Klima-Tatorte

Wichtige Blicke auf das Thema

Noch ein Buch zum Thema Klimawandel und Klimaschutz – muss man das lesen? Im Falle von „Klima geht uns alle an“, herausgegeben von der „Brot für die Welt“-Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel, lautet die Antwort: Ja! Denn auf gut zweihundert Seiten findet sich vieles, was sowohl dem Einsteiger in das Thema, sofern es die noch gibt, als auch dem engagierten Klimaschützer interessante Details vermittelt.

Das liegt an dem multiperspektivischem Zugang der Texte, die einerseits Experten zu Wort kommen lassen und andererseits die Lage der Betroffenen in den Ländern des Südens beschreiben, wo der Klimawandel schon jetzt dramatische Folgen hat. Etwa in Bangladesch, wo die zunehmenden Sturmfluten Existenzen zerstören. Oder auch in Äthiopien, wo Dürren und veränderte Regenzeiten die Landwirtschaft bedrohen und den Hunger verschärfen. Solche Berichte von Tatorten des Klimawandels liest man nicht zum ersten Mal, doch in Ihrer Zusammenstellung und Beschreibung konkreter Menschen sorgen sie für Empathie und die Erkenntnis, dass Klimawandel und Klimaschutz eben alles andere sind als ein neues Steckenpferd von alten und jungen Bionade-Trinkern. Es geht für sehr viele Menschen ums Überleben – das müsste hier auch dem letzten deutlich werden, der sich über Klimahysterie und vermeintlichen Fanatismus mokiert.

Doch das Buch will nicht nur Betroffenheit erzeugen, sondern auch Mut machen. „Wir haben noch zehn Jahre, um eine Klimakatastrophe abzuwenden“, schreibt Füllkrug-Weitzel in ihrem Vorwort. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und so wird in jedem Reisebericht auch ein Projekt vorgestellt, das die Anpassung an die Veränderungen durch den Klimawandel vorantreibt. Ein „Klimapark“ in Bangladesch, in dem entsprechende Technologien vermittelt werden: Sturmfeste Häuser, schwimmende Gärten, salzresistente Reissorten. Oder die Neuausrichtung der Landwirtschaft in einem äthiopischen Projekt, wo statt einjähriger Pflanzen wie Gerste oder Weizen nun auf ein Agroforstsystem umgestellt wird. Bäume, Büsche, Gräser wirken gegen die zunehmende Erosion, Apfelbäume sorgen nicht nur für neue Einnahmequellen sondern heben den Grundwasserspiegel wieder an.

Klimawissen vermitteln die Interviews mit Experten, etwa dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er zeigt noch einmal sehr deutlich, warum es notwendig ist, die klimaschädlichen Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Und er beschreibt den Weg dorthin: Stopp der Investitionen in fossile Energien, Dekarbonisierung des Verkehrssektors und eine veränderte Landwirtschaft. Aber er zeigt auch, dass diese Veränderungen nicht in erster Linie Verzicht bedeuteten, sondern die Lebensqualität etwa in den Städten deutlich verbessern können. Zudem verweist er auf viele hoffnungsvolle „gesellschaftliche Kipppunkte“, die für einen grundlegenden Wandel im Umgang mit dem Thema sprechen.

Lesenswert ist auch das Interview mit Luisa Neubauer, einer der Protagonistinnen der „Fridays for Future“-Bewegung in Deutschland. Wer dieser noch immer Naivität und zu schlichte Weltsicht vorwirft, wird hier eines besseren belehrt. Man muss nicht jeder Aussage von Neubauer zustimmen, deutlich wird aber die Komplexität ihrer Sicht auf das Problem und die Verzahnung des Themas Klimaschutz mit der Frage nach wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Regeln. Mehr Radfahren und weniger Fleisch essen reicht nicht, zumal die Verantwortung für das Thema nicht allein dem Einzelnen überlassen werden kann. Politik und Wirtschaft stehen vor allem in der Pflicht, das macht Neubauer deutlich.

Etwas zu kurz kommt die theologische Unterfütterung des Themas, die doch für ein Buch aus dem kirchlichen Kontext sehr wichtig wäre. Zwar verweisen der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und auch die Herausgeberin selbst (letztere in einer Predigt) etwa auf den konziliaren Prozess und schöpfungstheologische Traditionen und Grundlagen. Aber gerade mit Blick auf die Debatte um die Frage der tatsächlichen oder vermeintlichen religiösen Aufladung des Themas Klimaschutz wäre ein tiefer schürfender Text wünschenswert gewesen.


 

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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