Die Frau mit dem Umbau-Plan

Wie Elizabeth Warren um den Einzug ins Weiße Haus kämpft
Elizabeth Warren. Auftritt in Iowa
Foto: dpa/ Jack Kurtz
Auftritt in Iowa: Ein neuer „New Deal“ für die USA steht im Mittelpunkt von Warrens Kampagne.

Diese Frau will die USA von Grund auf umkrempeln. Dazu hält Elizabeth Warren als Kandidatin der Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen 2020 gleich Dutzende von Plänen parat. Glaubwürdig wird das ehrgeizige Programm durch Warrens Vita – und ihren Glauben. Der Journalist Andreas Mink beschreibt von New York aus die Lage.

Der Sommer war gut für Elizabeth Warren. Sie ist bei Umfragen und Spendeneinnahmen an die Spitze der demokratischen Bewerber für die US-Präsidentschaft gestoßen. Doch mit dem Winter wird der Weg beschwerlicher für die siebzigjährige Senatorin aus Massachusetts. Zwei Monate vor Beginn der Vorwahlen zieht Pete Buttigieg, der 37-jährige Bürgermeister von South Bend, Indiana, mit moderaten Positionen bei Umfragen an ihr vorbei. Aber Warren hat weiterhin die besten Chancen auf die Nominierung. Zudem habe sie dem Wahlkampf mit ihrem linken Programm den Stempel aufgedrückt, sagt Professorin Wendy Schiller im Gespräch mit zeitzeichen. Sie leitet das Politik-Seminar an der renommierten Brown University in Rhode Island. Doch die größte Stärke Warrens sei auch ihre zentrale Schwäche, sagt Schiller: Sie ist keine Berufspolitikerin und tritt als unermüdliche Kämpferin mit einer klaren Botschaft auf, deren Glaubwürdigkeit einer Biographie entspringt, die amerikanischer kaum sein könnte. Doch gleichzeitig macht Warren als Präsidentschafts-Kandidatin politische Fehler, wie sie für Laien typisch sind.

Warren ist so beliebt, weil sie die Verzweiflung vieler Amerikaner über seit den 1970er-Jahren stagnierende Realeinkommen und steigende Kosten für Bildung, Gesundheit oder Wohnen ausspricht. Unter Donald Trump wächst der Abstand zwischen den „One Percent“ der Superreichen und der übrigen Bevölkerung weiter. Warrens Antwort ist ein linker Populismus, den sie aus dem „New Deal“ von Präsident Franklin D. Roosevelt ableitet. Der Demokrat hatte während der wirtschaftlichen Depression in den 1930er-Jahren etwa die Macht von Gewerkschaften erheblich ausgebaut und staatliche Renten eingeführt. Wie einst Roosevelt attackiert Warren heute Großkonzerne und Wirtschaftslobbyisten als Feindbild. Aber statt Hass auf Fremde oder Minderheiten zu predigen wie Trump, bietet sie auch Lösungen an. Inzwischen sind das über sechzig Pläne für jeden Lebensbereich. Diese reichen von überschaubaren Forderungen wie der Abschaffung privat geführter Haftanstalten bis zu grundlegenden Veränderungen des „American Way of Life“. Dazu zählen harte Kontrollen von Feuerwaffen und tiefgreifende Maßnahmen in der Klimapolitik. Bezahlt werden soll all dies über drastisch höhere Steuern für Reiche, Spitzenverdiener und Unternehmen. Auch das gab es bereits unter Roosvelt.

Staatliches Gesundheitssystem

In diesem Zusammenhang ist ein Hinweis auf den von Linken wie der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez propagierten „New Green Deal“ angebracht, über den viel diskutiert wird. Warren bezeichnet sich zwar als frühe Anhängerin des Konzeptes. Doch dessen Kern hat sie nicht übernommen: Ocasio-Cortez betrachtet den Kampf gegen den Klimawandel als Hebel für eine Umgestaltung der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. So weit geht Warren nicht. Sie gelobt zwar eine rasche Wende hin zu erneuerbaren Energieträgern, bleibt aber Details schuldig. So erscheinen ihre „Pläne“ letztlich als Sammelsurium aus Geschenken an traditionelle Teile der demokratischen Basis und kühnen Visionen ohne inneren Zusammenhang.

Kern von Warrens Programm ist hingegen eine Innovation: die Verstaatlichung des gesamten Gesundheitswesens unter dem Motto „Medicare for All“. Medicare ist die unter dem Demokraten Lyndon B. Johnson 1965 eingeführte, staatliche Krankenversicherung für Senioren. Warren will das Programm auf Amerikaner jeden Alters ausdehnen und dadurch den unüberschaubaren Flickenteppich privater und öffentlicher Kassen ersetzen. Obwohl Warren also eindeutig auf sozialpolitische Errungenschaften der Demokraten aufbaut, sieht Politik-Professorin Schiller hier einen gravierenden Fehler in der Strategie der Kandidatin: „Warren hat mit ihrer Unterstützung einer von demokratischen Sozialisten wie Bernie Sanders propagierten Verstaatlichung des gesamten Gesundheits-Systems krass demonstriert, dass ihr die Erfahrung für eine landesweite Kampagne fehlt. Sie wollte damit bei der Parteilinken gegen Bernie punkten.“ Aber das sei sehr kurzsichtig gewesen. „Medicare for All“ sei allein wegen der Kosten selbst für die meisten Demokraten viel zu radikal: „Und jetzt steckt Warren in der Klemme und muss erklären, wieviel die Verstaatlichung
kostet und woher die vermutlich zwanzig, dreißig oder mehr Billionen Dollar dafür kommen sollen.“

So laviert Warren plötzlich nach Politiker-Art. Neuerdings will sie das Gesundheits-System doch nur schrittweise verstaatlichen. Aber genau das nagt am Fundament ihrer Glaubwürdigkeit, sagt Schiller: „Warrens Beliebtheit beruht erstens auf ihrer moralischen Integrität, darauf, dass sie keine Berufspolitikerin ist. Zweitens erscheint sie als kompetent und sachorientiert durch ihr vielen Pläne. Aber jetzt wirkt sie, als ob sie die Konsequenzen ihrer eigenen Konzepte scheut. Sie will alle möglichen Probleme lösen, aber nicht sagen, wieviel das kostet.“ Der Preis für diesen Wackelkurs sind stagnierende Umfragewerte. Aber zerbrochen ist ihr Rückhalt gerade bei Frauen und Gebildeten darüber bislang nicht. Und dies wiederum liegt an Warrens Vita.

Die zierliche Frau mit dem praktischen Haarschnitt hat nie die Bodenhaftung ihrer Kindheit in Oklahoma abgelegt. Dazu gehört einerseits ihre Erziehung als Methodistin. Als Erwachsene hat Warren selbst an Sonntagen Bibelunterricht gegeben. Im Gegensatz etwa zu Pete Buttigieg, der sein Christentum im Wahlkampf permanent ins Feld führt, betrachtet Warren ihren Glauben jedoch eher als Privatsache. Ausführlich darüber gesprochen hat sie lediglich an einer „Bürgerversammlung“ auf CNN im Frühjahr. Da erwiderte sie auf eine Frage, ihre Lieblings-Stelle in der Heiligen Schrift sei das Gleichnis von den Schafen und Böcken (Matthäus 25): „Für mich ist die Bedeutung der Worte ‚Was ihr getan habt meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan‘ ganz eindeutig: Wenn wir Mitmenschen in Not sehen, sind wir unbedingt zum Handeln berufen. Das ist mein Leitfaden.“

Diese Überzeugung ist untrennbar verbunden mit einer persönlichen Geschichte, die sie bei jedem Wahlauftritt erzählt. Schauplatz ist Oklahoma City im Jahr 1962. Damals war „Betsy“ Zwölf. Ihr Vater hatte ein mageres Einkommen als Verkäufer. Dann traf ihn ein Herzinfarkt. Plötzlich stand die Familie vor dem Abgrund. Die Mutter weinte erst tagelang vor Verzweiflung, dann schwor sie: „Wir werden das Haus nicht verlieren!“ Am nächsten Morgen zwang sich die Mutter in ihr einziges gutes Kleid – das schwarze Kostüm für Hochzeiten und Beerdigungen. So ging die Fünfzigjährige zu einem Kaufhaus, bat um den ersten Job ihres Lebens und konnte sogleich für den Mindestlohn als Telefonistin anfangen: „Damit hat sie unser Haus gerettet und die Familie!“, ruft Warren an dieser Stelle immer.

Kampfgeist und Zähigkeit

Die Erfahrung hat das auffallend intelligente, mit einem starken Willen ausgerüstete Mädchen geprägt. Sie wuchs mit einem Urvertrauen in den amerikanischen Traum auf: Wer hierzulande in Not kommt, sollte sich mit Disziplin und Kampfgeist selber helfen können. Warren hat von der Mutter gelernt, dass es zum Überleben Kampfgeist braucht und Zähigkeit. Betsy hatte schon eine Klasse übersprungen, als sie mit Dreizehn nach der Schule als Aushilfe in einem Lokal anfing. Wie Warren in ihren Erinnerungen schreibt, wurden Argumente ihre Waffen. An der High School entdeckte sie ihr Talent für Wortgefechte. Schließlich setzte sie sich auch gegen die Mutter durch, die ihr ein Studium verbieten wollte. Denn Mädchen sollten ihrer Ansicht nach heiraten und eine Familie gründen. Doch Warren wurde Star des Debatten-Teams an ihrer Schule und bewarb sich heimlich für Stipendien. So wurde sie im Alter von 16 Jahren an der George Washington University in der amerikanischen Hauptstadt aufgenommen.

Und trotz wiederholter Rückschläge konnte Warren ihren persönlichen Traum verwirklichen und schloss ein Rechts-Studium ab. Dann übernahm sie als junge Professorin 1981 ein Forschungsprojekt. Damals explodierte die Zahl privater Insolvenzen. Millionen Amerikaner meldeten Privatkonkurse an. Warren sollte diesem Phänomen auf den Grund gehen. Sie erkannte, dass hinter den Insolvenzen keineswegs mangelnder Antrieb oder böse Zufälle standen. Nein – der große, von Roosevelt angeschobene Nachkriegsboom war ausgelaufen. Amerikaner bis hinauf in die gehobene Mittelschicht kapitulierten vor Schulden, häufig aufgrund explodierender Gesundheitskosten. 1989 legte Warren mit zwei Kollegen eine grundlegende Studie vor. Dabei prangerte sie Banken und Kreditkarten-Konzerne an, die Schuldnern mit neuen Gesetzen die Zuflucht in eine Insolvenz und damit die Chance auf einen neuen Anfang ohne Verpflichtungen blockieren wollten.

So kam Warren zu dem Schluss, der sie in den heutigen Wahlkampf gebracht hat: Selbstvertrauen und Wagemut allein reichen für die meisten Amerikaner nicht mehr aus für eine würdige Existenz und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung. Ein ordnender Staat ist nötig, der Bürger vor mächtigen Wirtschaftsinteressen schützt. Nun verstand sie das Gebot zum Handeln aus dem Gleichnis von den Schafen und Böcken auf neue Weise: Nachhaltige Hilfe für Mitmenschen war letztlich nur über politisches Engagement denkbar.

Doch zunächst trug ihre Forschungsleistung Warren 1995 eine Professur an der Harvard Law School und Prominenz weit über Fachkreise hinaus ein. Ihre Expertise brachte sie bald auch als Beraterin demokratischer Politiker nach Washington. Nach dem Wahlsieg von Barack Obama forderte sie die Gründung einer Behörde für Verbraucherschutz und harte Auflagen für die Geldbranche, die nicht nur in ihren Augen für die Immobilienkrise und die große Rezession von 2008/2009 verantwortlich war. Die Wall Street mobilisierte Heerscharen von Lobbyisten gegen Warren. So rief Obama zwar ein „Consumer Financial Protection Bureau“ ins Leben. Aber er verweigerte Warren die Leitung des neuen Amtes. Gleichzeitig gab ihr Obama privat einen Rat: Warren sollte ihren Kampfgeist auf einen Sitz im Senat verwenden, der 2012 in Massachusetts zur Wahl stand. Dann würden Lobbyisten und Konservative sie nie wieder loswerden können. Getragen von jungen Anhängern und rastloser Energie, konnte Warren tatsächlich einen erheblichen Rückstand aufholen und den republikanischen Senator Scott Brown deutlich schlagen.

Warren hat sich also bereits vor Jahren als kompetente Kämpferin für die breite Bevölkerung eingeführt. Auf diesen Ruf kann sie weiterhin bauen. Davon ist Wendy Schiller überzeugt. Nach ihrer Kritik an Warrens „Anfänger-Fehlern“ räumt die Professorin ein: „Etwas Spielraum hat Warren schon noch. Wenn sie die Nominierung gewinnt, kann sie ihre Botschaft für die Wahlschlacht gegen Trump vereinfachen und schlicht verkünden: `Ich habe mein Leben lang für die kleinen Leute gekämpft – und werde das auch als Präsidentin tun!´“ Damit würde Warren signalisieren, dass sie wie Trump ohne dessen Schattenseiten ist. Denn der trete ja auch als Kämpfer für „vergessene Bürger“ auf.

Dazu kommt, dass die Abneigung gegen Trump die notorisch in linke, moderate und ethnische Fraktionen gespaltenen Demokraten geeint hat wie selten zuvor. Saßen 2016 viele Fans von Bernie Sanders die Präsidentschafts-Wahlen aus – einige Prozent wechselten sogar zu Trump – würde ihre junge, linke Basis heute eine Bewegung Warrens in die politische Mitte mitmachen, ist Schiller überzeugt: „Diese Wut gegen Trump motiviert besonders Frauen.“ Auch hier komme Warren wieder ihre Vita als politische Novizin zugute. Hillary Clinton sei über Jahrzehnte in Washington so viele Kompromisse eingegangen, dass gerade Frauen sie als zynische Machtpolitikerin einstuften, sagt Schiller: „Laut den Umfragen reicht die Haltung zu Warren bei Wählern insgesamt von Abneigung zu Bewunderung. Der Hillary Clinton besonders von Frauen entgegen gebrachte, intensive Hass fehlt.“ Deshalb werde es beispielsweise Bernie Sanders nicht gelingen, Warren gerade Frauen abspenstig zu machen: „Speziell gebildete Amerikanerinnen sind weniger an den ganzen Plänen interessiert. Sie glauben bereits zu wissen: Elizabeth Warren würde eine gute Präsidentin sein und die Nation als erste Frau im Weißen Haus auf kompetente Weise regieren.“

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