ist die Grundthese des Films? Sie wird in der Dokumentation von der jungen Theologin und Publizistin Doris Reisinger, geborene Wagner, in einem schönen Wortspiel zusammen gefasst: Joseph Ratzinger war der falsche Mann für das Amt des Papstes – aber das Amt des Papstes war das Richtige für Joseph Ratzinger. Soll heißen: Benedikt XVI. hat den Anforderungen des Papstamtes nicht genügt – aber für ihn selbst war dieses Amt das Richtige, denn er erhielt in ihm die Unantastbarkeit, die Entrücktheit und die Macht, die er eigentlich schon immer gewollt hat. Und mit dieser Einstellung hat Joseph Ratzinger in der entscheidenden Probe seines Pontifikats von 2005 bis 2013, ja eigentlich schon in seiner Zeit als Jahrzehnte langer Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, gefehlt: in der Bekämpfung und Aufarbeitung des weltweiten Missbrauchsskandals der katholischen Kirche.

Dem Film gelingt es phasenweise meisterhaft, diese These in Wort und Bild zu belegen. Ratzinger wird gezeigt als ein Mann, der spätestens seit den Studentenunruhen von 1968 auf einen reaktionären Kurs für die katholische Kirche einschlägt – obwohl er noch zu Zeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) als ein Reformer galt. Eindrucksvoll schildert Röhl, in welcher katholischen Idylle der junge Joseph in Bayern aufwuchs. Es war eine sehr fromme Familie, in der vor allem Joseph und seine Geschwister Georg, ebenfalls Priester und einst Leiter der Regensburger Domspatzen, sowie seine Schwester und spätere Haushälterin Maria über Jahrzehnte wie Pech und Schwefel, naja, sagen wir: wie Amen und Kirche zusammen hingen. In der Dokumentation kommen mehrere Fachleute, unter anderem Gänswein, zu Wort, die erklären, dass diese Idylle und dieses Familienbild seine Vorstellung von der Kirche und seine Theologie wesentlich prägten: die Kirche als eine perfekte, heilige Gemeinschaft, die vor den Anwürfen der bösen modernen Welt bewahrt werden muss.

Sehr erhellend ist etwa, was einer der befragten Fachleute, der frühere Assistent Ratzingers und spätere Dogmatik-Professor Wolfgang Beinert, von der Zeit Ratzingers als Dogmatiker an der Universität Regensburg ab 1969  erzählt: Der fromme Professor, offenbar traumatisiert durch die Erfahrungen durch die ideologischen Kämpfe mit den Achtundsechziger in seiner früheren Universität Tübingen, geriet in einen Zirkel von super-frommen Endzeit-Jüngern, die das nahe Kommen des Teufels und den Endkampf zwischen Gut und Böse erwarteten – die moderne Welt als Apokalypse, und Ratzinger stand diesem Denken sehr nahe.

Noch erschütternder ist, wie eindrücklich fast alle befragten Theologen und Priester (außer Gänswein) die fatale Wirkung von Joseph Ratzinger als Exekutor von Papst Johannes Paul II. (Pontifikat: 1978 – 2005) im Amt des Präfekten der Glaubenskongregation beschreiben: Eine Atmosphäre der Angst und Überwachung entstand für fast drei Jahrzehnte, in der freie, liberale Gedanken in der Theologie und im Kirchenvolk nicht geduldet, sondern sofort nach Rom gemeldet und in der Regel scharf sanktioniert wurden. Gleichzeitig wurde der Missbrauchsskandal in der ganzen katholischen Welt, der ab den Achtziger Jahren, spätestens aber ab 2002 in seiner ungeheuren Dimension offensichtlich wurde und in Rom bei Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger bekannt war, verdrängt, bis es nicht mehr ging. Gerade die neuen geistlichen Bewegungen wie etwa Opus Dei, Das Werk oder Die Legionäre Christi wurden dagegen, weil sie auf Papstlinie waren und viel Nachwuchs brachten, geschätzt und auf Teufel komm raus geschützt – obwohl gerade bei den Legionären Christi der grassierende Missbrauch (und die Korruption) mit Händen zu greifen waren.

Röhls Film schildert klar und stringent, dass Joseph Ratzinger, dessen Wahlspruch als Münchner Erzbischof vor seiner Zeit in Rom „Mitarbeiter der Wahrheit“ war, die Wahrheit des Missbrauchs lange Zeit verdrängte, wenn nicht vertuschte – und später von diesem Skandal und der Korruption im Vatikan so überfordert war, dass er seinen Rücktritt einreichte, ein kirchengeschichtlich fast einmaliger Akt. Gescheitert war der Mann, der angetreten war, die katholische Kirche durch ein Programm der Rückkehr zur guten alten katholischen Welt von Befehl und Gehorsam wieder zu der scheinbaren Blüte zu führen, die er als junger Bub in Bayern erlebt und genossen hatte.

Röhls Film steigt ein mit einem Zitat des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal  (1623-1662): „Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer einen Engel aus ihm machen will, ein Tier aus ihm macht.“ Ratzinger wollte aus seiner Kirche einen Engel machen, vielleicht auch aus sich selbst. Er ist kein Teufel geworden, aber er hat – um in diesem Bild zu bleiben – ganz gegen seinen Willen den Teufel in seine Kirche gelassen. Wer diesen traurigen, schrecklichen und tragischen Weg verstehen will, sollte diesen Film ansehen.

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