Die Leiden des Saleemul Huq

Warum der überzeugte Klimadiplomat aus Bangladesch aufgegeben hat
Saleemul Huq
Foto: Nick Reimer
„Ich bin nicht mehr bereit, an diesem Klima-Jahrmarkt eilzunehmen“, sagt Saleemul Huq. Seit 1995 war er auf jeder UN-Klimakonferenz.

Saleemul Huq ist ein Wissenschaftler aus Bangladesch und hat bislang keine einzige Klimakonferenz  versäumt. Er glaubte an die Vernunft, an die Gemeinschaft, an eine Verhandlungslösung. Doch nach der Klimakonferenz von Madrid gab er auf. Der  Journalist Nick Reimer erklärt, warum.

Man könnte meinen, ohne ihn gebe es keine Klimakonferenz. Berlin, Kyoto, Marrakesch, Nairobi, Bali, Kopenhagen, Lima et cetera – Saleemul Huq hat sie seit 1995 alle besucht; alle 25 „Conference of Parties“, COP – wie das Vertragsstaatentreffen zur Klimarahmenkonvention in der UNO-Sprache heißt. Saleemul Huq ist Wissenschaftler, manchmal war er Mitglied der Regierungsdelegation von Bangladesch, manchmal ein Vertreter der Zivilgesellschaft, die auf dem Konferenzparkett darüber wacht, dass die Regierungen auch tatsächlich im Interesse der Menschen verhandeln. Saleemul Huq glaubte an die Staatengemeinschaft und an eine Verhandlungslösung der vernunftbegabten Menschheit.

Doch damit ist jetzt Schluss. „Ich bin nicht mehr bereit, an diesem Klima-Jahrmarkt teilzunehmen“, erklärte der 67-Jährige nach der Klimakonferenz von Madrid im vergangenen Dezember. Obwohl es die längste Klimakonferenz aller Zeiten war: Nicht einmal die Experten können aus dem Kleingedruckten der Beschlüsse irgendein konkretes Ergebnis destillieren.

Wir schreiben das Jahr 2020, eigentlich sollte in diesem Jahr der vor fünf Jahren vereinbarte Paris-Vertrag in Kraft treten, der die Erderwärmung auf „unter zwei Grad“ begrenzen soll. Die UNO-Staaten „durften“ auf der damaligen Klimakonferenz erklären, was sie tun wollen, damit dieses Ziel erreicht wird. Deutschland zum Beispiel versprach, die Menge der hierzulande ausgestoßenen Treibhausgase bis 2020 um vierzig Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Leider fühlte sich die Bundesregierung nicht an dieses Ziel gebunden: Weil seit Jahren keine vernünftige Klimapolitik betrieben wird, sanken die Emissionen seit 2009 kaum noch, in der Endabrechnung werden sie Anfang 2020 gerade einmal 35 Prozent unter dem Niveau des Jahres 1990 liegen. Dabei war es in Deutschland 2018 schon um 1,5 Grad wärmer als in der vorindustriellen Zeit.

Es müsste also etwas geschehen, doch es passiert trotz Klimaschutzpaket der GroKo zu wenig. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen zum Beispiel. Tempo 130 würde – je nach Berechnungen – ein bis zwei Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen. Das scheint wenig mit Blick auf den Gesamtausstoß Deutschlands von fast 900 Millionen Tonnen, ist aber gleichzeitig so viel, wie alle Einwohner des Staates Osttimors zu verantworten haben. Und das sind immerhin 1,2 Millionen Menschen. Doch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) lehnt ein generelles Tempolimit für Deutschland kategorisch ab. Andere Beispiele: Nie ging im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland weniger Windenergie ans Netz als im vergangenen Jahr. Und trotz Senkung der Mehrwertsteuer ist ein Flug von Hamburg nach München immer noch billiger als das Standard-Bahnticket.

Eigentlich kann man Saleemul Huq also verstehen. Versprechen ohne zu handeln: Wenn alle Staaten so wie Deutschland agieren würden, bräuchte es auch keine Klimakonferenzen. „Der Klimawandel ist eine Bedrohung für die ganze Menschheit. Aber die Armen müssen die härtesten menschlichen Kosten tragen, obwohl sie nichts zur Erderwärmung beigetragen haben“, sagte der Bengale vor zehn Jahren. In seiner Heimat Bangladesch hat der steigende Meeresspiegel bereits heute Küstenregionen unfruchtbar gemacht. Bangladesch ist ein sehr flaches Land, nicht einmal halb so groß wie Deutschland, aber mit doppelt so vielen Einwohnern. Agrarfläche ist rar und bedroht, im Klima-Risiko Index, der jedes Jahr auf den Klimakonferenzen vorgestellt wird, liegt Bangladesch regelmäßig auf einem der vorderen Plätze. Saleemul Huq, der Direktor des Internationalen Zentrums für Klimawandel und Entwicklung ist, sagt: „Dürren in Syrien und Kalifornien, Überschwemmungen in Pakistan und Deutschland, Taifune im Pazifik und das Ansteigen des Meeresspiegels in Bangladesch: Die Folgen der menschgemachten Klimaveränderung sind sichtbar und werden schlimmer.“

Die UN-Klimaverhandlungen seien die einzigen gewesen, bei denen die am stärksten gefährdeten Länder einen Platz am Tisch hatten und ihre Stimmen erheben konnten, erklärte Saleemul Huq nach der Klimakonferenz von Madrid. Bei den diesjährigen Verhandlungen sei der Prozess zynisch zerstört worden, „es ist fraglich, ob diese Länder überhaupt noch daran teilnehmen sollten.“ Das Jahr 2019 habe gezeigt, „dass die Realität des Klimawandels auf der ganzen Welt die Klimaverhandlungen überholt hat“. Saleemul Huq ist eigentlich ein leiser, besonnener Mann. So viel Blindheit vor dem Rennen ins Verderben regt ihn aber sichtlich auf.

Hochwasser in Venedig, Taifun in Japan, Waldbrände in Sibirien und Australien, Waldsterben in Deutschland, 2019 wird als bislang zweitheißestes Jahr in die Geschichte eingehen. 2019 war auch das Jahr, in dem die Menschheit weltweit so viel Treibhausgase produzierte wie noch nie: knapp 37 Milliarden Tonnen. Klimaschutz? Keine Spur, die Vergiftung wird schlimmer und schlimmer Jahr für Jahr. Zudem gab es 2019 einige Gutachten des Weltklimarates IPCC, die – abgestimmt mit allen Regierungen der Welt – Dramatisches voraussagen: Geht es so weiter mit der Treibhausgas-Produktion, wird der Meeresspiegel stärker und schneller als bislang prognostiziert steigen, wird die Leistungsfähigkeit der Böden dramatisch abnehmen, sich die Trinkwasserkrise mancherorts bedrohlich zuspitzen. Die Regierungen der Welt wissen also, was auf sie zukommt. Auf der Klimakonferenz in Madrid sollten alle UNO-Mitglieder deshalb eigentlich ihre sogenannten INDCs anheben, die Klimaschutz-Zusagen der Länder (englisch: Intended Nationally Determined Contributions). Das Paris-Protokoll stellt nämlich einen Paradigmenwechsel in der internationalen Klimapolitik dar: Bislang „mussten“ alle Industriestaaten Klimaziele einhalten, nun „dürfen“ erstmals alle Staaten, auch die Entwicklungsländer, sich selbst ein Klimaziel geben – und an der Stabilisierung des Weltklimas beteiligen.

Nötig war das geworden, weil Länder wie China, Indien, Saudi-Arabien, Mexiko oder Südafrika im alten UN-Regime aus den 1990er-Jahren noch als Entwicklungsland galten und damit vom Klimaschutz befreit blieben. Nimmt man noch einige bislang ebenfalls befreite Schwergewichte wie Indonesien, Brasilien, Südkorea oder Thailand hinzu, sind diese Länder mittlerweile für die Hälfte der weltweiten Treibhausgasproduktionen verantwortlich. Ohne sie wird Klimaschutz also nicht funktionieren. Deshalb „lädt“ das viel umjubelte Paris-Protokoll alle UNO-Staaten ein, ihre Klimaschutz-Bemühungen – die sogenannten INDCs – zu verstärken. Das ist Diplomatensprech für „Ihr müsst mehr tun!“

Bislang haben mehr als 150 Staaten ihre Klimaziele schriftlich festgelegt und bei der UNO eingereicht. Die Vereinten Nationen haben nachgerechnet, was diese Pläne wert sind: Sollten alle Staaten ihre gemachten Zusagen erfüllen, würde sich die globale Oberflächentemperatur um 2,6 bis 3,1 Grad bis Ende des Jahrhunderts aufheizen – mit katastrophalen Folgen, weil oberhalb von zwei Grad sogenannte Kipp-Elemente die Klimaerhitzung verselbständigen.

Der Permafrost zum Beispiel: Fast ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel ist dauergefroren. Alaska, Nordkanada, weite Teile Sibiriens – insgesamt 23 Millionen Quadratkilometer Boden tauen nie auf. Sie wirken wie eine riesige Tiefkühltruhe, in der gigantische Mengen organischer Substanzen eingefroren sind. Es handelt sich dabei um abgestorbene Pflanzenreste, die beim Auftauen durch Bakterien zersetzt und in die Treibhausgase Kohlendioxid oder Methan umgewandelt werden. Allein im oberen Bereich der Permafrost-Böden stecken bis zu 1 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, fast doppelt so viel, wie es derzeit in der gesamten Erdatmosphäre gibt. Weil die Erderwärmung an den Polen deutlich schneller als am Äquator verläuft, beginnt der Boden bereits jetzt zu tauen: Die Dauerfrost-Regionen in Sibirien und Nordamerika haben sich schon um bis zu hundert Kilometer nach Norden verschoben. Guido Grosse, Professor am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: „Einmal in Gang gesetzt, lässt sich der schnelle Auftauprozess nicht mehr aufhalten.“

16 solcher Kippelemente gibt es, die ersten sind bereits in Gang gesetzt: das Abtauen des grönländischen Eispanzers zum Beispiel oder das immer weiter auftauende arktische Meereis. Die Klimaerhitzung muss also auf deutlich unter zwei Grad beschränkt bleiben, möglichst weit darunter, denn die Wissenschaft kann nur zu siebzig Prozent garantieren, dass eine um zwei Grad wärmere Welt für den Menschen noch beherrschbar bleibt. Saleemul Huq sagt: „Wenn die Verpflichtungen der einzelnen Länder für das Ziel nicht ausreichen, müssen sie diese im Lauf der Zeit verschärfen.“ Im Wahlkampf hatte Kanzlerin Angela Merkel 2017 immer wieder erklärt: „Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen.“ Was aber, wenn das Versprechen nichts zählt? Was, wenn 2020 das 40-Prozent-Ziel gerissen wurde? Die Bundesrepublik ist einer der zehn größten Treibhausgas-Produzenten der Welt. Was, wenn nicht einmal das „Zu wenig“ für den Planetenschutz unternommen, was, wenn nicht einmal die deutsche Zusage für „2,6 bis 3,1 Grad bis Ende des Jahrhunderts“ eingehalten wird?

Die Antwort: Die Bundesregierung gibt sich einfach ein neues Regierungsziel. Das hat gute Tradition, am 13. Juni 1990 nämlich beschloss das Kabinett von Helmut Kohl (CDU), die Fracht der Treibhausgase in den alten Bundesländern bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu reduzieren. Was folgte war Null-Klimaschutz-Politik, allein der Zusammenbruch der energieintensiven DDR-Wirtschaft lies das neue Deutschland einigermaßen gut da stehen: 2005 lagen die Treibhausemmissionen etwa zwanzig Prozent unter dem Jahr der Deutschen Einheit. Zielverfehlung! Die Strategie der Regierung damals: Geben wir uns doch ein neues Klimaziel, das wir diesmal echt jetzt wirklich schaffen: minus vierzig Prozent bis 2020.

Das Ziel wurde wieder verfehlt. Also gibt sich die Regierung flux ein neues Klimaziel. Demnach sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 55 Prozent der Treibhausgase reduziert werden. Was das bedeutet? Städte wie Köln, Hamburg, Dresden, München müssen dann frei von Autos mit Verbrennungsmotor werden, zugelassen werden nur noch Elektro- oder Wasserstoffmobile, die hundert Prozent Grünstrom tanken. Bauen mit Beton, einem sehr atmosphärenschädigenden Werkstoff, bedarf einer Genehmigung, die nur noch in Ausnahmefällen erteilt wird. Bauen mit Solarwerkstoffen wird dagegen zur Norm, genauso wie die Pflicht, Energie zu sparen. Jeder Deutsche bekommt eine gewisse Anzahl von zulässigen Flugkilometern und Kilogramm Fleisch, die er pro Jahr verbrauchen darf. Der Umzug aller Ministerien aus Bonn nach Berlin ist dann natürlich längst vollzogen. Und jeder Deutsche wird spätes-tens jetzt zwei Tage im Jahr kostenlos für Bangladesch arbeiten.

Tempolimit und Fleischsteuer

Beschlusslage der UN-Klimadiplomaten ist nämlich, dass wir Menschen, die im reichen Norden für die Probleme der Erderwärmung verantwortlich sind, ab 2020 jedes Jahr hundert Milliarden US-Dollar in die am stärksten betroffenen Länder des Südens überweisen, um die Folgen der Klimaerhitzung zu bewältigen. Zunächst einmal. Denn wenn wir jetzt nicht schleunigst mit Tempolimit, Inlandsflugverbot und Fleischsteuer gegensteuern, wird die notwendige Summe bis 2050 auf jährlich 500 Milliarden Dollar anwachsen. Und danach wegen der von uns verursachten Schäden um ein vielfaches explodieren.

Ob die hundert Milliarden in diesem Jahr erstmals aus dem Norden in den Süden fließen werden ist ungewiss: Die Klimakonferenz von Madrid fand nicht die Kraft, die Spielregeln für die Auszahlung der berechtigten Kompensationen zu beschließen. Aufgeben mag Saleemul Huq die Idee der Klimadiplomatie aber trotzdem nicht. „Wir sollten uns überlegen, ob wir nicht die eigentlichen Klimaschützer in die Mitte rücken – und die Klimadiplomaten an den Rand.“ Fragt sich, ob die Bundesrepublik Deutschland dann noch dabei sein darf. Beschlossen hat die Groko zuletzt eine Erhöhung der Pendlerpau-schale – das Gegenteil von Klimaschutz.

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Foto: Matthias Rietschel

Nick Reimer

Nick Reimer ist Journalist und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Umwelt- und Klimaschutz. Er lebt in Berlin.


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