„Heute lieber nicht“

Das Händeschütteln in Corona-Zeiten

Zu Hause wurde mir von meinen Eltern vermittelt, dass man diejenigen Menschen, die man begrüßen möchte, mit vorgestreckter, geöffneter rechter Hand und einer kleinen angedeuteten Verbeugung begrüßt, auf die mehr oder weniger intensives Händeschütteln folgt. In meiner ebenso konservativen wie traditionsreichen, 1863 gegründeten Berliner Tanzschule haben wir sogar noch geübt, wie man diese kleine angedeutete Verbeugung gegenseitig so ausführt, dass man nicht mit den Köpfen aneinanderstößt – immer rechts am Gegenüber vorbei. In den vielen Jahren seit dem Abschlussball dieser bis auf den heutigen Tag existierenden Tanzschule habe ich allerlei über das Händeschütteln gelernt und es viele tausendmal geübt. Schnell nimmt man Unterschiede wahr: Da gibt es die, die einem die geöffnete Hand wie im Schraubstock zusammenpressen, da gibt es den zögerlichen, den gelangweilten Handschlag und natürlich das wilde „Lange nicht mehr gesehen. Wie schön, dass wir uns wiedersehen“-Händeschütteln.

Ich erinnere mich übrigens auch – eher amüsiert – an Menschen, die mir das Schütteln der Hand verweigerten. Zwei waren es in siebenundfünfzig Jahren, wenn ich mich nicht verzählt habe. Der eine war Professor für Altes Testament in einer mittelgroßen Universitätsstadt und mir, wenn ich das recht sehe, durchaus freundlich zugetan. Aber er war mit einer klugen Adligen aus einer uralten preußischen Adelsfamilie verheiratet und gab vielleicht, wie in diesen Kreisen üblich, höchstens Gleichgestellten oder Höhergestellten die Hand. Damals war ich aber noch Assistent. Also vermutlich des Handschlags nicht würdig. Und dann gab mir auch einmal ein Kollege in Professorenamt – übrigens zu Beginn einer Prüfung und zur nicht geringen Verwunderung der Kandidatin und der übrigen Kommission – nicht die Hand. Dabei erläuterte er noch, was er tat, obwohl es ja für jedermann sichtbar war: „Nein, Ihnen gebe ich nicht die Hand“.

Beide verweigerten Handschläge fand ich eher amüsant, weil sie auf mich wie letzte Reste standestypischen Verhaltens aus der Kaiserzeit wirkten. Adel gab damals den Untergebenen nicht die Hand, sondern grüßte leutselig; bis auf das Blut zerstrittene deutsche Akademiker forderten sich damals zum Duell und das Problem war dann unter Umständen durch Abgang eines der Kombattanten aus der Welt geschafft. Und verweigerter Handschlag unter Kollegen wirkt irgendwie wie hingeworfener Fehdehandschuh und wie Aufforderung zum Duell im Morgengrauen.

Vielleicht täusche ich mich und der Alttestamentler war nur erkältet und der Kollege vor der Prüfung brachte es einfach nicht über das Herz, einem anderen Menschen die Hand zu reichen. Wie auch immer: Wenn ich mich nicht verzähle, dann waren es diese zwei Fälle und ein paar verschnupfte oder vergrippte Menschen, die mit vertränten Augen etwas sagten, was sofort einsichtig war: „Heute lieber nicht“. Man will ja niemanden anstecken.

Seit einigen Tagen ist, was früher die Ausnahme war, fast schon die Regel. Da uns wegen eines Virus, über den man im Grunde Vieles noch nicht weiß, in Zeitungen und anderen Massenmedien vom Händeschütteln abgeraten wird, kommt es zu ebenso irritierenden wie belustigenden Szenen der Verweigerung des Händeschüttelns – solche Szenen habe ich seit vergangenen Montag so oft erlebt wie noch nie im Leben zuvor. Gestern beispielsweise war ich zeitweilig mit rund siebzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, der Anlass tut nichts zur Sache. Die veranstaltende Organisation hatte vom Händeschütteln abgeraten, um die Ausbreitung des Virus zu behindern und auch sonst einige sinnvolle Hinweise zur Prävention und Handhygiene gegeben. In der Eingangshalle des Gebäudes, in dem die Veranstaltung stattfand, streckten sich mir, als ich den Raum betrat, allerlei Hände halb entgegen und wurden dann mit den Worten „Wir sollen ja nicht“ hektisch zurückgezogen. Einige ergriffen trotzdem beherzt meine Hand, schüttelten sie und sagten: „Wir schütteln doch noch, oder?“. Und wieder andere kreuzten, verlegen lächelnd, die Hände vor der Brust, hoben mit expressiver Geste die rechte Hand zu einem angedeuteten Winken der Hand, das einem Politiker auf einer Tribüne alle Ehre gemacht hätte und wieder andere grüßten wie sonst ohne jeden Handschlag mit „Hallo“. Denn viele Menschen grüßen ja gar nicht mehr mit Händeschütteln.

Hilft die Präventionsmaßnahme, keine Hände zu schütteln? Wenn man auf die Virus-Prävention schaut, muss man vermutlich sagen: „Kommt darauf an“. Kommt darauf an, ob ich gleich nach dem verweigerten Handschlag eine kontaminierte Türklinke drücke und dann am Tisch meinen Kopf so auf den Arm stütze, dass die Hand auf dem Mund zu liegen kommt. Entsprechend hat mir Montag auch eine bekannte Virologin sehr dezidiert nicht die Hand gegeben und ein bekannter Virologe lange die Hände geschüttelt. Wie man auch immer vom Virus denkt, über das man Vieles noch nicht weiß – die Präventionsmaßnahme hilft, über das Händeschütteln an sich nachzudenken. Über das eigene Händeschütteln und über das Händeschütteln anderer Menschen. Und über den Zusammenhang von Haltung und Handlung. Von Gewohnheit und Gesten. Und darüber, was es bedeutet, einander in einer oft recht rauen Welt die Hand zu reichen. Zum Gruß. Und zu viel mehr.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"