Bloß kein Zoombie werden!

Mein protestantisches Arbeitsethos und die Allgegenwart der Videokonferenzen
Foto: Harald Oppitz

Eigentlich bin ich die typische Protestantin: Strukturiert, fleißig, diszipliniert. Ich arbeite gern. In meiner langjährigen Praxis als Gemeindepfarrerin habe ich gelernt, in der halböffentlichen Institution „Pfarrhaus“ so zu leben, dass ich sowohl für die Gemeinde da sein als auch mein Privatleben schützen konnte. Pfarrerinnen und Pfarrer wissen sozusagen von Natur aus, was Homeoffice bedeutet. Ich bin natürlich kein Digital Native, aber Videokonferenzen mit Zoom & Co bekomme ich locker hin. All das müsste mich wunderbar für die Herausforderungen der digitalen Ausbildung von Vikarinnen und Vikaren in der Corona-Zeit wappnen. Dachte ich.

Womit ich nicht gerechnet habe ist das Problem der Entgrenzung. Ich hätte nie gedacht, dass es mich stört, dass ich mich nicht entziehen kann. Der Verlust der Möglichkeit von Arbeitsverweigerung lässt mich etwas ersehnen, was ich sonst nie gelebt oder gewollt habe. Diese Folge der Corona-Pandemie wirkt wie die Schlange im Paradies: Ich wünsche mir etwas, das mir vorher gleichgültig war. Zumindest potentiell möchte ich krankfeiern dürfen. Das geht aber nicht. Ich könnte theoretisch ja sogar mit einem gebrochenen Bein eine Zoom-Konferenz leiten. Zoom stiehlt mir Rückzugsräume, die ich offenbar zumindest virtuell brauche, auch wenn ich sie lebenslang nicht genutzt habe. Erbarmungslos greift Zoom auf meine Arbeitsfähigkeit zu und lässt keine Ausrede gelten. „Wo bist du, Angela?“ fragt Zoom, und es gibt kein Fellkleidchen oder Bäumchen, unter dem ich mich verstecken könnte. Denn selbst mein eigenes Heim, das mir (und der Bank) gehört und das laut Grundgesetz besonders geschützt ist, darf von Zoom einfach so betreten werden. Auch hier gilt das Prinzip der Entgrenzung.

Natürlich sitze ich bei Videokonferenzen ganz klassisch, wie die meisten Dozierenden, vor einer Bücherwand in meinem Arbeitszimmer. Auf dem Bildschirm blicke ich in die Küchen, Wohnzimmer, Arbeitszimmer der Vikarinnen und Vikare. Ich will das eigentlich nicht wissen und sehen. Und umgekehrt! Ich finde, dass es niemanden etwas angeht, ob ich die Gesamtausgabe von Karl May oder Barths KD im Regal stehen und ob ich mein Zimmer rosa oder weiß getüncht habe. Leider ist der virtuelle Hintergrund keine Alternative. Der führt nämlich zu einem leichten Flimmern um den Kopf, was ein bisschen wie ein Heiligenschein wirkt. Das passt nicht zu einer Protestantin. Finde ich.

Mein Mann hat mir berichtet, dass ich neulich mitten in der Nacht das Licht angeknipst und schlafwandelnd behauptet habe, ich müsse jetzt eine Zoomkonferenz leiten. Er habe mir daraufhin einen Kuss gegeben und gemeint, der einzige, der jetzt an mich heranzoomen dürfe, sei er. Immerhin, so erzählt er, habe ich daraufhin gelacht und das Licht wieder gelöscht. Bewusst erinnere ich mich aber leider nicht an dieses Ereignis. Ganz bewusst meine ich aber, dass Zoom in meinem Bett nichts zu suchen hat.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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