Klares Bekenntnis zur Gewaltfreiheit

Warum Frieden kein Randthema ist, sondern in der Mitte christlichen Glaubens steht
Mali
Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch
„Beispiele wie Mali zeigen, dass es eine zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung selbst in eskalierten Konflikten gibt…

In der Januarausgabe der zeitzeichen kritisierte der Systematische Theologe Johannes Fischer die in Dresden beschlossene EKD-Kundgebung „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“. Ihm antwortet Renke Brahms, Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Der Frieden ist ein zentrales Thema der Bibel und des christlichen Glaubens. Die Kirche folgt hier der Botschaft Jesu, dem Geist eines biblischen Schaloms, eines umfassend gemeinten Friedens, der die Gerechtigkeit küsst und das Recht aufrichtet (Psalm 85).

Seit der Friedensdenkschrift 2007 orientiert sich die Evangelische Kirche in Deutschland an dem Leitbild des gerechten Friedens. Ein gerechter Frieden, der den engen Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden betont, der gleichzeitig auch den engen Zusammenhang von Frieden und Recht beschreibt und der geprägt ist vom klaren Vorrang einer zivilen Konfliktbearbeitung und Prävention.

Doch seit 2007 hat sich die Welt verändert. Die Krise des Multilateralismus, neue Dimensionen des Terrorismus, hybride Kriegsführungen, Kriege im Cyberraum, die Entwicklung autonomer und teilautonomer Waffensysteme, all das wirft neue ethische Fragen auf, dazu kommen Konflikte in Folge des Klimawandels, ein Wiedererstarken von Nationalismus und Populismus sowie eine neue Rüstungsspirale bei nuklearen Waffen. Mit der Kundgebung „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ der Synode in Dresden will die EKD Antworten auf diese neuen Herausforderungen geben.

Dabei ist die Kundgebung von einem zentralen Leitgedanken geprägt: Ausgerichtet am Leitbild des gerechten Friedens wird auch angesichts neuer und sich verschärfender Konflikte am unbedingten Vorrang des Zivilen und an dem Weg der Gewaltfreiheit als vorrangigem Weg festgehalten. Ziel ist es, militärische Gewalt und kriegerische Mittel Schritt für Schritt zu überwinden und den eindeutigen Schwerpunkt auf die Prävention zu legen. Gerade auch in einer Zeit, in denen es scheinbar in eine andere Richtung geht.

Kritiker wie der Züricher Theologe Johannes Fischer (siehe zz 1/2020 und www. zeitzeichen.net/node/7979) sehen in der EKD-Kundgebung eine „theologische Verirrung“ und „eine Fehlinterpretation eines christlichen Pazifismus“. Aber christlicher Pazifismus war nie ausschließlich eine individuelle Gewissensentscheidung, den Geist des Friedens in die Welt hineinzutragen, wie Fischer meint, sondern immer auch eine politische Option. Ein christlich motivierter Pazifismus ist kein „Raushalten“, sondern es ist immer auch eine höchst aktive Tätigkeit im Suchen und Entwickeln von gewaltlosen Wegen der Konfliktbearbeitung, denn sonst ist es kein Pazifismus.

Johannes Fischer fragt polemisch nach gewaltlosen Konzepten der EKD gegen den Islamischen Staat (IS), verkennt dabei aber, dass der IS das Ergebnis eines längeren Prozesses war, eine Folge von militärischen Interventionen und einer verfehlten Politik im Irak, und der IS erst durch militärisches Eingreifen ohne jede zivile, politische Entwicklung ermöglicht wurde. Beispiele wie Mali zeigen, dass es eine zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung selbst in eskalierten Konflikten gibt, die zudem nachhaltiger ist als eine militärische Option. Afghanistan dagegen ist ein Beispiel dafür, dass die Bilanz militärischer Interventionen enttäuschend ist und viele Nationen den Großmächten nicht mehr trauen.

Es hat sich doch längst erwiesen, dass sich der Glaube an eine militärische Lösung von Konflikten als ausgesprochen naiv zeigt. Und gerade der Zivile Friedensdienst (ZFD), der vor zwanzig Jahren gegründet wurde und der sich seitdem mit fast 1 500 Fachkräften in knapp sechzig Ländern mit Engagement, Expertise und Erfolg für eine zivile Konfliktbearbeitung einsetzt, zeigt doch, dass es zivile Alternativen gibt, um in Krisen- und Konfliktregionen Frieden zu fördern und Gewalt vorzubeugen. Realismus heißt, endlich auch zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Instrumente nachhaltiger und daher auch zu stärken sind.

Fischer wirft der EKD vor, es fehle an einer sachgemäßen Unterscheidung zwischen dem Frieden Gottes und dem Frieden in der Welt. Doch dem ist nicht so. Christinnen und Christen leben zu allererst von dem von Gott geschenkten Frieden, „der höher ist als alle Vernunft“ (Philipper 4,7). Wir feiern ihn im Gottesdienst, wir erbitten ihn von Gott und lassen ihn uns im Segen zusprechen. Das macht deutlich: Der Frieden ist kein Randthema, sondern er steht in der Mitte des christlichen Glaubens. Und dies bestimmt christliches Handeln für einen Frieden in der Welt. Es ist unsere Herausforderung, das Leitbild des gerechten Friedens in politische Strategien umzusetzen. Und es ist die Aufgabe der Kirche, als Mahnerin zu fungieren, aber auch konkret an politischen Entwicklungen mitzuarbeiten.

Vision Frieden

Die biblische Rede über den Frieden ist wegweisend und gibt eine realistische Orientierung, auch wenn sie eine über die Realität hinausgehende Vision entwickelt. „Christus ist unser Friede“, heißt es im Epheserbrief. In diesem Paulusbrief wird das Bild einer Friedenskirche gezeichnet. Hier geht es um den Frieden des Einzelnen mit Gott, um Frieden in Gemeinde und Kirche, aber auch um einen gesellschaftlichen Frieden. Dieser Frieden beschreibt das umfassende Wohlergehen, ein intaktes Verhältnis der Menschen untereinander, zur Gemeinschaft, zur Mitwelt und zu Gott.

Die Rolle der Kirche ist es dabei nicht nur, eine friedensethische Debatte zu führen oder anzumahnen, sich in die gesellschaftlichen und politischen Prozesse einzumischen und sich konkret in Kirche und Diakonie, in Friedensgruppen und Entwicklungsarbeit zu engagieren, sondern den Menschen auch von der Hoffnung zu erzählen, die uns trägt. Darum ist es auch eine geistliche, eine spirituelle Frage, wie wir dem Frieden dienen können.

Und deshalb gilt es, sich als Kirche auch den aktuellen Herausforderungen für den Frieden in der Welt zu stellen. Das tut die EKD-Kundgebung von Dresden. Auch in der Klimapolitik, die in der EKD-Denkschrift von 2007 noch keine entscheidende Rolle spielte, obwohl der Zusammenhang von Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung für die Kirchen im Konziliaren Prozess schon immer wichtig war. Doch angesichts der katastrophalen Folgen der Klimaveränderungen und der Auswirkungen auf eine innergesellschaftliche und weltweite Friedensordnung, die immer klarer spürbar werden, betont die EKD-Kundgebung nachdrücklich, dass für den Frieden in der Welt Klimagerechtigkeit eine entscheidende Voraussetzung darstellt. Die EKD-Kundgebung macht dabei unmissverständlich deutlich, dass die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels die Konflikte beschleunigen, dass sie bestehende Problemlagen wie Hunger oder extreme Wetterereignisse verstärken und gerade diejenigen besonders treffen, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beitragen. Die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Sustainable Development Goals (SDG) bilden einen geeigneten Rahmen, um den engen Zusammenhang von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu gestalten. Das Engagement für die Erhaltung der Schöpfung geschieht zum einen um ihrer selbst willen, weil sie Gottes Schöpfung und nicht unser Besitz ist. Es geschieht um der zukünftigen Generationen willen, weil sie eine Lebensgrundlage behalten sollen. Es geschieht um der Gerechtigkeit willen, weil der Kampf um Ressourcen Gewinner und Verlierer –
das heißt, Opfer – erzeugt und die Kirche an der Seite der Opfer zu stehen hat. Es geschieht um des Friedens willen, weil es um Ursachenbekämpfung vieler Konflikte und Kriege geht. Und eins unterstreicht die EKD-Kundgebung klar: Ohne nachhaltige Entwicklung gibt es keinen Frieden.

Doch geht es beim Klimawandel auch um das eigene Handeln und Leben, als Einzelne und als Kirche. Und um die Schaffung politischer Rahmenbedingungen, die eine Zukunft ermöglichen. Die evangelische Kirche fordert mit dieser Kundgebung ein entschiedenes Engagement von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, aber auch von jedem Einzelnen, die ökologischen Grenzen unserer Erde einzuhalten.

Eine andere, ebenso wichtige Herausforderung für den Frieden stellt die Frage nach der ethischen Bewertung von Nuklearwaffen dar. Dies hat die Evangelische Kirche in Deutschland seit den 1950er-Jahren intensiv begleitet und oftmals fast zerrissen. Hatten die Heidelberger Thesen von 1959 noch formuliert, dass die Kirche „die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen“ muss, so machte die EKD-Friedensdenkschrift 2007 deutlich, dass „die Drohung mit Nuklearwaffen nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung“ betrachtet werden kann. Die EKD-Kundgebung von Dresden hält nun fest, dass eine Welt ohne Atomwaffen („Global zero“) politisches Ziel bleibt und dass angesichts einer mangelnden Abrüs-tung, der drohenden Modernisierung der Atomwaffenarsenale und auch der Kündigung bestehender Kontrollverträge durch die Atommächte nur eine völkerrechtliche Ächtung und das Verbot von Atomwaffen den nötigen Druck aufbaut, diese Waffen gänzlich aus der Welt zu verbannen.

Ächtung von Nuklearwaffen

Aus der Friedensbewegung wurde hier Kritik an der EKD laut. Ihr gingen die Formulierungen in der EKD-Kundgebung, was Atomwaffen angeht, nicht weit genug. Möglicherweise hätte hier mancher Satz durchaus deutlicher sein können, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von aktuellen Erklärungen aus der Ökumene wie dem Ökumenischen Rat der Kirchen oder aus der römisch-katholischen Kirche zu Atomwaffen und ihrer friedensethischen Bewertung. Aber es bleibt doch festzuhalten: Die EKD-Kundgebung von Dresden ist ein deutliches Bekenntnis zu einem Atomwaffenverbotsvertrag und zur Ächtung von Nuklearwaffen, wie es so vorher noch nicht ausgesprochen wurde. Ebenso spricht sich die evangelische Kirche in ihrer Dresdner Kundgebung auch für eine völkerrechtliche Ächtung von autonomen Waffen, die der menschlichen Kontrolle entzogen sind, aus. Auch hier nimmt die EKD damit zu einer neuen friedensethischen Herausforderung deutlich Stellung.

Die Synode in Dresden hat gezeigt, dass die Evangelische Kirche in Deutschland nicht nur auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens ist, sondern dass sie sich als Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens versteht. Sie reiht sich damit ein in den von der ÖRK-Vollversammlung 2013 ausgerufenen weltweiten Pilgerweg der Ökumene und wird ihr Reden und Handeln danach ausrichten, auch im Blick auf die kommende ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe 2021. „Als Teil der Friedensbewegung Gottes in diese Welt hinein verpflichten wir uns, in unseren eigenen Strukturen und Veränderungsprozessen, in unserem täglichen Handeln sowie in den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen um Gottes Frieden zu bitten, ihn beständig zu suchen und für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten. Wir sind unterwegs in dem Vertrauen, dass Gott unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet“, so formuliert es die EKD-Kundgebung.

Wir werden uns in der evangelischen Kirche auf diesem Pilgerweg sicher nicht in allen friedensethischen Fragen einig sein, doch ein Pluralismus der Meinungen ist kein Defizit, sondern er ist Ausdruck einer Kirche, die auf dem Weg ist. Dazu gehört auch die Frage, ob es besondere Situationen gibt, die bei notwendigen Zwangsmaßnahmen auch eine militärische Option beinhalten, die in zivile und politische Maßnahmen eingebettet ist, zum Beispiel bei Genozid oder schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Es gilt, auch mit Unterschieden und Spannungen umzugehen. Aber man darf und soll erkennen, dass es ein spiritueller, ein ethischer, ein politischer und ein praktischer Weg ist und wir als Pilger im Gebet, im täglichen Handeln und in der politischen Beteiligung auf Gott vertrauen, der unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet.

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