Compositas-Virus

Punktum

Die deutsche Sprache kann kreative Wort-Bildungs-Prozesse ermöglichen, eigenständige Wörter können relativ unkompliziert zu neuen Wort-Kombinationen zusammen-gesetzt werden, das ist hinlänglich bekannt. Kompositum nennt das der Sprachwissenschaftler, vom lateinischen Wort componere, also kombinieren, oder schlicht: Doppelwort.

Ganz selbstverständlich gehört heute zusammen, was die längste Zeit undenkbar war. Wie Mond-Landung, Mauer-Fall oder Lügen-Presse. Und kein Mensch reflektiert beim Dahin-Sagen den Tiefsinn von Kaffeeklatsch, Schadenfreude oder Spaßvogel. Der lustvolle Wortwechsel entstammt den Zeiten, als noch der Donaudampfschifffahrtskapitän im Unterricht buchstabiert und radebrecht werden musste.

Theoretisch sind im Deutschen unendlich lange Begriffe aneinanderreihbar, ohne dass das Wort ein Ende finden muss. Doch heute, im beschleunigten Zeittakt der verbalen Effizienz-Klasse entstehen Bedeutungs-Paare, die schlagwortartig zum Gassenhauer werden, doch dabei längst noch keinen Eintrag im Duden haben. Nach Computer- und Corona-Virus findet aktuell die pandemische Verkupplung Verbreitung, wir steuern fröhlich in die Zeit der Kombiwörter. Von Sprachwissenschaftlern definiert als Informations-Verdichtung und Sprach-Ökonomie sind wir in Öffnungs-Diskussions-Orgien-Zeiten fleißig dabei, den roten Doppler-Faden postpopulistisch weiterzuspinnen. Richtig spannend wird es, wenn sich im kommenden Jahr die System-Relevanz von Kanzler-Kandidaten-Kandidatur und Fahrrad-Prämie den Prozent-Hürden der Wähler-Gunst zu stellen haben.

Nach allen krisengeschüttelten Endzeit-Rechnungen winkt doch am Erkenntnis-Horizont ein Hoffnungs-Schimmer. Nach einem häuslichen Modernisierungs-Schub vermittelt jetzt die gruppendynamische Video-Konferenz allen Kontakt-Beschränkungen zum Trotz ein Unverwundbarkeits-Gefühl, zumindest vor Datenschutz-Verletzungen. Denn entgegen aller Negativ-Prognosen entfaltet sich trotz Verdopplungs-Zahl in der Ein-Raum-Wohnung mit Zwei-Meter-Abstand am Ende der ersehnte Rettungs-Schirm im Home-Office. Doch wer möchte seine Privat-Balance mit Flach-Bildschirm oder Geister-Spielen verbringen? Zum Mega-Trend gehört das sportaktive Wohlfühl-Programm. Für alle Stuben-Hocker angesagt ist die Sonder-Sitzung auf dem Heim-Trainer, die Rad-Tour als Workout oder wenigstens der Stadt-Bummel im Kiez-Quartier. Wird doch Fitness first von früheren Fernreise-Experten für uns als Boden-Personal empfohlen. Trotz abgeflachter Erlebnis-Hierarchien bleibt am Ende doch eines suboptimal: Aller Fortschritt scheitert an den hohen Bürgersteig-Kanten. Es ist doch höchste Zeit für einen Lockdown.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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