Der Markt hat versagt

Wohnungleichheit in einer polarisierten Gesellschaft
Wohnungen in München-Neuperlach
Foto: Christian Beuschel / pixelio.de
Wohnungen in München-Neuperlach

Die Covid-19-Pandemie verstärkt die Spaltung der  Gesellschaft, auch beim Thema Wohnen. Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge sind die gegenwärtige Wohnungsmisere und der „Mietenwahnsinn“ jedoch ebenso wenig vom Himmel gefallen wie prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne. Sie sind Folgen einer falschen Politik. 

Schon vor der Covid-19-Pandemie war die Miet- und Wohnungsfrage in Deutschland für Millionen Menschen ein drängendes soziales Problem. Aber nie war die Villa mit parkähnlichem Garten wertvoller als in dieser Ausnahmesituation, ließ sich der Lockdown hier doch sehr viel leichter ertragen und die Rückkehr zum Regelbetrieb der Schulen und Kindertagesstätten viel entspannter abwarten, als das einer Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand oder in einer Notunterkunft möglich war. Gegenwärtig steigen die Immobilienpreise offenbar trotz der pandemiebedingten Rezession weiter, und nicht zufällig sind Einfamilienhäuser besonders begehrt. Auf der anderen Seite wurden Räumungsklagen und Zwangsräumungen, von denen besonders überschuldete Transferleistungsempfänger/innen betroffen sind, während der Covid-19-Pandemie zwar ausgesetzt, Mieterhöhungen blieben aber erlaubt.

Weichenstellungen für wachsende Ungleichheit im Wohnbereich

Die gegenwärtige Wohnungsmisere und der „Mietenwahnsinn“ sind ebenso wenig vom Himmel gefallen wie prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne, vielmehr durch politische Entscheidungen zugunsten von Kapitaleigentümern, Immobilienkonzernen und Großinvestoren erzeugt worden. So schafften CDU, CSU und FDP zum 1. Januar 1990 das Wohngemeinnützigkeitsgesetz ab. Damit hatte der Staat z.B. genossenschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften bis Ende der 1980er-Jahre bestimmte Steuervorteile (Befreiungen von der Körperschaft-, Grunderwerbs-, Gewerbe- und Vermögensteuer sowie Ermäßigungen bei der Grundsteuer) gewährt, sie dafür jedoch zur Beschränkung auf eine Kostenmiete und zur Begrenzung von Gewinnausschüttungen verpflichtet. Vorher preisgebundene Wohnungsbestände gelangten daraufhin auf den Immobilienmarkt, wo es primär um hohe Renditen ging.

Mit vier Finanzmarktförderungsgesetzen schufen unterschiedlich zusammengesetzte Bundesregierungen seit 1990 im Rahmen der neoliberalen Hegemonie ein günstiges Investitionsklima und ein ideales Betätigungsfeld für (institutionelle) Kapitalanleger nicht zuletzt im Bereich der Immobilien. Mietwohnungen, die eine Mehrheit der Bevölkerung benötigt, um menschenwürdig leben zu können, werden seither mit der Folge als Waren ge- und als Spekulationsobjekte behandelt, dass sich Menschen mit zu geringem Einkommen auf dem entsprechenden Markt nicht behaupten können.

Die SPD-geführte Bundesregierung unter Gerhard Schröder befreite Gewinne von Kapitalgesellschaften, die aus dem Verkauf von Tochterfirmen und Aktienpaketen anderer Kapitalgesellschaften resultierten, kurz nach der Jahrtausendwende von der Körperschaftsteuer – eines der größten Steuergeschenke an die Unternehmen überhaupt. Parallel dazu wurde das Mietrecht mehrfach liberalisiert und der in Deutschland für Vermieter traditionell relativ strenge Kündigungsschutz gelockert.

Seit dem 1. Januar 2004 sind auch in Deutschland die in den USA kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Hedgefonds, seit dem 1. Januar 2007 auch die sog. REITs (Real Estate Investment Trusts) gesetzlich zugelassen, welche in den USA bereits 1960 eingeführt wurden. Dabei handelt es sich um steuerbegünstigte Immobilien-Aktiengesellschaften, durch deren Geschäftsmodell sich der Privatisierungsdruck auf öffentliche Wohnungsbestände weiter erhöhte.

Bund, Länder und Kommunen haben, dem neoliberalen Zeitgeist gehorchend, teilweise ihren gesamten Wohnungsbestand – häufig genug zu Schleuderpreisen – an US-amerikanische Investmentgesellschaften, internationale Finanzinvestoren und börsennotierte Immobilienkonzerne verkauft. Kapitalorganisatoren wie BlackRock & Co. trugen als Eigentümer und Vermieter großer Wohnungskomplexe maßgeblich zur Mietenexplosion in deutschen Städten bei. Nicht die Wohnungsmärkte sind also implodiert, sondern Konzerne – durch politische Weichenstellungen dazu motiviert – auf diesen lukrativen Wirtschaftssektor expandiert.

Die meisten Kapitalanleger fürchteten nach der globalen Finanz-, Weltwirtschafts- und europäischen Währungskrise weitere Bankpleiten und Börsenzusammenbrüche, weshalb „Betongold“ in der Folgezeit immer beliebter wurde. Aufgrund des Immobilienbooms nach der Krisenerfahrung 2007/08 ff. hat sich die sozioökonomische Ungleichheit in Deutschland verschärft.

Da sich das Immobilieneigentum bei den Hochvermögenden konzentriert, haben die Wertsteigerungen bei Häusern und Wohnungen erheblich zur Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich beigetragen. Während die Mittelschicht, bei der Immobilienbesitz traditionell einen größeren Teil des Gesamtvermögens ausmacht, aufgrund der massiven Wertsteigerung ebenfalls nicht unwesentliche Vermögenszuwächse verzeichnete, ging die untere Hälfte der deutschen Vermögensverteilung mangels Wohnungseigentums praktisch leer aus. Gleichzeitig stiegen nicht bloß die Immobilienpreise, sondern in deren Gefolge keineswegs nur in bevorzugten Stadtlagen auch die Mieten für Normal- und Geringverdiener/innen.

Von der Bodenreform über Mietpreisbremsen bis zum öffentlichen Wohnungsbau

Nirgendwo versagt das kapitalistische Wirtschaftssystem so eklatant wie bei der Wohnungsversorgung. Da sich der Markt als unfähig erwiesen hat, eine adäquate Wohnungsversorgung für alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen, muss sie als öffentliche Aufgabe begriffen und vom Staat aus Gründen der sozialen Verantwortung für seine Bürger/innen gewährleistet werden, dass niemand wegen seines geringen Vermögens und seines zu niedrigen Einkommens auf der Strecke bleibt. Raumordnungs-, Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik darf nicht an den Kapitalverwertungsinteressen von (Groß-)Investoren, muss vielmehr an den Bedürfnissen der (potenziellen) Bewohner/innen orientiert sein.

Mit einer halbherzigen „Mietpreisbremse“ für Teilwohnungsmärkte, die CDU, CSU und SPD zum 1. Juni 2015 eingeführt, aufgrund unbefriedigender Erfahrungen mit diesem Instrument zweimal „nachgeschärft“ und gleichzeitig bis zum 31. Dezember 2025 verlängert haben, ist das Problem des Wohnungsmangels für Einkommensschwache nicht zu lösen.

Wohngeld hilft als Maßnahme der „Subjektförderung“ letztlich weniger bedürftigen Familien als den Eigentümern jener Häuser, in denen sie zur Miete leben, und ist daher eine staatliche Fehlsubvention. Dass sich die Bundesregierung von einer Erhöhung des Wohngeldes, einer Anhebung der Miethöchstgrenzen und der Freibeträge ab 1. Januar 2020 sowie seiner Dynamisierung zum 1. Januar 2022 eine spürbare Verringerung der Armut verspricht, dokumentiert ihre Unfähigkeit, das Problem an der Wurzel zu fassen, also seine strukturellen Ursachen zu bekämpfen.

Weil die Preise für Grund und Boden in die Höhe schießen, er aber nicht vermehrbar ist, muss hier politisch angesetzt werden. Möglich und verfassungsrechtlich legitimiert ist eine Kommunalisierung, d.h. die Überführung wohnbaurelevanter Grundstücke in Gemeindeeigentum, wie sie der im Juli 2020 verstorbene SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel vorgeschlagen hat. Zu einer neuen und gerechten Bodenordnung gehörte für den ehemaligen Münchner Oberbürgermeister, dass wohnungsrelevantes Eigentum nicht mehr an Privatleute verkauft, sondern bloß noch in Erbpacht vergeben wird, damit Gemeinden die Kontrolle über den Boden behalten. Durch erweiterte Satzungsbefugnisse würden sie in die Lage versetzt, die Stadtentwicklung effektiver im Sinne des Gemeinwohls zu mitzugestalten. Mit einem Planungswertausgleich oder einer Bodenwertzuwachssteuer könnte man die Spekulation mit Grundstücken zudem weniger lukrativ machen und leistungslose Gewinne abschöpfen.

Zweckmäßiger als eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus in der überkommenen Form wären die Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus, sinnvollerweise ergänzt durch eine soziale Mietpreisgestaltung, sowie eine Wiederherstellung der Wohnungsgemeinnützigkeit, um die Aktivitäten genossenschaftlicher und kommunaler Wohnungsbaugesellschaften zu stimulieren. Würden sie dazu finanziell in die Lage versetzt, könnten deutsche Kommunen dem Vorbild der österreichischen Hauptstadt („Rotes Wien“) nacheifern und auch durch eigene Bautätigkeit mehr Wohnungen für sozial Benachteiligte schaffen.

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Foto: Wolfgang Schmidt

Christoph Butterwegge

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Sein aktuelles Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ (183 Seiten, Ladenverkaufspreis: 14,90 Euro) ist im September 2020 im  PapyRossa Verlag erschienen.


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