Hilfreich

Gottesdienst mit Demenzkranken

Die Wirklichkeit ist nur ein Wort, und keins, das dich noch hält, und darum mache ich mich auf zu Dir in Deine Welt.“ Pastor Tobias Götting aus Hamburg zitiert in seiner Predigt zum Welt-Alzheimertag 2018 diesen Vers aus einem Lied von Turid Müller. Er benennt damit programmatisch das Anliegen dieser Arbeitshilfe: Es geht um einen Aufbruch aus der Welt der demenziell Erkrankten in die „normale“ Gemeinde und umgekehrt.

Die 14 Autoren und Autorinnen aus verschiedenen Landeskirchen zeigen, wie sie in Predigten, Andachten sowie Entwürfen für Gottesdienste und Veranstaltungen, in Pflegeheimen Trost vermitteln und Lebens- und Glaubensbiografie der Teilnehmenden lebendig werden lassen. Beispielhaft wird im „Hamburger Modell“ regelmäßig der Sonntagsgottesdienst mit demenziell erkrankten Menschen, ihren Angehörigen und Pflegenden gefeiert. Im Vertrauen darauf, dass „Gott sie nicht vergisst, auch wenn sie sich selbst vergessen“, kann Verbundenheit und Identität gestärkt werden. Hochbetagte und demente Gemeindeglieder werden sich besonders dann willkommen fühlen, wenn sie sich im Gottesdienst als Teil der Gemeinde erleben.

Gegliedert ist die bewährte Praxishilfe in Gottesdienste und Andachten zu Kirchenjahr und Jahreslauf, zu biblischen Texten, gefolgt von Bildern und Symbolen und altersspezifischen Themen und Bausteinen für den Gottesdienst.

Überzeugend ist die Umsetzung dessen, was in Gottesdiensten mit demenziell erkrankten Menschen anders sein muss: die Verwendung einer einfachen und klaren Sprache und narrativer Elemente, die Wahl bekannter Lieder, kurzer Liturgien und vertrauter Rituale. Ansprechend ist, wie in den meisten Predigten die Mitfeiernden in ihrer Lebenswelt abgeholt und zur Biografiearbeit inspiriert werden. Symbole, sinnlich wahrnehmbare Gegenstände wie Stroh, rostige Kette, Schatztruhe, Seifenblasen, Zeitung und Egli-Figuren helfen dabei, Bibeltexte anschaulich werden zu lassen.

In vielen Gebeten, Texten und Liedern kommen die Situation der Brüchigkeit des eigenen Lebens und mögliche Überforderung der Pflegenden und Angehörigen in den Blick. Das Alter wird als Herausforderung und wichtige Aufgabe ernst genommen, erfährt aber auch eine gewisse Leichtigkeit. Besonders hervorzuheben sind Beiträge, die aufhorchen lassen, weil sie gewohnte Hör- und Denkweisen spielerisch aufbrechen. So fordert der Landauer Pfarrer Ludwig Burgdörfer seine Zuhörer auf, die Bravheit zu verlassen und „etwas auf den Kopf zu stellen“. In seiner „trotzköpfigen Verkündigung“ dreht er die Frage „Wer bin ich“ in die Aussage: „Ich bin wer!“ um und hilft so zu einem gütigeren Blick auf das Selbst. Die Besorgnis „Was wird aus mir?“ wird durch den Drehmoment zur kecken Behauptung: „Aus mir wird was!“

Ein weiteres schönes Beispiel ist die Andacht von Pfarrerin Micaela Strunk-Rohrbeck zur Weisheit im Alter, die sie als Erfahrung, dass alles relativ und neu gelernt werden kann, versteht. Bei einzelnen Beiträgen mag kritisch anzuführen sein, dass die notwendige Vereinfachung der Sprache nicht zu einer Verflachung der lebensweltlichen Verkündigung führen sollte. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Tobias Götting in seiner Meditation über die „Hände“ zwar eine schöne lyrische Sprache wählt, aber gänzlich auf die Erwähnung schmerzhafter Erfahrungen verzichtet.

Pfarrerinnen und Diakone können die erprobten Texte und Gestaltungsideen als Fundgrube für die Verkündigung in der Kirche, in Pflegeheimen und Seniorenkreisen, auch im Krankenhaus nutzen. Hilfreich ist für die praktische Umsetzung die beigefügte CD-Rom mit allen Texten in verschiedenen Dateiformaten.

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