Souverän

Entwicklung des Christentums

Es ist selten, dass sich ein Althistoriker so mutig auf das Gebiet der Kirchengeschichte wagt und eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Christentums der ersten drei Jahrhunderte vorlegt. Das hier anzuzeigende Buch des Frankfurter Leibniz-Preisträgers Hartmut Leppin, soeben in zweiter Auflage erschienen, entfaltet vor den Leserinnen und Lesern ein breites Panorama der vielgestaltigen Entwicklung des Christentums und des bunten Lebens seiner Anhänger.

Die Fülle des Quellenmaterials wie christliche Texte unterschiedlicher Gattungen, Papyri, Inschriften und bildliche Darstellungen wird von dem Verfasser nach einer Einleitung und einem Prolog in vier Großkapiteln ausgebreitet. Sie beschäftigen sich mit der Profilierung des Christentums gegenüber dem Judentum und den traditionellen Kulten, der Ausbildung einer christlichen Gemeindeorganisation und eines Amtsverständnisses, dem christlichen Alltagsleben und schließlich dem Verhältnis zur römischen Staatsmacht. Das Schlusskapitel, mit dem man die Lektüre auch beginnen kann, bündelt die vielen Fäden in einem übersichtlichen Resümee. All dies wird mit großer Souveränität auf dem neuesten Stand der Forschung und mit einem hübschen Sinn für anekdotische Zuspitzung erzählt, die das Lesen zum Genuss macht und den Leser und die Leserin elegant über manche Lücken in der Quellenüberlieferung hinwegträgt.

Leppin möchte deutlich machen: Die Christen waren antike Menschen wie Juden und Heiden, und sie waren anders. Diese Verbindung und Verschränkung aus Eins- und Anderssein ließ sie nicht nur ihren Zeitgenossen als vertraut und fremd zugleich erscheinen, ihr Leben ist in anderer Weise auch uns Heutigen gleichzeitig nah und fern – das ist das eine Grundthema dieses Buches.

Aber es gibt noch ein zweites: Leppin möchte nämlich auch darstellen, warum sich das Christentum aus einem obskuren Provinzialkult um einen exekutierten Schwerverbrecher zur dominanten Religion des Römischen Reiches entwickeln konnte, welche schließlich auch die Kaiser anerkennen mussten, nachdem alle Versuche, sie gewaltsam zu unterdrücken, fehlgeschlagen waren. Das zweite Thema ist schwieriger als das erste. Denn hier muss nicht ein Zustand, hier muss eine historische Dynamik erklärt werden. Leppin wehrt sich dabei gegen eine lineare Deutung, die gewissermaßen zwangsläufig auf die Tolerierung und Förderung unter Kaiser Konstantin zuläuft. Er möchte dem mit der konsequent geübten argumentativen Taktik des „Einerseits – Andererseits“ entgehen. Der Aufstieg des Christentums sei „keine folgerichtige Entwicklung, sondern ein Tasten und Erproben“, die Wende unter Konstantin darum letztlich unerwartbar gewesen. Aber war sie das wirklich? Leppin bietet viele Beispiele dafür, warum das Christentum in seinem universalen Anspruch gerade für die Unterprivilegierten in der antiken Gesellschaft, die Sklaven, die armen Tagelöhner, die einfachen Soldaten und die Frauen attraktiv gewesen ist. Zusammen genommen hatten diese eine erhebliche soziale Macht.

Die Attraktivität der christlichen Religion beruhte auf der Botschaft von dem einen Gott, der sich den Unterprivilegierten zugewandt hatte und jeden einzelnen von ihnen ernst nahm, eine Botschaft, die sich auch in dem alltäglichen Verhalten ihrer Träger und Trägerinnen und der von ihnen geübten Caritas niederschlug. Um diese Botschaft zu verbreiten und ihre praktischen Konsequenzen zu verwirklichen, bedurfte es einer effizienten Organisation vor Ort, aber auch größerer Strukturen auf Provinzial- und Reichs-ebene – was Leppin unter dem Stichwort „Vernetzung“ ebenfalls anschaulich darstellt. Die Christen begriffen schließlich, dass sie auch intellektuell „aufrüsten“ mussten, wenn ihre Religion nicht auf die „kleinen Leute“ begrenzt bleiben sollte und sie den ihnen nicht gerade wohlgesonnenen Bildungseliten argumentativ auf Augenhöhe entgegentreten wollten. Das führte zur Ausbildung einer christlichen „Philosophie“, die ihrerseits zur Keimzelle der großen theologischen Entwürfe des vierten und fünften Jahrhunderts wurde. Ging es also tatsächlich am Ende nur um „die Entscheidung eines einzelnen Mannes“, nämlich Konstantins? War diese Entscheidung nicht – wie Leppin es im Grunde selbst beschreibt – in vielerlei Hinsicht vorbereitet?

An theologischen Denkbewegungen ist der Historiker Leppin weniger interessiert – wer wollte ihm das verdenken? Wer danach sucht, sollte zu einer Theologie- oder Dogmengeschichte greifen. Allen anderen, die wissen wollen, wie die frühen Christen mutmaßlich gelebt und gefeiert haben, sei dieses Buch mit großem Nachdruck empfohlen.

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